Schädliche Polemik

Ist Atheismus wirklich geisteskrank?

«Westeuropa und Nordamerika sind die einzigen Teile der Welt, wo die Geisteskrankheit des Atheismus herrscht.» Diese provozierende, wenn nicht verletzende These stellte Ulrich Parzany (74) bei einer «ProChrist Live»-Veranstaltungsreihe im sächsischen Plauen auf. Schade, denn Evangelisation funktioniert auch ohne Angriffe unter die Gürtellinie.
Ulrich Parzany.

Pfarrer Ulrich Parzany ist bekannt für seine kernige, eher laute Verkündigung. Er steht mit seiner Person für das Format der Veranstaltungsreihe «ProChrist» wie kein zweiter. Und was auch immer man von satellitenübertragenen Predigten hält – ihr einladender Charakter ist in der Vergangenheit immer deutlich geworden.

Die «Geisteskrankheit des Atheismus»

An fünf Abenden sprach Parzany bei einer «ProChrist Live»-Veranstaltungsreihe im sächsischen Plauen. Das evangelische Nachrichtenmagazin idea fasste seine Botschaft anschliessend unter dem markanten Zitat zusammen: «In Westeuropa herrscht die Geisteskrankheit des Atheismus». Nun wird es niemanden stören, dass der Redner einer Evangelisationsveranstaltung dort positiv vom christlichen Glauben spricht. Auch einen Vergleich mit anderen Denkansätzen würde man von Parzany und seinen Kollegen geradezu erwarten. Idea erklärt denn auch: «Nach seinen Worten hat jeder Mensch einen Gott, auch diejenigen, die sich als Atheisten bezeichneten. Die höchste Instanz, die das Leben eines Menschen bestimme, sei sein Gott.» Schwierig wird es allerdings mit Statements wie dem obigen.

Das Positive der Botschaft

Die Ausrichtung und Themenwahl der ProChrist-Abende in Plauen unterschied sich nicht wesentlich von denen der Vergangenheit: die Suche nach Gott, die Frage nach dem Leid, die Herausforderung für ein Leben mit Christus. Und sicher ging es auch hier um das Positive und Einladende der Botschaft von Jesus Christus. Ob die prominente Herausstellung der Geisteskrankheitsthese in Parzanys Absicht lag oder erst durch die journalistische Verarbeitung an Prominenz gewonnen hat, lässt sich aus der Ferne nicht erkennen. Tatsache ist allerdings, dass sie beleidigend ist.

Anderen begegnen wie Jesus

Oft, wenn viele Christen zusammenkommen, die sonst im Alltag eher die Erfahrung machen, in der Minderheit zu sein, ergibt sich ein Eindruck der Stärke. Das Wir-Gefühl wächst. Und plötzlich sagt man Dinge, die man als guter Gastgeber eigentlich seinen Gästen nicht sagt. Wohlgemerkt: Wir befinden uns bei einer Evangelisation! Und hoffentlich sind da jede Menge Atheisten und Suchende, Esoteriker und sonstige Interessenten am christlichen Glauben zu Gast. Da ist es eigentlich eine Frage des guten Tons, ihnen zu begegnen, wie Jesus das früher getan hat: Ohne Abrechnung und Vorwurf, auf Augenhöhe, ohne Verletzung. Dafür aber durchaus liebevoll herausfordernd.

Polemik ist nicht das Mittel der Wahl

«Geisteskrankheiten können als Oberbegriff für jede Art von seelischer Störung verstanden werden oder spezieller als Psychose, d. h. als Krankheitsgruppe mit klinisch stärker ausgeprägter Symptomatik und eher ungünstiger Prognose.» (Wikipedia) Beschreibt das die Menschen, die wir als Christen mit unserem Leben und Reden zu Jesus einladen möchten? Gestörte Personen, für die eigentlich keine Hoffnung besteht? Ich denke, dass Ulrich Parzany das nicht so gemeint hat. Aber ich fürchte, dass es vielfach genauso verstanden wird. Genau hier liegt das Problem bei polemischen Angriffen, bei Schenkelklopfern auf Kosten derjenigen, die wir doch eigentlich «erreichen» wollen, bei Schlägen unter die Gürtellinie: Aussagen wie diese sind nie der Beginn einer fruchtbaren Diskussion – sie sind ihr Ende. Sie lassen sich kaum sachlich weiterführen, weil sie persönlich gemeint sind und persönlich ankommen. Sie sind nicht heilsam, sondern verletzend.

«I have a dream»

So wie Martin Luther King habe auch ich einen Traum. Es ist der Traum, dass wir Christen es eines Tages schaffen, die gute Nachricht gute Nachricht sein zu lassen. Dass Gott durch uns Menschen gewinnen kann, weil unser Reden und Handeln zusammenpasst und auch für diejenigen attraktiv ist, die glaubensmässig eigentlich ganz anders denken.

Zum Thema:
Kommentar: Unnötige Polemik schadet allen Christen
Ulrich Parzany: «Der Kirche fehlt die Leidenschaft zur Evangelisation»

Datum: 06.07.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung