Elodie – Instrument einer bittersüssen Melodie?

Der Mensch hat keinen Preis
Elodie: Das Designer-Baby

Die evangelische Ärztevereinigung AGEAS wendet sich gegen die Selektion von Embryonen – auch und gerade wenn ihr Zellmaterial später medizinisch genutzt wird. Es geht um Elodie , über die das Schweizer Fernsehen am 29. Mai berichtet hat. – Livenet dokumentiert die ausführliche Stellungnahme der AGEAS.

Ein aussergewöhnlicher medizinischer Fall hat die Diskussion über die Präimplantationsdiagnostik (PID) neu belebt. Noah, der fünfjährige Junge einer Genfer Familie, leidet an einer vererbten Granulomatose, einer Erkrankung, welche aufgrund einer Funktionsstörung der Granulozyten zu häufigen und oft schwer verlaufenden Infektionen führt. Ausser der hochdosierten Gabe von Antibiotika und dem Einhalten strenger Hygienemassnahmen bestehen kaum Behandlungsoptionen – ausser der Knochenmarkstransfusion durch einen kompatiblen Spender.

Kompatibles Schwesterchen

Letztere Möglichkeit veranlasste Noahs Eltern zu einem besonderen Schritt. Mithilfe fortpflanzungsmedizinischer Methoden gelang es den behandelnden Ärzten, ein kompatibles Schwesterchen - mit dem wohlklingenden Namen Elodie - zu (er)zeugen. Da gewisse dafür notwendige Methoden in der Schweiz nach geltendem Recht verboten sind, wurde ein wesentlicher Teil des Verfahrens, insbesondere die PID, in Belgien durchgeführt.

Die Sendung „Puls“ von SF1 berichtete am 29. Mai über diesen Fall, teils als nüchterner Bericht einer medizinischen Spezialbehandlung, teils als gefühlsbetontes Portrait einer Familie, welche gerne „normal“ sein wollte. Der Film hinterlässt einen bittersüssen Nachgeschmack und es fällt auf, dass die meisten Personen, die den Film sahen oder sich über die Sache äussern, eine ausgesprochen ambivalente Haltung ausdrücken. Dieser Fall überspannt in eindrücklicher Art und Weise das gesamte Spektrum der Fortpflanzungsmedizin, illustriert Ohnmacht und Machbarkeit und stellt unser ethisches Empfinden geradezu provokativ auf die Probe.

In der Petrischale ausgewählt

Die heute einjährige Elodie ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Kind. Sie wurde im Reagenzglas gezeugt und unter Anwendung der PID, d.h. nach Massgabe der Verwendbarkeit ihrer Stammzellen, in der Petrischale als Embryo ausgewählt und in der Hoffnung geboren, ihrem Bruder Noah das Leben zu retten. Kürzlich erfolgte die Entnahme des Knochenmarks im Universitätsspital Zürich. Da dem Kind rund 200 ml (!) Knochenmark entnommen werden mussten, verlief der Eingriff nicht ganz komplikationslos – die behandlungsbedürftigen Blutdruckschwankungen wurden am Rande erwähnt…

Noah hat das Knochenmark erhalten und offenbar gut vertragen, obschon ihm die parallel durchgeführte Chemotherapie schwer zusetzte. Ebenso hat Elodie den Eingriff überstanden. Was wäre, wenn sie an der Knochenmarksentnahme Schaden genommen hätte? Was wäre, wenn Noah das Knochenmark seiner Schwester abgestossen hätte? Welche Auswirkungen hätten diese und ähnliche Fragen auf die Beziehung der Eltern zu ihren beiden Kindern?

Die Befreiung von Noah aus dem Isolationszelt rührt unsere Gefühle als Eltern und kaum eine Ärztin, kaum ein Arzt würde sich in irgendeiner Form kritisch oder gar ablehnend dazu äussern – ein Leben wurde gerettet und eine als inakzeptabel empfundene Lebensqualität wurde wiederhergestellt.

Noah: wegen Fehldiagnose nicht abgetrieben

Groteskerweise wurde Noah’s Leben schon einmal gerettet, zumal er aufgrund einer pränatalen Fehldiagnose vor einer Abtreibung bewahrt wurde. Seine Mutter versicherte im „Puls“, dass sie das Kind auch noch im vierten Monat abgetrieben hätte, wäre die Diagnose der Granulomatose pränatal gestellt worden – eine Komponente des bitteren Nachgeschmacks.

Gott liebt beide Kinder

Gott liebt beide Kinder bedingungslos – das ist unserer Ansicht nach unbestritten. Leben ist immer Schöpfung und wird es immer sein, ungeachtet aller Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin. Gott hat Elodie seinen Odem mit auf den Weg gegeben – Er hat sie „in seine Hände gezeichnet“ und ihre Zeugung zugelassen …

Hier nun liegt eine weitere bittere Quelle – das Auftreten der Ärzte und Forscher in ihrem schier ungebrochenen Machbarkeitswahn und in der festen Überzeugung sie hätten die Schöpfung oder eben den Schöpfer überlistet. Welche Vermessenheit!

Machbarkeitswahn und unbeholfene Ethiker

Nicht weniger bitter die Unbeholfenheit der Ethikkommissionen, welche der politischen Entwicklung seit jeher hinterherhinken, höchstens mal Bedenken signalisieren und trotz all der akademischen Titel ihrer Mitglieder an den grundlegendsten Lebensdefinitionen scheitern. Im vorliegenden Fall wird ein Menschenleben instrumentalisiert! Ob das nun in der Absicht geschieht, ein anderes Menschenleben zu retten, spielt letztendlich keine Rolle! Einer der wichtigsten Grundsätze Kant’scher Ethik und somit eine moralische Tabuzone wurde verletzt!

Instrumentalisierung von menschlichem Leben im Sinne einer utilitaristischen (am Nutzen orientierter; Red.) Güterabwägung versus Bewahrung der Heiligkeit des Lebens – ein ungleicher und zumindest auf gesellschaftspolitischer Ebene scheinbar verlorener Kampf. Das Leben in seiner empfindlichsten Form, nämlich des werdenden Menschen im Mutterleib, wurde bereits derart angetastet, dass die gesetzlichen Regulierungen höchstens noch der Einschränkung der Beliebigkeit dienen.

Behinderte Menschen werden zu vermeidbarem Risiko

Die Ehrfurcht vor dem Leben schwindet in dem Masse, in welchem Leben instrumentalisiert und relativiert wird. Wertes und unwertes Leben wird zum Substrat eines wissenschaftlichen Machbarkeitswahns, der sich jeglicher Kontrolle zu entziehen droht. Behinderte Menschen werden zu einem vermeidbaren Risiko und die Ausrichtung auf ein idealisiertes Modellleben geht einher mit der zunehmenden Unfähigkeit, das Sterben und den Tod als letzte Konsequenz des Lebens hinzunehmen.

Die isolierte Betrachtung der Einzelschicksale, wie jenes von Noah und Elodie, scheinen politische Sachzwänge zu rechtfertigen. Diese sind Vektoren einer fragwürdigen Entwicklung in der Fortpflanzungsmedizin, welche bereits in einen ethisch höchst problematischen Bereich vorgestossen ist. Dieser ist gekennzeichnet durch immer grotesker anmutende moralische Dilemmata, wie der vorliegende Fall zeigt.

Fortpflanzungsmedizin im roten Bereich

Die zunehmende Schwierigkeit einer verbindlichen Grenzziehung zwischen hochrangigen Forschungszielen auf der einen Seite und drohender Instrumentalisierung des werdenden Lebens im Sinne einer selektiven Eugenik (Menschenauswahl) auf der anderen Seite illustriert diesen Konflikt. Die ethische Diskussion der Präimplantationsdiagnostik zeigt auf, dass die Heiligkeit des werdenden Lebens bereits derart missachtet und von verschiedenen Interessengruppen angetastet wurde, dass die politischen Entscheide der letzten Jahre retrospektiv als Dammbrüche zu einer gefährlichen Entwicklung bezeichnet werden müssen.

Mehr zum Thema:
Bioethik-Kommission der Schweizer Bischöfe warnt vor Design-Babys

Mehr zur Sendung von SF1
Homepage der AGEAS www.ageas.ch
Vortrag der Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle (2203): „Der Mensch hat keinen Preis, sondern Würde“:

Autor: Dr. med. Daniel Beutler, Vorstandsmitglied AGEAS
Quelle: AGEAS - Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärztinnen und Ärzte der Schweiz

Datum: 06.06.2006

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung