Emotionale Abstimmung

Zum Rechtsstaat gehört auch die Abschaffung der Heiratsstrafe

Das Aufatmen nach der deutlichen Ablehnung der SVP-Durchsetzungsinitiative am Sonntag (mit 58,9% Nein) ist gross. Dass es für die Abschaffung der Heiratsstrafe bei Steuern und Renten (50,8% Nein) noch keine Verfassungsgrundlage gibt, nehmen die Kommentatoren dagegen locker. Ein Kommentar von Fritz Imhof.
Ehe
Livenet-Redaktor Fritz Imhof

Einhellig stellten sich die andern Parteien – mit Ausnahme der EDU – gegen die Durchsetzungsinitiative der SVP. Das Parlament hatte ja bereits ein strenges Ausschaffungsgesetz auf der Grundlage der SVP-Initiative beschlossen. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit wollten sie nicht preisgeben. Doch es brauchte eine breite Mobilisierung – von der Aktion libero von Studierenden bis zum Journalisten und Medienwissenschafter Peter Studer, von den Rechtsprofessoren bis zu den Künstlern. Die Parteien hätten es wohl nicht geschafft. Es brauchte einen «Aufstand der Zivilgesellschaft», wie es Kommentatoren bezeichnen. Man fühlt sich an diktatorische politische Systeme erinnert, wo nur mutige Zivilisten noch Widerstand leisten.

Ob die SVP nach dieser Niederlage das Powerplay für eine konservative Revolution mässigen wird, daran glaubt aber kaum einer. Sie wird ihre Ideologie der Rettung einer heilen Schweizer Nation durchziehen, auch mit Hilfe eines Teils politisch engagierter evangelikaler Christen. Für sie stehen Sicherheit und eine nicht überfremdete Schweiz über Werten wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gnade.

Möglicherweise hat die Mobilisierung vieler junger Leute gegen die Durchsetzungsinitiative zur Niederlage der CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe geführt. Die Polemik gegen die Bestätigung der klassischen Definition der Ehe dürfte gerade unter jungen urbanen Leuten verfangen haben. Für sie ist die Ehe lediglich eine von mehreren Optionen des Zusammenlebens. Und man will sie gleichgeschlechtlich orientierten Menschen nicht verweigern.

Weniger Druck auf Reform

Die heutigen Regelungen bei AHV und Pensionskassen können aber zu grösseren Ungerechtigkeiten führen als bei den Bundessteuern. Wenn zum Beispiel ein Witwer im Pensionsalter eine verwitwete Frau heiratet, kann die Heirat den Verlust gleich mehrerer Renten bedeuten. Aber in der Praxis trifft dies bald nur noch fromme Christen. «Selber schuld», sagen die heutigen Zeitgenossen. «Sie brauchen ja nicht zu heiraten, um miteinander zu leben». Ältere Menschen bis hinein in christliche Gemeinden umgehen so die Gesetze locker, die noch aus der Zeit stammen, als das Konkubinat verboten war. Sie sichern sich damit auch die volle AHV-Einzelrente an Stelle der plafonierten Rente für Ehepaare. Hier besteht ein echter Handlungsbedarf zugunsten der Verheirateten, dem aber nach der Abstimmungsniederlage der nötige Druck fehlt.

«Tanzverbot» gilt weiter

Bemerkenswert ist das Resultat der Initiative für die «Abschaffung des Tanzverbots» im Aargau. Das von der Piratenpartei, einem politischen Aussenseiter, lancierten Volksbegehren wollte die Einschränkung der Öffnungszeiten von Clubs, Beizen und Discos vor und nach hohen christlichen Feiertagen aufheben. Es wurde trotz Sympathie aus bürgerlichen Kreisen und Medien abgelehnt. Ein Signal, dass das unbeschränkte Nachtleben, dem die Politik die Tür geöffnet hat, allmählich Unterstützung verliert?

Zur Webseite:
Swissinfo.ch: Abstimmungsresultate Schweiz vom 28.02.2016
Abstimmungsresultate zum «Tanzverbot» im Aargau

Zum Thema:
Eine «Liebesstrafe»?: Reformierte Präsidenten lehnen Familieninitiative ab
Das laute Schweigen des SEK: Keine Stellungnahme zur CVP-Initiative gegen «Heiratsstrafe»
Familienpolitik: Bundesrat will «Heiratsstrafe» abschaffen

Datum: 29.02.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung