Kommentar

Wulffs Illusion

Christian Wulff. (Foto: Wikipedia / Martina Nolte)

Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Wenn Millionen Muslime in Deutschland leben, gehört ihre Religion doch nicht zu dem, was die freiheitliche Bundesrepublik ausmacht. Christian Wulff, der Bundespräsident aus der grossen C-Partei, irrt, wenn er in der Grundsatzrede zur deutschen Einheit den Islam ohne weiteres in sein Land einbinden will. («Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.») Dass ihm aus seiner eigenen Partei Widerspruch entgegenschlägt, hat gute Gründe. Ein nüchterner Beobachter hat vor Jahren formuliert, dass es zwar gemässigte Muslime gibt, aber keinen gemässigten Islam.

Die Religion aus der arabischen Wüste entzieht sich – allen blauäugigen und schönrednerischen Versuchen zum Trotz – der Modernisierung. Wer an der absoluten Geltung des Koran (als vom Himmel gefallenes Buch) rüttelt, den verachtet die grosse Mehrheit der Muslime, jedenfalls der praktizierenden. Mit Koran und Hadith (vom Mohammed überlieferte Sprüche) stehen die Forderungen der Scharia wie vor Jahrhunderten im Raum – auch wenn jetzt erst Islamisten ihre umfassende Durchsetzung in Recht und Gesellschaft fordern. In wichtigen islamisch geprägten Ländern von Algerien über Ägypten und Pakistan bis nach Indonesien ist der Islamismus zwar minoritär, aber virulent und tonangebend. Bezeichnend ist, dass Angela Merkel sich am Mittwoch vor der Presse zur Erklärung gedrängt fühlte: «Es gilt bei uns das Grundgesetz, nicht die Scharia.»

Bei seinem bejubelten Auftritt in Köln 2008 sagte der türkische Ministerpräsident Erdogan, dass «unsere Kinder selbstverständlich Türkisch lernen werden». Die Trennung von Staat und Religion in der Türkei ist eine Fiktion, da der Staat die sunnitische Gemeinschaft privilegiert und für seine Zwecke einsetzt. Wie sonst ist die Praxis zu erklären, dass das Religionsamt in Ankara den hiesigen Gemeinden seine Imame gesandt, sie bezahlt und nach vier Jahren wieder zurückgerufen hat, ihre Integration verhindernd?

Vom ZDF-Moderator Klaus Kleber gefragt, wie denn der Islam Deutschland bereichere, nannte der in der CDU politisierende Muslim Bülent Arslan Familie und Solidarität. Tatsächlich halten türkische Familien zusammen – aber nicht so, wie Europa es will: Die meisten verweigern ihren Mitgliedern Freiheiten, die für uns grundlegend sind, namentlich den Religionswechsel. Wird ein Türke Christ, verletzt dies in den allermeisten Fällen die Ehre seiner Familie. Denn die nationale Identität der Türken erwuchs aus dem Kampf der Osmanen gegen die Byzantiner. Der türkische Nationalismus (aus dessen Dunstkreis die Mörder von Hrant Dink und anderen Christen kamen) hat Anhalt im Islam, auch wenn er sich in dem von Atatürk gegründeten modernen Staat längst verselbständigt hat.

Familie und Solidarität pflegen Türken und andere Muslime vielfach auch in positiver, vorbildlicher Weise; das ist unbestritten. Aber Europa-kompatibel sind diese Werte erst, wenn ein Türke ebenso ungehindert Christ werden und als Christ leben kann, wie eine Deutsche zum Islam konvertieren und als Muslima leben darf. Dann gehören die Muslime – nicht der Islam – zu Deutschland.

Datum: 09.10.2010
Autor: Peter Schmid

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