Heisse Debatte

Hat der ursprüngliche Islam ein Gewaltproblem?

In der NZZ hat der Vatikan-Ethiker Martin Rhonheimer mit unzweideutigen Aussagen zur Gewalt im Koran provoziert und eine Diskussion entfacht. Aber auch in zahlreichen andern Medien wird die Frage thematisiert, ob der Islam in seinen Wurzeln reformiert werden müsste.
Der traditionelle Islam: Eine Theologie der Gewalt?
Martin Rhonheimer
Christine Schirrmacher

In seinem Aufsatz hat Martin Rhonheimer schon im September 2014 – lange vor dem Attentat auf die Charlie Hebdo-Redaktoren Klartext gesprochen und damit auch Widerspruch ausgelöst.

Seine Aussagen sind aber heute aktueller denn je. Der Professor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom fordert, dass sich der Islam von «seiner Gründungsidee distanziert» und sein politisch-religiöses Doppelwesen aufgibt. Nur so sei auch eine Selbstreinigung möglich. Rhonheimers Fazit lautet: «Solange das nicht geschieht, wird es immer nur eine Frage der konkreten politischen Konstellation sein, ob und in welcher Form er sein gewalttätiges Gesicht zeigt.»

Lizenz zum Töten

Eine sehr provokante Folgerung aus den Gewaltaufrufen im Koran – zum Beispiel Sure 9,29: «Kämpft gegen diejenigen, die ... nicht der wahren Religion angehören...» lautet: «Die islamische Theologie besitzt keine argumentativen Ressourcen, um das Vorgehen des IS als 'unislamisch' zu verurteilen.» Im Islam gebe es kein generelles Tötungsverbot wie im Judentum und Christentum, aber eine generelle Tötungslizenz, zum Beispiel für Ungläubige, die sich der Konversion zum Islam widersetzen. Er zitiert Sure 9,5: «... tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf.»

In seinem Aufsatz «Töten im Namen Allahs» hebt er auch die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Islam und dem Judentum bzw. Christentum heraus. Das entscheidende dabei ist für ihn die Trennung von geistlicher und weltlicher Macht sowie das Tötungsverbot in den zehn Geboten und die Kritik an der Gewalt im Neuen Testament.

«Genau definierte Bedingungen...»

Rhonheimer hat nach der Publikation seines Aufsatzes Kritik von etlichen Islamwissenschaftern und andern Leuten erhalten, die sich für Islam-Experten halten. Heute würde die Kritik möglicherweise zurückhaltender ausfallen. Auch der oft von Medien zitierte Berner Islamwissenschafter Reinhard Schulze, der sich als Brückenbauer zwischen Islam und westlicher Welt versteht, negiert die Gewaltaussagen nicht, relativiert sie aber. In einem Interview in der «Grossen Islam-Serie» der Agentur kath.ch erwähnt er vier Koranstellen, die ein Tötungsgebot enthalten. Die Tötungsaufforderung habe aber «genau definierte Bedingungen» enthalten. Sie hätten sich auch auf die damaligen Bedingungen in Medina bezogen. Die Koranausleger seien sich dabei uneinig, ob es sich um eine einmalige Bestimmung handle oder ob dieses Gebot allgemein zu gelten habe.

Kampfaufrufe Mohammeds für ungültig erklären!

Fakt ist, dass die heutigen islamischen Krieger und Attentäter sich um solche Differenzierungen foutieren. Für die evangelische Islamwissenschafterin Christine Schirrmacher ist daher klar: «So lange die Kampfaufrufe Mohammeds und der Kalifen nicht für alle Zeiten für ungültig erklärt werden, wird der Islam sein Gewaltproblem nicht loswerden.» Denn das Vorbild Mohammeds als Kriegsherrn und das grundsätzliche Gebot, ihn in allem nachzuahmen, sei von der Theologie nie grundsätzlich relativiert worden. 

Schirrmacher forderte daher am 5. Februar im Rahmen der Berliner Sicherheitsgespräche zum Thema Islamismus eine innerislamische Debatte über Gewalt im Namen der Religion.
Schirrmacher erklärte: «Wir brauchen Bekenntnisse und Äusserungen von Theologen und Imamen zum Thema Religionsfreiheit.» Bis heute gebe es im Islam «keine grundsätzliche Absage» an die Lehre des gewalttätigen Dschihad oder eine allgemeine Zusage zur Gleichberechtigung für Frauen oder der Religionen.

Christentum und Islam

In der Diskussion mit Muslimen zum Thema sollten Christen nicht davon ablenken, dass es auch im Namen des Christentums schreckliche Gewalt gegeben hat. Doch sie können auf die ursprünglichen Quellen ihres Glaubens hinweisen. Hier finden sich Sätze wie «Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott, was Gott gehört.» Oder: «Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.» Das Christentum hat auch eine stark pazifistische Tradition entwickelt, die dem Islam fremd ist.

Das Glaubwürdigkeitsproblem, das die Berufung der Extremisten auf den Koran und andere frühe islamische Schriften hervorruft, ist schon heute Ursache, dass sich in Ländern wie dem Iran viele Menschen dem christlichen Glauben zuwenden. Darin liegt möglicherweise auch eine historische Chance.

Datum: 08.02.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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