Besitzverhältnisse

Pfeile
alter Mann
Statue
Karl-Heinz Binder

Wie sie wohl alle aussehen würden, jetzt nach über 35 Jahren, dachte ich, als ich mit meinem Auto von der Bundesstrasse in die Einfahrt zu dem komfortablen Restaurant abbog.

Es war eine spontane Idee von Heinrich Erlemann gewesen, dieses Klassentreffen zu organisieren. Dreieinhalb Jahrzehnte nachdem wir auseinander gegangen waren, unsere Kenntnisse und unsere Tüchtigkeit in Erfolge umzusetzen.

In der Halle eilte ein Ober herbei und bot mir vom elegant balancierten Tablett einen Aperitif an.

Ich erkannte Erlemann, als er da neben dem grossen Kamin stand, sofort wieder. Lang, hager, ein wenig gebeugt. Seine blauen Augen rechts und links von seiner monumentalen Nase immer noch voller neugieriger Unternehmungslust. Wir schüttelten uns herzlich die Hand.

Dann sah ich Joachim Holzer. Wir hatten mehrere Jahre lang Schulter an Schulter in der gleichen Bank gesessen, nur würde er jetzt nicht mehr in sie hineinpassen; seine Figur war raumfüllend. «Damit du dir das Fragen ersparst», sagte er, «einhundertvierundzwanzig Kilo. Zufrieden?» Ich nickte mit dem Kopf.

Und dann kam Eugen Grabowski. Nein, er kam nicht, dieser Mann trat auf. Im feinsten Flanell, über der Weste eine goldene Uhrkette, so unübersehbar, dass man sich unwillkürlich fragte, welches Vermögen in Form eines Chronometers sich wohl an ihrem Ende befand. In seiner Seidenkrawatte steckte eine beeindruckend dimensionierte Perle im Wert mehrerer kompletter Halsketten, und als er eine kleine Kopfbewegung in Richtung des Obers machte, spurtete der so spontan auf ihn zu, dass die Getränke wie Brandungswellen gegen die Gläserwände schwappten, aber gegen alle physikalischen Gesetze machten sie einen Millimeter unter dem Rand halt.

«Bitte Chef», sagte er beflissen, und als ich Eugen fragte, wieso Chef, sah er mich bedeutungsvoll an: «Das alles gehört mir. Ich habe übrigens noch zwei Restaurants in dieser Art, dazu ein Hotel in Hannover, ein Reisebusunternehmen, eine Baufirma und einen Autoverleih. Und dann ein paar Beteiligungen, aber die kann man vergessen.»

«Ich hätte dich warnen sollen», seufzte Heinrich Erlemann, der den letzten Satz gehört hatte. «Grabowski ist und bleibt Grabowski, geschäftstüchtig, trinkfest, schlitzohrig und ein grosser, erbarmungsloser Angeber.»

«Du sagst es», erwiderte Eugen Grabowski ohne die geringste Spur von Beleidigtsein, «ihr bildet euch was ein auf eure Intelligenzquotienten, redet klug daher, und ich mache Geld. Jetzt führe ich euch mal durch das Haus, damit ihr seht, was Investitionen sind.»

«Wie hat er», fragte ich beim Rundgang Erlemann leise, «soviel Vermögen gemacht? Der war doch immer der Letzte in unserer Klasse, hat mit Ach und Krach den Abschluss geschafft, und ausserdem ist er mir heute noch einen Füllhalter schuldig, den ich zwar bezahlt, aber nie von ihm bekommen habe, obwohl seine Schwarzmarktverbindungen damals angeblich so gut waren.»

«Er hat viel Geld von seinem Onkel geerbt. Das war der Grundstock. Ohne diese Basis hätte Eugen es nicht geschafft, aber das wirst du niemals von ihm hören; er tut, als sei das alles seine ureigene, schlaue Tüchtigkeit.»

Da gab es einen Mann in der Bibel, fiel mir ein, Hiskia, damals König von Juda mit Sitz und Palast in Jerusalem. Eines Tages wurde dieser Mann krank. Er liess den Propheten Jesaja rufen, und der sagte ihm: Mach dein Testament und ordne deine Nachfolge, denn diese Krankheit ist zum Tod.

Hiskia drehte sich in seinem Bett mit dem Gesicht zur Wand, damit keiner sehen konnte, dass er der so tüchtige und erfolgreiche Mann weinte, und er betete, flehte und argumentierte mit Gott, ihm doch noch eine Chance zu geben. Der liess sich überzeugen und räumte eine Art Nachfrist von 15 Jahren ein, verbunden mit völliger Gesundung.

Es sprach sich herum, dass – entgegen allen medizinischen Erfahrungen – Hiskia genesen war, und der König von Babylonien, Berodach-Baladan, schickte ihm durch eine Delegation hoch stehender Männer seine handgeschriebene Gratulation nebst freundlichen Geschenken.

Damit die Gesandten auch sahen, mit welch etabliertem, erfolgreichem Mann sie es zu tun hatten, führte Hiskia sie herum: Durch sein Haus, seine Archive, die Räume, in denen er die Wertsachen und Devisen aufbewahrte, die Vorratshäuser. Stolz zeigte er ihnen alles, was er besass.

Mit anderen Worten: da hat einer vehement angegeben. Schaut mal, was ich alles besitze! Schaut mal, wie bedeutend ich bin, wie tüchtig und, Klammer auf, meine wiederhergestellte Gesundheit geht natürlich auch auf mein Konto, Klammer zu. Nicht ein einziges Wort darüber, wem er das alles zu verdanken hatte, seine erneuerte Vitalität, seine Macht, sein Vermögen, seinen Einfluss.

So sind wir Menschen: Für die Auswirkungen und Folgen unseres Ehrgeizes, Machtstrebens, Neides, Beherrschungsdranges, unserer Geldgier, unserer Ichhaftigkeit, da machen wir Gott verantwortlich. Klagen ihn an für alle Ungerechtigkeit in dieser Welt und warum er nicht half, als wir uns ins Chaos manövriert hatten: «Bitte, wo war denn Gott, als wir ihn brauchten?»

Aber unsere Fähigkeiten, unseren Besitz, unsere Karriere, unsere Erfolge, die verdanken wir der eigenen Tüchtigkeit, und stolz sagen wir wie mein Freund Eugen Grabowski: «Das alles gehört mir.»

«Alles ist euer», schreibt auch der Apostel Paulus an die Leute im reichen Korinth, aber für ihn ist der Satz an dieser Stelle nicht zu Ende, sondern das Wesentliche kommt noch: «Alles ist euer, Ihr aber gehört Christus und Christus gehört Gott.»

Besitzverhältnisse sind immer mehrdimensional, oder?

Karl-Heinz Binder, D-Ohlsbach Bis zur Pensionierung langjähriger Vertriebsdirektor und Mitglied der Geschäftsleitung eines süddeutschen Zeitschriften-Grossverlages

Autor: Karl-Heinz Binder

Datum: 24.06.2005
Quelle: Reflexionen

Werbung
Livenet Service
Werbung