Seiner Beobachtung nach ist die Befreiungstheologie ebenso von der Bildfläche verschwunden wie ihre “Basisgemeinden”. Die Theologie der Befreiung sei zwar aus dem richtigen Gedanken geboren worden, dass sich eine reiche Kirche um arme Menschen zu kümmern habe. Die Theologie selbst sei aber auf Illusionen aufgebaut gewesen. Die angekündigten Veränderungen seien nicht eingetreten; Korruption, Ungerechtigkeit und Armut habe es weiterhin gegeben. Heute wendeten sich viele Menschen den Pfingstgemeinden zu. Zwischen 1991 und 2000 habe der Anteil der Evangelischen an Brasiliens Gesellschaft um mehr als 70 Prozent zugenommen (von 9,1 auf 15,5 Prozent), heute seien 26 Millionen Brasilianer evangelisch. Steuernagel sieht allerdings auch das rasante Gemeindewachstum bei Evangelikalen und Pfingstlern kritisch. Zu häufig werde ein Evangelium gepredigt, das Wohlstand verspreche. Auch die umstrittene “Geistliche Kriegsführung”, bei der angeblich ganze Regionen durch Gebet von Dämonen befreit werden, falle in Südamerika auf fruchtbaren Boden. Trotz der starken Zunahme an Evangelikalen sei die brasilianische Gesellschaft nicht gerechter, der Anteil der Armen nicht geringer geworden. “Wir müssen uns fragen, was für ein Evangelium wir predigen und was für Gemeinden wir bauen.” Den neuen Bewegungen fehle häufig das Interesse an fundierter Theologie. “Die Marketing- und Verkaufsfähigkeiten sind wichtiger geworden als ein theologisches Diplom und manchmal sogar wichtiger als die klassischen Grundlagen der Theologie”, kritisierte Steuernagel.Marketing wichtiger als Theologie
Datum: 21.08.2002
Quelle: idea Deutschland