Forscher-Schalmeien: EU-Parlament gegen Regeln bei Medizinprodukten

Europaparlament

Gemeinsame strenge Ethik-Regeln für Medizinprodukte wird es in der EU nicht geben. Das Europaparlament votierte am Mittwoch in Strassburg gegen alle Änderungsanträge, mit denen Ethik-Vorschriften in einer Verordnung über Zell-, Gen- und Gewebetherapie verankert werden sollten.

Die Abgeordneten lehnten den Versuch ab, ethisch umstrittene Projekte in der EU grundsätzlich zu verbieten. Das soll nun den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Die Parlamentarier überstimmten damit auch den von ihnen eingesetzten Wortführer der Verhandlungen über die neuen Regeln, den slowakischen Europaparlamentarier Miroslav Mikolasik.

Kritiker warnen nun, dass damit bald beispielsweise Produkte aus der umstrittenen Embryonenforschung auch in solchen EU-Staaten vermarktet werden, wo es dafür Verbote gibt. Denn künftig wird die EU-Arzneimittelbehörde EMEA in London europaweite Zulassungen für die umstrittenen Produkte erteilen. Mit Blick auf die Regeln für den EU-Binnenmarkt könnte der Europäische Gerichtshof zu dem Schluss kommen, dass EU-Staaten die Vermarktung der Präparate nicht verbieten können, fürchtet Mikolasik.

Gemeinsame Interessen

Dass gemeinsame Zulassungsverfahren für neue Therapieprodukte nötig sind, darüber waren sich alle Seiten aber einig. Denn für Unternehmen ist es teuer, in 27 Staaten Zulassungsanträge bei den Arzneimittelbehörden zu stellen. Dabei geht es etwa um Hautersatz-Produkte für Verbrennungsopfer oder andere Gewebezüchtungen. Die Pharmaindustrie verspricht, Knochenmarks-Erkrankungen, Blindheit, Alzheimer oder Parkinson könnten nur mit den innovativen Präparaten, an denen derzeit geforscht wird, künftig wirklich geheilt werden.

Einige EU-Staaten lassen ihren Forschern und der Industrie dabei viel Freiheit. Andere, wie Deutschland, Italien oder Polen, schränken die Aktivitäten der Wissenschaft bei ethisch umstrittenen Projekten ein. Zahlreiche Christdemokraten, Grüne und die Kirchen verlangten deshalb, Ethikstandards europaweit verbindlich festzuschreiben. Sie forderten, Produkte aus der embryonalen Stammzellforschung sollten ganz von der Richtlinie ausgeschlossen werden.

Gewinn und Forschung

Es müsse zudem verboten werden, den menschlichen Körper und Teile davon zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen. Auch Eingriffe in die Keimbahn, die das Erbgut künftiger Generationen verändern, sollten untersagt werden. Schliesslich dürfe es nicht zu einer Herstellung von hybriden Lebewesen oder Chimären kommen, also Zwitterwesen von Mensch und Tier. Ein Grossteil dieser Forderungen ist dabei eigentlich Konsens internationaler Konventionen oder auch der EU-Grundrechtecharta.

Durchgesetzt hat sich aber eine Mehrheit von sozialdemokratischen, linken und liberalen Europaabgeordneten. Sie machten geltend, niemand dürfe Patienten mögliche neuartige Therapien vorenthalten. Weil die Ethik-Vorschriften in den EU-Staaten so unterschiedlich seien, dürfe nicht eine davon allen aufgezwungen werden, argumentierten sie. Selbst deutsche Unions-Europaabgeordnete folgten zum Teil mehr den Argumenten der Forscher und der Industrie als den Forderungen der Kirchen.

Und obwohl Deutschland zu den Ländern mit den strengsten Ethik-Bestimmungen zählt: Die Bundesregierung als amtierende EU-Präsidentschaft ist zufrieden mit dem Votum. Jeder EU-Staat habe jetzt die Möglichkeit, auf nationaler Ebene seine eigenen, strikteren Vorstellungen zu verwirklichen, hiess es. Einer raschen endgültigen Verabschiedung der neuen Zulassungsverfahren durch den EU-Ministerrat steht nach dem Votum des Europaparlaments damit nichts mehr im Wege.

Datum: 30.04.2007
Autor: Christoph Lennert
Quelle: Kipa

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