Das finanzielle Dilemma

Ethik versus Geld im Gesundheitswesen

Wenn die steigenden Kosten bei Krankenhäusern, Pharmafirmen und Ärzten angeprangert werden, wird meistens übersehen, dass die «Anbieter» von Gesundheitsdienstleistungen in einem Dilemma stecken. Albrecht Seiler, Leiter der Klinik SGM in Langenthal, erklärt es.
Albrecht Seiler (Bild: zVg)

Therapeuten, Ärzte und Pflegende wollen Menschen helfen, sie unterstützen und heilen. Sie sehen sich ethisch dem Einsatz für Menschen verpflichtet und setzen Ressourcen und Kreativität ein für Dienstleistungen und Therapien. Unter diesem Blickwinkel können Dienstleister und Institutionen mit dem Sammelbegriff «Gesundheitswesen» zusammengefasst werden.

Krankheit bedeutet Existenz für das Medizinpersonal

Das gleiche Szenario kann jedoch auch aus einer anderen Perspektive betrachtet werden: Jeder Mediziner, Therapeut oder Dienstleister erzielt Einnahmen durch die Behandlung von körperlichen oder psychischen Störungen. Die eigene wirtschaftliche Existenz hängt von der Existenz der Krankheit ab. Ehrlicherweise müsste man daher von einem «Krankheitswesen» reden statt von einem «Gesundheitswesen».

Die Akteure im Gesundheitswesen befinden sich damit in einem unlösbaren Dilemma. Einerseits sind sie ethisch der Förderung von Gesundheit verpflichtet, gleichzeitig wäre die eigene wirtschaftliche Basis zerstört, wenn alle Krankheiten geheilt wären. Ethik und Gewinnerzielung stehen einander unvereinbar gegenüber.

Der deutsche Schriftsteller Eugen Roth (1895–1976) wird vielerorts mit folgendem Gedicht zitiert, das dieses Dilemma prägnant ausdrückt:

Das fatale Gleichgewicht
Was bringt den Doktor um sein Brot?
a) die Gesundheit, b) der Tod.
Drum hält der Arzt, auf dass er lebe,
uns zwischen beiden in der Schwebe.

Der Markt funktioniert hier nicht

Beobachter von Entwicklungen im Gesundheitswesen sehen vielerorts Auswirkungen dieses Dilemmas und formulieren Fragen wie:

  • Werden bei chronischen Erkrankungen die Ziel- oder Normwerte gesenkt, um die Gesundheit der Menschen zu fördern? Oder werden durch tiefere Werte mehr Menschen als «krank» definiert und somit als «behandlungsbedürftig», damit mehr Medikamente verkauft, mehr Untersuchungen abgerechnet und mehr Umsatz generiert werden kann?
  • Helfen Behandlungsstrategien und Eingriffe dem Patienten oder dienen sie eher den Gewinnerzielungsabsichten des Dienstleisters? Wer profitiert von der Zunahme von zum Beispiel Gelenkoperationen oder Magnetresonanztomographien (MRI) wirklich? Erschwerend kommt hinzu, dass im Gesundheitswesen keine direkte wirtschaftliche Beziehung zwischen dem «Dienstleister» und dem «Kunden» existiert. Zusammen mit dem Staat und den Versicherungen besteht das System aus vier Instanzen und kann sich nicht mehr nach den Mechanismen eines Marktes selbst regulieren.

Ein Lösungsansatz

In den USA suchten nach dem zweiten Weltkrieg die Gründer von «Kaiser Permanente» neue Wege. Um die industrielle Wirtschaftskraft zu steigern, sollte eine effiziente Gesundheitsversorgung für Arbeiter aufgebaut werden. Dazu bauten sie eine «Health Maintenance Organisation» (HMO) auf. HMOs sind, vereinfacht gesagt, Versicherer und Gesundheitsdienstleister in einem. Der Gewinn einer HMO steigt, wenn es gelingt, durch eine effektive Prävention Krankheiten vorzubeugen oder den Gesundheitszustand durch effiziente Massnahmen rasch und nachhaltig zu verbessern. Jedes «Zuviel» an Behandlung schmälert den Gewinn. Aber auch ein «Zuwenig» zieht erhöhte Folgekosten nach sich und sollte vermieden werden. In einer solchen HMO gehen Gewinnerzielung und Ethik in die gleiche Richtung. Das eingangs beschriebene Geld-Dilemma besteht so nicht.

Aus den dargelegten Überlegungen folgt, dass eine nachhaltige Weiterentwicklung im westlichen «Gesundheitswesen» nur gelingen kann, wenn dem Dilemma «Ethik versus Gewinn» die entsprechende Beachtung geschenkt wird.

Zum Autor

Dr. med. Albrecht Seiler ist Chefarzt der Klinik SGM Langenthal, einer christlichen Fachklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

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Datum: 19.11.2016
Autor: Albrecht Seiler
Quelle: Magazin INSIST

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