«Solidargemeinschaft Schweiz»

Christen erwärmten sich für Grundeinkommen

«Bedingungsloses Grundeinkommen – der Himmel auf Erden?», fragte ChristNet letzten Samstag anlässlich eines Forums in Zürich. Auf einem Podium vertrat SP-Nationalrat Philipp Hadorn die Seite der Skeptiker. Rapperin «Big Zis» machte sich für die Initiative stark.
Das Podium mit Nationalrat Philipp Hadorn, Moderator Dorian Winter und Franziska Schläpfer
Heiner Schubert
Franziska Schläpfer alias «Big Zis»

Am ChristNetForum schritten die etwa dreissig Teilnehmenden zunächst zur Abstimmung, indem sie an einem «BGE-Thermometer» ihre Sympathie oder Skepsis für das Anliegen markierten. Die Streuung der Positionierungen war gross – eine ideale Voraussetzung für einen ebenso differenzierten wie kontroversen Nachmittag.

Solidargemeinschaft Schweiz?

Pfarrer Heiner Schubert eröffnete mit einem kreativen biblischen Input. Live zeichnete er das biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg – mit schnellem Strich, viel Humor und bemerkenswerter Ruhe. «Im Reich Gottes ist nicht das Leistungsprinzip massgeblich», führte Schubert aus. «Alle Arbeiter erhalten eine Art Grundeinkommen, ob sie den ganzen Tag oder nur eine Stunde gearbeitet haben.» Auch in der Communität Don Camillo in Montmirail (NE), in der Schubert lebt, erhalten alle ein Grundeinkommen. Das funktioniere gut. Allerdings sei es nicht ganz bedingungslos: «Wir verpflichten uns für eine gewisse Zeit, zusammen zu leben und füreinander da zu sein». Trotz grundsätzlicher Sympathie für das Grundeinkommen äusserte er Zweifel, ob die Solidargemeinschaft Schweiz ein genügend starkes Zusammengehörigkeitsgefühl habe, um nicht zu einer Neidgesellschaft zu verkommen.

Vertrauensvorschuss für alle

An der Podiumsdiskussion vertrat Franziska Schläpfer, Mitglied des Initiativkomitees, die Pro-Seite. Die Rapperin, bekannt als «Big Zis», und dreifache Mutter, sieht das bedingungslose Grundeinkommen als Vertrauensvorschuss an alle Menschen, genau wie Kinder von ihren Eltern zunächst einmal bedingungslos geliebt seien. Schläpfer appellierte an die Zuhörer, sich zuerst als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen, die sich gegenseitig unterstützt statt konkurriert: «Wir brauchen alle einander». Offen erzählte die 39-Jährige von Zeiten, in denen sie auf die schiefe Bahn geraten war und teilweise durchaus auch Druck und Leistungsanreize von aussen brauchte, um sich aufzufangen. «Am wichtigsten war aber, dass mir Menschen vertrauten, dass ich es schaffe.»

Utopie für Realpolitik ungeeignet

SP-Nationalrat und Gewerkschafter Philipp Hadorn stimmt mit dem Anliegen des BGE, die Chancengleichheit zu steigern, überein: «Missbrauch geschieht dort, wo Kapital auf Kosten der Arbeit Gewinn abwirft.» Grössere soziale Gerechtigkeit sei ja ein christliches Kernanliegen. Er sieht das BGE aber letztlich als Utopie, die eine wichtige gesellschaftliche Debatte anstossen könne, als Verfassungsvorlage aber ungeeignet sei. Das heutige, von Wirtschaftsinteressen dominierte Parlament würde die Umsetzung des BGE missbrauchen, um den Sozialstaat abzubauen, befürchtet Hadorn. Er plädierte dafür, die Vision einer gerechteren Arbeitswelt stattdessen auf pragmatische Weise zu verfolgen, die Sozialwerke zu sichern und eine gerechtere Einkommensverteilung in der Gesellschaft voranzutreiben.

Die Skepsis einer Betroffenen

Nach der Absage der BGE-Gegnerin FDP-Nationalrätin Doris Fiala wurde der frei gebliebene Platz zum «heissen Stuhl» erklärt, der spontan von Anwesenden besetzt werden konnte. So machte etwa eine IV-Bezügerin Frau Bolliger (Name geändert) aus Zürich deutlich, dass das BGE Menschen wie sie verunsichert: «2500 Franken werden nie reichen. Und arbeiten kann ich nicht», gab sie zu bedenken. Daniel Straub vom Initiativkomitee, der sich ebenfalls spontan auf das Podium begab, versicherte, kein Bedürftiger solle weniger Geld vom Staat erhalten als heute. Zugleich ermuntere er Frau Bolliger zu mehr Selbstbewusstsein: «Auch Sie arbeiten! Zum Beispiel, indem Sie sich hier an diesem Podium beteiligen.» Unser Arbeitsbegriff sei auf die Erwerbsarbeit verengt und veraltet, so Straub.

Das überaus lebendige und überraschende Forum klang mit Kleingruppen-Diskussionen, einem Gebet und einem spontanen Rap von «Big Zis» aus. Und noch einmal waren die Anwesenden aufgefordert, sich auf dem BGE-Thermometer zu positionieren: Die Markierungen verschoben sich insgesamt geringfügig nach oben, in den Bereich der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Keine Abstimmungsempfehlung

ChristNet hält die Debatte über das Grundeinkommen für wichtig und sinnvoll. So können zentrale christliche Themen wie soziale Gerechtigkeit, Solidarität und der Wert des Einzelnen diskutiert werden. Die «Denkfabrik» gibt zur Initiative vom 5. Juni aber keine Abstimmungsempfehlung ab.

Zum Thema:
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Datum: 26.05.2016
Autor: Samuel Ninck
Quelle: Livenet / ChristNet

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