Beim Abendmahl

Gottes Gastfreundschaft erleben

Das Abendmahl ist eine der wenigen geistlichen Handlungen, die die gesamte Kirche gemeinsam hat. Ein weit verbreitetes Problem in unseren Gemeinden ist, dass sich das, was so gut sein sollte, einfach nicht gut anfühlt: ernst, traurig, bedrückend und belastet von der Frage, ob ich würdig genug bin… Vor dem Hintergrund der orientalischen Gastfreundschaft stellt sich das Abendmahl aber ganz anders dar.
Abendmahl

Die Bibel enthält eine ganze Menge Beispiele von gelebter Gastfreundschaft. Bis heute ist sie für den Nahen Osten geradezu sprichwörtlich. Natürlich lassen sich solche Beispiele für das Bewirten eines Gastes nicht direkt auf das Abendmahl übertragen. Sie bilden aber sehr wohl den gesellschaftlichen Hintergrund, auf dem Jesus das Abendmahl einsetzte. Ohne das Konzept der Gastfreundschaft bleibt Abendmahl unverständlich. Dies wird schon ganz am Anfang der Bibel deutlich – bei Abraham.

Gott kommt als Freund

Abraham gibt uns ein typisches Beispiel orientalischer Gastfreundschaft. Um die Mittagszeit sah er drei Männer an seiner Zeltsiedlung vorbeigehen. Sofort sprang er auf, ging zu ihnen hin und lud sie ein mit den selbstverständlichen Worten: «Ich will euch etwas zu essen bringen, damit ihr danach gestärkt weiterreisen könnt. Denn deshalb seid ihr ja bei mir vorbeigekommen.» (Die Bibel, 1. Mose Kaptel 18, Vers 1-5)

Im dünn besiedelten Israel kam man nicht zufällig vorbei. Entweder zog man einen weiten Bogen um eine Ansiedlung oder Zeltstadt oder man ging hin. Und wer hinging, kam entweder als Feind oder als Freund. Abraham hatte noch keine Ahnung, wer ihn da besuchte – dass Gott persönlich zu ihm kam. Doch wie jeder Beduine wollte er sich der Freundschaft seiner Besucher versichern. Wer nämlich gemeinsam am Tisch sitzt und isst, der verbündet sich dadurch mit dem anderen, man wird füreinander verantwortlich. Kein Wunder, dass es für Menschen aus dem nahöstlichen Kulturkreis bis heute schwer ist, wenn sie uns einladen und wir freundlich-europäisch reagieren: «Danke, nein. Ich habe gerade keinen Hunger.» Was wir sagen, klingt in ihren Ohren nach: «Ich habe kein Interesse an dir und will mir die Möglichkeit offenhalten, gegen dich vorzugehen.»

Zurück zum Thema Abendmahl. Welches Signal sendet Gott an Abraham (und uns) durch diesen Besuch? Dieses Zu-Gast-Kommen? Er sagt: «Ich komme als Freund. Du hast nichts von mir zu befürchten. Ich wünsche mir, dass du für mich da bist, so wie ich für dich da sein werde.» Dieser Hintergrund schwingt bei jeder Einladung zum Essen mit – auch beim Abendmahl.

Gott kommt auf Augenhöhe

Im Neuen Testament erweitert Jesus diesen Gedanken der Gastfreundschaft noch um wichtige Aspekte. Permanent wurde er dafür angeklagt, zu enge Gemeinschaft mit Leuten zu pflegen, mit denen «man» nichts zu tun hat: Zöllnern, Prostituierten – eben Sündern. Doch gerade die fühlten sich in seiner Gesellschaft, mit ihm am Esstisch, sauwohl. Die wohl bekannteste Geschichte davon illustriert das deutlich: «Zachäus!, sagte Jesus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute Gast in deinem Haus sein.»Der Zöllner verliess seinen Aussichtsplatz im Baum direkt. «Zachäus kletterte so schnell er konnte hinunter und geleitete Jesus voller Aufregung und Freude in sein Haus.» (Die Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 19, Vers 5 bis 9)

Im Rückblick erkennen wir staunend, dass hier ein Leben mit Gott in Ordnung kommt, dass Gottes Liebe geradezu Kreise im ganzen Umfeld dieses Mannes zieht. Damals wurde die Begegnung viel kritischer gesehen. Männer und Frauen, Arme und Reiche, Sünder und Gerechte – sie alle hatten keine wirkliche Gemeinschaft beim Essen. Denn das hätte ja bedeutet, dass man sich auf Augenhöhe begegnen würde. Dass man sich mit niedrigeren Menschen gemein machen würde. «Ja», sagt Jesus dazu, «genau das ist mein Anliegen, wenn ich Menschen begegne, wenn ich mich mit ihnen an einen Tisch setze. Niemand muss sich 'passend machen' oder unverrichteter Dinge wieder gehen.» Gott kommt tatsächlich auf Augenhöhe mit uns.

Gott kommt als Retter

Ab jetzt geht es tatsächlich um das Abendmahl. Allerdings nur für uns und im Rückblick. Für die Jünger war es zunächst ein fast normales Abendessen, zu dem Jesus sie eingeladen hatte (Die Bibel, Markusevangelium, Kapitel 14, Verse 17 bis 25). Festlich war es und exklusiver als sonst, wo die Jüngergruppe wohl meist noch andere Gäste dabei hatte. Trotzdem war die Stimmung sicher nicht besonders fröhlich: Zu deutlich hatte Jesus sich während der Festtage mit den Autoritäten in Jerusalem angelegt. Das musste einfach Konsequenzen haben…

Und beim Essen hielt er auch noch fest: «Ich sage euch aber: Einer von euch wird mich verraten, einer, der hier mit mir isst.» Erschrocken fragte ihn einer nach dem anderen: «Das bin doch nicht ich, oder?» (Verse 18 bis 19) Mehr noch als die Frage, zeigen die erschrockenen Antworten: Jeder Jünger stand kurz davor. Keiner war als Glaubensheld dabei. Wir sehen hier keine «Gemeinschaft der Heiligen», sondern eine der Versager. Und als das jedem der Anwesenden klar war, änderte Jesus den Ablauf des Essens und die üblichen Dankgebete für Brot und Wein. Er brachte diese Lebensmittel (im wahrsten Sinne des Wortes!) mit sich und den Zwölfen in Beziehung. Und er unterstrich damit Gottes Vergebung, seinen neuen Bund mit den Menschen. Mit normalen, versagenden Menschen. Keiner der Jünger wird diesen Abend je vergessen haben!

Als Jesus das Abendmahl einsetzte, hat die besonders tiefe Beziehung zueinander, der starke Glaube, die ausgeprägte Hoffnung überhaupt keine Rolle gespielt. Selbst Judas sass mit am Tisch! Was Jesus dagegen deutlich machte, war seine Gastfreundschaft, seine Einladung an jeden. Es war sein Angebot: «Ich komme als Retter – für dich.»

Gott kommt für alle

Eine ganze Weile später beantwortete Paulus Fragen, die er aus der Gemeinde in Korinth bekommen hatte, mit einem Brief. Dabei bezog er sich auch auf das Abendmahl (Die Bibel, 1. Korintherbrief 11, Verse 17 bis 33). Allerdings sagte er nie (!), dass sich jeder prüfen und im Zweifelsfall auf das Teilnehmen am Abendmahl verzichten sollte. Paulus sprach Missstände in Korinth klar an. Offensichtlich assen sich Reiche satt und Arme blieben hungrig, offensichtlich betranken sich einige sogar. Dieses «unwürdige» Verhalten sollten sie abstellen. Es bezieht sich aber nicht auf ein Prüfungsverfahren, in dem man sich selbst oder jemanden anderen einschätzt, ob man würdig genug ist.

Ich glaube, Paulus hätte Spass daran, dass gerade seine Sätze an die Korinther – «Das Folgende hat der Herr selbst gesagt, und ich gebe es euch so weiter, wie ich es empfangen habe…» – in vielen Gemeinden zu den Einsetzungsworten des Abendmahls geworden sind. Es hätte doch auch andere, vorzeigbarere Gemeinden gegeben: Ephesus, Philippi, eigentlich alle. Doch vielleicht unterstreicht gerade das Abendmahl in Korinth, in einer Gemeinde, die mit menschlichen Problemen, mit Schuld und mit vielen Fragen kämpfte, einen Schwerpunkt des Abendmahls: Gott kommt für alle. Für die Christen in Korinth. Für dich. Und für mich. Und damals wie heute setzt er sich gern mit uns an einen Tisch und lädt uns ein, das Abendmahl mit ihm zu feiern.

Zum Thema:
Die Zürcher Reformierten: Pfarrerkirche im 21. Jahrhundert
Fronleichnam: Wie die ersten Christen Abendmahl feierten

Datum: 26.04.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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