Das Prinzip Hoffnung

Lebensqualität durch Nähe – das sollten wir nicht nur auf dem Land, sondern angepasst auch in der Stadt und in der wachsenden städtischen Agglomeration pflegen.
Hanspeter Schmutz
Modellgemeinde Steinbach an der Steyr.
Karl Sieghartsleitner

Was hat das Dorf zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen, wenn die Städte den Takt angeben? Sehr viel, ist Hanspeter Schmutz vom VBG-Institut überzeugt. Er plädiert für Lebensqualität durch Nähe und ganzheitliche Transformation.

Lebensqualität durch Nähe – das sollten wir nicht nur auf dem Land, sondern angepasst auch in der Stadt und in der wachsenden städtischen Agglomeration pflegen, weil dieses Klima menschlicher ist als die Anonymität von Schlafdörfern und Grossüberbauungen. Als Nebeneffekt sparen wir damit Kosten für unser Sozialwesen. Wer die Frage von Jesus nach dem Nächsten beantworten will, sollte wissen, wer sein Nachbar ist.

Nachhaltig und ganzheitlich

Der Zukunftsforscher und Systemtheoretiker Johann Millendorfer hat die LILA-Faktoren als Antrieb für eine lebensfähige Gesellschaft definiert und begründet. Danach soll in unsern politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entscheiden der Lebensbereich vor dem Produktionsbereich stehen (L), immaterielle vor materiellen Faktoren (I), es sind Langfristigkeit und Ganzheit (L), aber auch eine alternative Sanftheit (A) anzustreben. Konkreter gefasst: das Leben der Fussgänger steht vor der Schnelligkeit des Transportes (Fussgängerzonen), die Motivation der Mitarbeitenden ist wichtiger als die Höhe des Lohnes, nur nachhaltige Entwicklungen bringen uns weiter (alles andere ist Ausbeutung von Ressourcen), Wirtschaft muss in Kreisläufen gedacht und umgesetzt werden. Millendorfer macht kein Geheimnis daraus, dass diese Werte christliche (bzw. biblische) Wurzeln haben (1).

Die neue bäuerliche Kultur

Diese Werteausrichtung, das haben Millendorfer und seine Nachfolger gezeigt, wird typischerweise im ländlichen Raum und dabei insbesondere von Bauern gelebt. Die Bäuerlichkeit wird dabei als eine Kulturform verstanden, „die eine starke Beziehung zu allem Lebendigen hat, zur Natur, zum Menschen, zu Kindern und zu Tieren ... Sie geht von den Bauern (und damit vom Menschen, Red.) aus, von einem nachhaltigen Wirtschaften und dem Leben mit der Natur. Typisch hierfür sind einerseits Kommunikations-, Musik-, Gesangs- und Festfreude, andererseits aber auch geringe Kriminalität, ein hohes Arbeits-Ethos, ein sozialer Zusammenhalt“ (2).

Dieses Denken verhindert nicht Innovationen in der Landwirtschaft. In der Umgebung der Österreichischen Modellgemeinde Steinbach verarbeiten Bauern Mais zu Biogas und heizen damit Teile des Dorfes. Der Naturpark „Kalkalpen“ ist heute ein Wandergebiet im Zeichen des sanften Tourismus, ein Ausstellungsraum im dazu gehörigen Dorf erschliesst die Geheimnisse des Zusammenspiels von Kalkgestein und Wasser – eine ideale Informationsquelle für Schulklassen und interessierte Wanderer.

Hier gibt es aber auch den Maultrommel-Macher, der nicht nur vor Ort ein altes Handwerk am Leben erhält, sondern gleichzeitig weltweit mit seinen Kunden in Kontakt steht. Und es gibt die Dorfbevölkerung von Steinbach, die dem Sog des nahen Grossverteilers widersteht und das Lädeli im Dorf berücksichtigt. Sie fördert so die lokalen Produkte und pflegt – in Form des täglichen Schwatzes – die sozialen Kontakte.

Die globale Bäuerlichkeit

Dieses solidarische Denken und Handeln hat Ausstrahlung. Unterdessen wurden über 150 Gemeinden und Regionen nach dem werteorientierten Steinbacher Ansatz entwickelt. Karl Sieghartsleitner, ex-Bürgermeister von Steinbach, hat seine Mission unterdessen bis nach Japan getragen.

Dieser Geist macht selbst vor globalen Zusammenhängen nicht Halt. Sieghartsleitner hat sich die Anliegen des Global Marshall Plans zu eigen gemacht. Deutschland wurde nach dem 2. Weltkrieg gemäss dem Marshall Plan der Siegermächte neu aufgebaut. Dem entsprechend soll nun auch die Globalisierung so gestaltet werden, dass es neben Siegern nicht viele Verlierer gibt. Ziel ist das Entwickeln einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft. Umfassende, international vereinbarte Standards sol- len Schritt für Schritt in die Wirtschaftsordnung eingepflanzt werden. Dazu gehören Standards der Weltarbeitsorganisation (3), die Ziele der internationalen Umweltabkommen und der WTO – aber nur unter Verknüpfung mit ökologischen, sozialen und kulturellen Aspekten. Dieser Plan könnte mit wenig finanziellen Mitteln umgesetzt werden (4). Die christlich begründeten Werte der neuen Bäuerlichkeit bekommen damit einen globalen Massstab.

Transformation: hier und jetzt

Unsere Welt, aber auch unsere Schweizer Gesellschaft braucht dringender denn je christlich begründete Werte und Menschen, die diese Werte glaubhaft leben und vertreten. Übungsfelder für die Transformation sind die Familie, das Quartier, das Dorf und das Stadtquartier. Die (frei-)kirchliche Gemeinschaft ist ein wichtiges Modell, aber auch eine Tankstelle und Zukunftswerkstatt. Ein Hilfsmittel dafür die Transformation ist das Netzwerk für “Werteorientierte Dorf-, Regional- und Stadtentwicklung” (WDRS), das die Steinbacher Ansätze auf Schweizer Verhältnisse übertragen will (5).

Lasst uns heute und nicht erst morgen damit beginnen, Werte zu pflanzen, die dem Reich Gottes entsprechen. Christen sind dazu berufen, Hoffnung zu stiften – und nicht die Welt zu beklagen.

(1) siehe dazu: „Bausteine“ 3/05: „Transformation – mit christlichen Werten die Gesellschaft gestalten“
(2) Baaske, Wolfgang E. und Millendorfer, Johann. „Aufbruch zum Leben.“ Universitätsverlag Rudolf Trauner, Linz, 2002, S. 115.
(3) wie Gleichbehandlung von Mann und Frau und das Verbot von Kinderarbeit
(4) Die Initianten denken an Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds, geringfügige Abgaben auf globale Finanztransaktionen und eine „Terra-Abgabe“ auf den Welthandel.
(5) Kontakt: info@vbginstitut.ch

In Wilen TG findet am 5./6. Januar 2007 eine erste Impulstagung über Werte-orientierte Dorfentwicklung mit Karl Sieghartsleitner statt.

Info und Anmeldung
Dorfentwicklung in Steinbach an der Steyr
VBG-Institut

Quelle: "Bausteine" 4/06

Datum: 26.12.2006
Autor: Hanspeter Schmutz

Werbung
Livenet Service
Werbung