Wem der Stress über den Kopf wächst: Menschen mit psychischen Problemen wieder eingliedern!

Stress

Schon im Juni hat die Stiftung Pro Mente Sana die Behauptung von SVP-Nationalrat Christoph Blocher, ein Grossteil der IV-BezügerInnen aus psychischen Gründen seien Simulanten, „in aller Form zurückgewiesen“. Zwar sei die starke Zunahme von IV-Renten aufgrund psychischer Ursachen „eine Tatsache, die auch von der Stiftung Pro Mente Sana mit Besorgnis verfolgt wird“.

Weniger Nischenarbeitsplätze

Die Ursachen für dieses reale Problem könnten jedoch, so Jürg Gassmann, Zentralsekretär der Dachorganisation der psychisch Kranken und Behinderten, nicht in der mangelnden Leistungsbereitschaft der einzelnen Versicherten gesucht werden. Vielmehr habe sich die Arbeitswelt tiefgreifend gewandelt: „Die Zahl der Nischenarbeitsplätze hat in den vergangenen Jahren als Folge der Wirtschaftskrise stark abgenommen; viele ArbeitnehmerInnen auf allen Stufen sind dem zunehmenden Druck und Stress am Arbeitsplatz nicht mehr gewachsen.“

Psychiatrie unter enormem Spardruck

In der NZZ vom Freitag hat der Präsident der Stiftung, der Thurgauer SP-Nationalrat Jost Gross, nachgedoppelt. Gross fordert, die Wiedereingliederung wieder zum obersten Ziel der politischen und gesellschaftlichen Bemühungen auf diesem Feld zu machen. Neben dem Arbeitsmarkt habe sich das Gesundheitswesen verändert: „Auch in der Schweiz stehen psychiatrische Dienste unter enormem Spardruck, Aufenthaltsdauern zu reduzieren, Sozialdienste und psychologische Betreuung einzuschränken.“

Gegen "Diffamierung"

Gross wendet sich gegen die „Diffamierung von Rentenbezügern als Scheininvalide“ durch den führenden SVP-Politiker. Er verweist darauf, dass vermehrt gut qualifizierte Schweizer ohne Arbeit sind (New Economy). Die Invaliden-Versicherung IV sei das letzte Netz vor der Sozialhilfe. Daher „wirken sich restriktivere Leistungsbedingungen in der Krankenversicherung (z. B. bei psychisch Kranken), in der Unfallversicherung und in der Arbeitslosenversicherung (Reduktion der Bezugsdauer von Taggeldern) mittelfristig als Mehrbelastung der IV aus“.

‚Verabsolutierung von Leistungskraft‘

Gross bedauert, dass kaum mehr Arbeitsstellen geschaffen werden, die dem Leistungsvermögen von psychisch angeschlagenen Menschen entsprechen. „Dabei leidet auch die Freiwilligenhilfe und die private Gemeinnützigkeit. Die Verabsolutierung von Leistungskraft und Leistungswille hat die private Caritas, die während Jahrhunderten das Handeln Begüterter mitgeprägt hat, unattraktiv gemacht.“

So hätten es die Bemühungen um Wiedereingliederung mit äusserst schwierigen Rahmenbedingungen zu tun. Gross hofft auf die regionalen ärztlichen Dienste, die infolge der letzten IV-Gesetz-Revision geschaffen werden, und die neue Dreiviertelrente, „damit Teilzeitarbeit Behinderter nicht durch Rentenverlust bestraft wird“. Die Stiftung Pro Mente Sana hatte im Vorlauf der Revision ein Bonus-(oder Anreiz-)Modell vorgeschlagen, das Unternehmen, die überdurchschnittlich viele Teilbehinderte beschäftigen, mit Steuervergünstigungen und Erlass von Sozialversicherungsbeiträgen belohnt. Dieses Modell wurde nicht verwirklicht.

Koordiniertes Handeln – kreative Ideen

Das Schweizer Sozialversicherungssystem behandelt Krankheit und Unfall bei den Invaliditätsleistungen nicht gleich. „Gleichzeitiges Handeln in den verschiedenen Sozialbereichen wird damit erschwert. Wichtig aber wäre die Vernetzung und Koordination von Wiedereingliederungsbemühungen in den verschiedenen Sozialversicherungsbereichen.“

Gross schlägt zum Beispiel vor, dass für jede geglückte Wiedereingliederung die bezahlende Krankenversicherung einen Bonus von den ‚entlasteten‘ IV und Vorsorgeträgern erhält. In der beruflichen Vorsorge sollten sich Pensionskassen beim Staat rückversichern können, wenn sie bei Anstellungen behinderungsbedingt ‚schlechte Risiken‘ in Kauf nähmen.

Job Coaching für behinderte Wiedereinsteiger

Dabei weiss auch der Präsident von Pro Mente Sana und SP-Politiker, dass der Schweizer Arbeitsmarkt „in der gegenwärtigen Krisensituation“ nur beschränkt aufnahmefähig ist. Er wünscht sich u.a. ein in einem Pilotversuch erprobtes ‚Job Coaching‘ für behinderte Wiedereinsteiger in den ersten Monaten des Arbeitsversuches: „Der Behinderte bekommt einen leistungsgerechten Lohn, die Differenz zu den Lebenskosten wird von der IV und dem Vorsorgeträger durch einen Soziallohnzuschlag ausgeglichen.“ Zudem müssten Teilbehinderte sollten für Arbeitseinkommen bis monatlich 1500 Franken von Steuern befreit sein.

Problem lösen? – Erste Ursachen angehen!

Gross bezeichnet die wachsende Invaliditätsquote als „schwieriges, aber lösbares Problem“. Dass aber psychische Labilität, die unter Stress zu grossen Problemen und zum Stellenverlust führt, auch von Beziehungsproblemen und Drogenkonsum verursacht wird, darüber schweigt er sich aus.

Doch die Belastbarkeit der Arbeitnehmer, die in der Wirtschaft heute gefordert wird, wäre eben gerade durch Massnahmen in diesen Bereichen zu fördern: dort wo die Mehrheit der Schweizer Politiker dem Einzelnen bisher alle Optionen (Lebensformen und Genüsse) offenhalten will.

Kaputte Beziehungen und Drogen

Wenn weniger ArbeitnehmerInnen durch zerbrechende Beziehungen und Drogen geschwächt werden, wird sich die Zahl der Invaliden günstig entwickeln. Die derzeit im Nationalrat zur Beratung anstehende Legalisierung des Cannabis-Konsums aber, die namentlich von der SP, der Partei von Jost Gross, befürwortet wird, wird die Zahl der psychisch Labilen, die schwer wiedereinzugliedern sind, noch erhöhen.

Datum: 16.08.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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