Aarauer Neujahrskonzert mit 25 Glocken

Glocke

Aarau. In der Stadt Aarau ist zu Neujahr ein Konzert der besonderen Art erklungen. 25 Glocken spielten ein Volkslieder-Potpourri. An den Strängen sorgten sechs Personen für die Harmonie der mächtigen Klänge.

Die Melodien spielten die elf Glöckchen des Carillon im Obertorturm. Den Basso Continuo übernahmen die vierzehn Glocken der katholischen und der Stadtkirche. Während das Carillon per Hebel, Schnurzug und Hammer bedient wurde, brachte die bis zu acht Tonnen schweren Kirchenglocken ein Motor zum Schwingen. Hundert Menschen hörten bei Regenwetter den eigens vom Aargauer Blasmusiker Kurt Brogli komponierten Klängen zu.

Aarau einziger Produktionsstandort für Kirchenglocken

Es ist feierlich still in der russgeschwärzten Werkhalle mitten im Städtchen Aarau. Der Giessermeister prüft ein letztes Mal sorgfältig die Temperatur des dünnflüssigen Metalls, der "Glockenspeise", dann sticht ein Glockengiesser den Ofen an und gelbglühende Bronze fliesst lautlos über eine Rinne, verschwindet rasch in ein unauffälliges Loch in der Erde. Dampf braust durch eine zweite Öffnung aus dem gestampften Boden.

Der Meister, die beiden Glockengiesser und der Lehrling wissen es jetzt: Der Guss ist gelungen. Sie haben in wochenlanger Vorbereitung alles richtig gemacht. Befriedigt schauen auch die Vertreter der katholischen Pfarrei Birmensdorf, Kanton Zürich, die diese und eine weitere Glocke bestellt haben, um das Glockengeläut ihrer vor 25 Jahren erbauten Pfarrkirche zu ergänzen. Die Aarauer Glockengiesserei Rüetschi - in der Schweiz die letzte ihres Fachs - hat die Gäste eingeladen, Zeugen einer Prozedur zu sein, die in über 1.000 Jahren kaum verändert wurde.

Unsichtbar in der Erde

Das Produkt des Bemühens aber bleibt vorläufig verborgen. Die frisch gegossene Bronze darf nur ganz langsam abkühlen. So verbleibt die Glocke drei Tage in ihrem unterirdischen Verlies, bevor sie am dritten Tag ausgegraben, die aus Ton gebrannte Form zerschlagen und die Glocke auf diese Weise enthüllt wird.

Kirchenglocken sind das Produkt alter Handwerkskunst und vielleicht gerade deshalb legendenumwoben. Sie sind ein Signal nach innen und nach aussen, rufen die Menschen nicht nur zum Gebet, sie schlagen ihnen auch die Stunden. Als "Armsünderglocke" begleiteten sie in früheren Zeiten die Delinquenten zur Hinrichtung, als "Sturmglocke" erklangen sie bei Unwetter, Feuersbrunst oder heranrückendem Feind. Der Tod eines Menschen wird noch heute vielerorts durch die "Sterbeglocke" angezeigt. Die "Sonntagsglocke" kündigt den Gottesdienst an. Die "Festglocke" läutet zu feierlichen Anlässen, zu Prozessionen und zum Empfang hoher Gäste. Glockengeläut verkündet das Morgen- und Abendlob und erinnert am Mittag an die Verkündigung und Menschwerdung des Herrn.

Die Barbara-Glocke von Freiburg

So begleiten die Glocken die Menschen durch ihr ganzes Leben, erinnern sie an die Taten der Menschen und ihres Gottes, an die Vergänglichkeit ebenso wie die Ewigkeit. Noch immer tut dies auch der älteste Zeuge des Aargauer Giessergewerbes: Die Barbara-Glocke der Kathedrale Freiburg (Schweiz) ertönt nach 645 Jahren noch immer vom Glockenturm. "Im Jahr des Herrn 1367 bin ich im Monat Oktober gegossen, gemacht von Meister Walter Reber von Aarau", bezeugt die Glocke selbst mit einer Inschrift.

Seit der Mensch im 3. Jahrtausend begonnen hat, Metall zu verarbeiten, werden aus diesen Materialien Klangkörper gefertigt, finden sich Glocken und Glöckchen. Zu ihrer Verbreitung trug die unheilabwendende Kraft bei, die ihnen zugeschrieben wurde. An diesen Glauben erinnert noch heute, dass in der Schweiz die meisten Herdentiere nicht auf die Weide gelassen werden, ohne dass ihnen Schellen oder Glocken um den Hals gehängt werden.

Wann zum ersten Mal grosse Kirchenglocken gegossen wurden, wie wir sie heute kennen, ist nicht bekannt. Bei der Verbreitung der Glocken spielten jedenfalls die Klöster eine wichtige Rolle. Die ältesten erhaltenen Glocken datieren aus dem 7. Jahrhundert und sind aus Eisenblech mit Kupfernägeln zusammengeschmiedet und mit Kupfer überzogen. Eine von ihnen ist die Gallusglocke in der Sakristei der Stiftskirche in St. Gallen.

Die Mönche waren neben anderem auch Pioniere im Glockengiessen. Die frühesten schriftlichen Aufzeichnungen darüber gehen auf das 8. Jahrhundert zurück. Im Laufe des Mittelalters finden sich allmählich auch Glockengiesser aus bürgerlichem Stand in den Städten. Zugleich werden die Glocken grösser als bisher. Mangels geeigneter Transportmöglichkeiten werden sie dort gegossen, wo sie in Gebrauch genommen werden.

Während früher mehrere Betriebe genügend Nachfrage fanden, werden in Aarau, dem einzigen verbliebenen Fabrikationsstandort in der Schweiz, gegenwärtig noch 20 bis 30 Kirchenglocken pro Jahr gegossen. Aarauer Glocken läuten nicht nur in der Schweiz, sondern auf der ganzen Welt - in über 30 Ländern. Glockenguss, Ausrüstung, Konstruktion des Glockenstuhls sowie Sanierungsarbeiten sind die Haupttätigkeiten der Giesserei. Ausgeführt werden zudem auch Aufträge in den technisch verwandten Bereichen Kunst- und Industrieguss. Ausserdem sind auch Souvenirglocken, Zier-, Haus- und Herdenglocken in allen möglichen Grössen und Varianten im Angebot.

Datum: 04.01.2003
Quelle: Kipa

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