Sterbehilfe-Organisationen: Ethiker fordern staatliche Aufsicht

Himmel
Sterbehilfe
Wie geht die fitnessorientierte Gesellschaft mit dem Herbst des Lebens um?

Wenn Schwerkranke ihrem Leben ein Ende setzen, sollen andere dabei weiterhin mitwirken können. Aber „Suizidbeihilfe darf nicht zur Routine werden“. Für Exit und weitere Sterbehilfe-Organisationen fordert die Nationale Ethikkommission Sorgfaltskriterien und eine staatliche Aufsicht.

Der Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs stellt nur jene Beihilfe zum Suizid (Selbttötung) unter Strafe, die aus eigennützigen Motiven erfolgt. Diese sehr offene Bestimmung – einzigartig in Mitteleuropa – soll beibehalten werden, meint die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK). Nach mehrjähriger Arbeit am Thema betont sie, dass nicht ethisch sein muss, was das Gesetz zulässt.

Alters- und Pflegeheime sollen selbst entscheiden

Ärzte, medizinisches und Pflegepersonal sind dazu da, Leben zu bewahren und Leiden zu lindern. Bei Patienten, deren Leiden auch mit palliativer Medizin nicht gelindert werden kann, tritt für Spitäler und Heime ein Konflikt auf.

Für sie hält die NEK nun fest, dass die Selbstbestimmung des urteilsfähigen Patienten so weit wie möglich zu respektieren ist, speziell in Altersheimen, die zum Wohn- und Lebensort der Patienten geworden sind.

Spitäler und Heime sollen frei sein, Suizidbeihilfe zuzulassen, ihren Entscheid aber gegenüber Patienten erklären. Die Ethiker sprechen von der „Frustration und Unsicherheit in Kliniken, wenn ein Patient zum Sterben aus der Fürsorge entlassen werden muss“.

Keine Beihilfe bei seelischen Krankheiten

Falls der Suizidwunsch Ausdruck oder Symptom einer psychischen Krankheit ist, soll keine Suizidbeihilfe geleistet werden dürfen, ebenso wenn der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, durch gesellschaftlichen Druck zustande kommt. Die Kommission hat in ihren Empfehlungen einen Konsens erreicht, nachdem sie im letzten September 10 Thesen zur öffentlichen Diskussion vorgelegt hatte.

Die Landeskirchen setzen unterschiedliche Akzente

Der 80-seitige Bericht stellt die ethischen Hintergründe, die gegenwärtige Rechtslage, Bezüge zur Suizidforschung und Suizidprävention und das gesellschaftliche Umfeld dar. Auch die unterschiedlichen Stellungnahmen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK und der Bischofskonferenz werden erwähnt.

Grundwiderspruch in der individualistischen Gesellschaft

Die Ethikkomission sieht zwei gesellschaftliche Grundwerte, die einander als Pole gegenüberstehen: einerseits die Fürsorge für suizidgefährdete Menschen im Sinn der „Hilfe zum Leben“ und andererseits der Respekt vor der Selbstbestimmung eines Menschen, der zum Suizid entschlossen ist.

Empfehlungen und Regelungen müssten diesem Spannungsverhältnis Rechnung tragen, schreibt die NEK. Für alle Fälle fordert sie, dass eine Entscheidung zur Suizidbeihilfe an der Person orientiert sein muss und nie zur Routine oder zu einer Handlung nach „Checkliste“ werden darf. Nötig sind gemäss der Stellungnahme eingehende Kenntnis des Menschen, seiner Situation und des Hintergrundes des Todeswunsches.

Rechtliche Regelungen für Exit und Dignitas

In Bezug auf Organisationen, die auf diesem Feld tätig sind, sieht die NEK gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Diese Organisationen richteten ihr Angebot an fremde Menschen, zu denen keine nahen persönlichen Beziehungen bestünden. Das Recht soll hier die Aufgabe übernehmen, auch dem Pol der „Hilfe zum Leben“ Geltung zu verschaffen.

Die NEK macht weiter zur Bedingung, dass Alternativen zur Selbsttötung mit dem Patienten vorgängig besprochen worden sind und dieser seinen Entscheid nicht unter Druck gefällt hat. Gleiches muss nach Ansicht der NEK für Ausländerinnen und Ausländer gelten, die in die Schweiz reisen, um Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Zum Thema:
Die Stellungnahme der Nationalen Ethikkomission im Wortlaut
www.nek-cne.ch/de/pdf/suizid_dt_28_6_05.pdf

Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW zur Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende
www.samw.ch/content/Richtlinien/d_RL_Sterbehilfe.pdf

Livenet-Artikel: Wenn psychisch Kranke sterben wollen
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/261/19707/

Datum: 13.07.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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