Vor 90 Jahren begann der Erste Weltkrieg

Soldaten

"In ganz Europa gehen die Lichter aus; wir werden es nicht mehr erleben, dass sie wieder angezündet werden." So hellsichtig kommentierte der englische Aussenminister Grey, was sich zugetragen hatte: Am 1. August 1914, vor 90 Jahren, begann mit der Kriegserklärung Deutschlands an Russland der Erste Weltkrieg.

Sarajevo: Auf diese Stadt hatten sich im Juli 1914 die Blicke der Welt gerichtet. Dort waren am 28. Juni der österreichische Thronfolger und seine Frau von einem serbischen Nationalisten ermordet worden. Was zunächst wie eine regionale Krise aussah, entwickelte sich zur "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts". Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn den Serben den Krieg; einen Tag später machte Russland, die Schutzmacht Serbiens, teil- und am 30. Juli allgemein mobil. Deutschland, als Verbündeter Österreichs, und Frankreich folgten am 1. August. Am selben Abend erklärte Deutschland Russland den Krieg.

Unklar blieb zunächst, ob auch die alten "Erbfeinde" Deutschland und Frankreich aneinander geraten würden: Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg zögerte; er wollte England nicht reizen. Und auch der Kaiser sprach sich zunächst für einen Aufmarsch nur im Osten aus. Doch der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke pochte auf eine Kriegserklärung an die Franzosen; er wollte der Gefahr der Einkreisung des Reiches mit einem schnellen Schlag nach Westen begegnen. Am 2. August drangen deutsche Truppen in Luxemburg und am Tag später auch in Belgien ein. Damit war die international garantierte Souveränität beider Staaten verletzt; das bedeutete den Kriegseintritt Englands.

Allgemeiner Taumel

"In jeder Station klebten die Anschläge, welche die allgemeine Mobilisation angekündigt hatten", beschreibt der Schriftsteller Stefan Zweig die Stimmung der österreichischen Bevölkerung Anfang August. "Die Züge füllten sich mit frisch eingerückten Rekruten, Fahnen wehten, Musik dröhnte, in Wien fand ich die ganze Stadt in einem Taumel." In Berlin rief Kaiser Wilhelm am 1. August: "In dem bevorstehenden Kampfe kenne Ich in Meinem Volke keine Parteien mehr. Es gibt unter uns nur noch Deutsche."

Die anlaufende Kriegsmaschinerie faszinierte alle beteiligten Völker. Die Arbeiterparteien stellten das Nationalbewusstsein höher als das "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch". Und auch unter den Katholiken überwog die nationale Begeisterung. Papst Benedikt XV., der den Krieg als "entsetzlichen Wahnsinn" bezeichnete, erntete heftige Kritik.

Der Erste Weltkrieg und die 1918 besiegelte Niederlage Deutschlands und Österreich-Ungarns hatten gravierende Umwälzungen zur Folge. Erstmals hatten sich hoch industrialisierte Mächte mit Millionenheeren in einem Volkskrieg gegenübergestanden. Die europäischen Staaten verloren mit dem Kriegseintritt der USA im April 1917 sowie der bolschewistischen Revolution in Russland im selben Jahr ihre weltpolitische Stellung. Die Demütigung Deutschlands, der Zerfall Österreich-Ungarns und des osmanischen Reiches veränderten das Gesicht Europas. Der Versailler Vertrag schuf keine dauerhafte Friedensordnung; in ihm steckte bereits der Keim des Zweiten Weltkriegs.

Umstrittene Kriegsschuld

Umstritten bleibt bis heute die Kriegsschuld-Frage: Der britische Schatzkanzler David Lloyd George urteilte rückblickend: "Keiner der führenden Männer jener Zeit hat den Krieg tatsächlich gewollt. Sie glitten gewissermassen hinein oder besser sie taumelten oder stolperten hinein." Doch die meisten Historiker teilen diese Ansicht nicht: Der Krieg wurde ihrer Einschätzung nach von vielen Verantwortlichen sogar als Naturnotwendigkeit herbeigesehnt.

Der Historiker Fritz Fischer und seine Schüler haben auf die besondere Verantwortung Deutschlands hingewiesen: Er belegte, dass es schon vor 1914 langfristige Kriegsplanungen und -ziele in den deutschen Eliten gab. Das Verhalten des Reiches in der "Juli-Krise" war, so der umstrittene Historiker, konfliktverschärfend, weil Deutschland Österreich mit dem so genannten "Blankoscheck" freie Hand zum Krieg gab.

Datum: 01.08.2004
Autor: Christoph Arens
Quelle: Kipa

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