Rowan Williams

Künftiges geistliches Oberhaupt der Anglikaner wird "Ehrendruide"

London - Rowan Williams, das künftige geistliche Oberhaupt der weltweit 70 Millionen Anglikaner, will sich noch vor seiner Amtseinführung Anfang November in einen Druidenorden aufnehmen lassen. Die Zeremonie ist zum Auftakt des walisischen Sänger- und Dichterwettstreits geplant, der vom 3. bis 10. August im westwalisischen St. David's stattfindet. Die Druiden sind eine vor über 2'000 Jahren entstandene keltische Priesterkaste. Der 1781 in London gegründete Orden weist Ähnlichkeiten mit dem Freimaurertum auf. Er will die Humanisierung der Menschheit sowie Kunst und Musik fördern. Williams wird vom walisischen Erzdruiden, Robyn Lewis, in den höchsten Rang des Ordens "Gorsedd of the Bards" aufgenommen. Der Erzbischof wird, in eine weiße Robe gekleidet und der Sonne zugewandt, unter Gebet zur "Göttin des Landes" als Ehrendruide eingeführt. Lewis wies Vorwürfe zurück, dass der Orden ein heidnischer Geheimbund sei. Man befasse sich lediglich mit den schönen Künsten. Auch andere anglikanische und katholische Bischöfe sowie die englische Königin gehörten dem "Gorsedd" an. Gleichwohl ist die Zeremonie auf Kritik in der "Kirche von England" gestoßen. David Banting, Vorsitzender der evangelikalen Gruppierung "Reform", sagte der Tageszeitung "The Times", kirchliche Führungspersonen sollten sich darauf konzentrieren, den christlichen Glauben zu fördern und zu feiern. Der 52jährige Williams, der als brillanter liberaler Theologe gilt, ist der erste Waliser überhaupt, der der Church of England, der anglikanischen Kirche in England, vorstehen wird. Er tritt die Nachfolge des seit elf Jahren amtierenden George Carey (66), an, der am 31. Oktober, drei Jahre vor Erreichen der Altersgrenze, in den Ruhestand tritt. Theologisch Konservative kommentierten die Wahl des neuen Erzbischofs von Canterbury zurückhaltend. Geoffrey Kirk, Generalsekretär der Traditionalistenbewegung "Vorwärts im Glauben", bezeichnete die Ernennung gegenüber der ökumenischen Nachrichtenagentur ENI als "riskante Strategie". Der Leiter der "Kirchengesellschaft", Pfarrer David Philips, sagte, man erkenne zwar die intellektuellen Fähigkeiten von Williams an, aber in einigen wichtigen Punkten vertrete der Erzbischof "unbiblische und kirchenspaltende Ansichten". Führende Evangelikale wollen so bald wie möglich mit Williams sprechen. Die Evangelische Allianz, die rund eine Million Evangelikale aus verschiedenen Kirchen vertritt, begrüßte die "bedeutsame und phantasievolle Ernennung". "Rowan Williams verbindet herausragende Gelehrtheit mit persönlicher Wärme und Respekt für andere Ansichten", erklärte Allianzgeneralsekretär John Smith. Er hoffe auf einen "konstruktiven Dialog". Gleichzeitig würdigte er die Verdienste George Careys, der die traditionelle Kirchenlehre aufrechterhalten habe, beispielsweise im Blick auf die Einzigartigkeit Jesu Christi und die Lehre von der Auferstehung Jesu. Carey selbst hatte auf dem Amsterdamer Kongreß für Weltevangelisation im Jahr 2000 erklärt, er wolle als missionarischer Bischof in Erinnerung bleiben. Er nahm im Blick auf den Umgang mit Homosexualität eine eher konservative Haltung ein und unterstützte 1998 eine Erklärung, daß praktizierte Homosexualität nicht in Einklang mit der Heiligen Schrift stehe. Außerdem warnte er Ende Juni vor einer Spaltung der anglikanischen Gemeinschaft, nachdem eine Diözese in Kanada die Segnung geschlechtlicher Paare ermöglicht hatte. Besonders in der Dritten Welt regt sich Widerstand gegen theologisch und ethisch liberale Entwicklungen. Der nächste Erzbischof von Canterbury machte sich zuerst als Theologe einen Namen. Rowan Williams wurde mit 36 Jahren zum jüngsten Professor der Universität Oxford berufen. Später wechselte er nach Cambridge. 1991 wurde er Bischof von Monmouth und 1992 Erzbischof von Wales. Er ist verheiratet mit einer Theologin. Mit seiner Frau Jane hat er zwei Kinder, die 14jährige Rhiannon und den sechsjährigen Pip. Williams selbst sagte, er sei "überwältigt" von seiner Ernennung. Er sehne sich vor allem danach, daß das Christentum wieder die Kultur und das Denken und Fühlen in seinem Land in Beschlag nehmen möge. In seinem jüngsten Buch "Lost Icons" (Verlorene Ikonen) kritisiert er die Auswirkungen einer "Disney-Kultur" auf Kinder. Das "Merchandising" des Unterhaltungskonzern, das Filme mit immer neuen Fan-Produkten begleitet, erziehe Kinder zum Markendenken. K O M M E N T A R Was ist von dem neuen Oberhaupt der Anglikaner zu erwarten? Der Waliser Rowan Williams muss eine drohende Spaltung der Kirchengemeinschaft abwenden
Rowan Williams

Wolfgang Polzer
Das kleine Volk der nicht einmal drei Millionen Waliser hat eine erstaunliche Zahl genialer Persönlichkeiten hervorgebracht. Zu den "Dichtern und Sängern" des keltischen Landes zählen, um nur wenige zu nennen, der Schriftsteller Richard Llewellyn (So grün war mein Tal), der Poet Dylan Thomas (Unter dem Milchwald), der Schauspieler Richard Burton und die Pop-Ikonen Shirley Bassey und Tom Jones. Sie gingen aus dem kargen Land im Westen der britischen Inseln hervor, in dem man inzwischen wieder stolz auf die eigene Sprache (Kymrisch) ist, die immerhin jeder fünfte fliessend spricht. Einer, der sie als Muttersprache beherrscht, ist auch der künftige "Erzbischof von Canterbury", der als erster Waliser geistliches Oberhaupt der "Kirche von England" und damit auch der weltweit 70 Millionen Anglikaner wird. Der Erzbischof von Wales, 1950 in der Hafenstadt Swansea geboren, wurde am 23. Juli von Königin Elizabeth II. - Oberhaupt der englischen Staatskirche - auf Vorschlag von Premierminister Tony Blair zum Nachfolger von George Carey ernannt. Der 66jährige tritt nach elfjähriger Amtszeit am 31. Oktober, drei Jahre vor der Altersgrenze, in den Ruhestand. Was ist von Williams zu erwarten?
Er ist ohne Zweifel ein brillanter Geist - mit 36 Jahren wurde er der jüngste Professor der Universität Oxford - und ein herausragender liberaler Theologe, der sich bestens in der Christenheit und Kirchengeschichte auskennt. Sieben Sprachen, darunter auch Deutsch, spricht Williams, dem die Universität Erlangen 1999 die Ehrendoktorwürde verlieh. Und er ist eben ein echter Waliser, denn zu seinen 14 Büchern zählen auch zwei Gedichtbände. Sein glänzender Intellekt mag den Ausschlag für Premierminister Tony Blair, selbst Anglikaner, gegeben haben, sich für Williams zu entscheiden und nicht für den Bischof von Rochester, Michael Nazir-Ali. Es wird vermutet, dass der gebürtige Pakistani als Alternativkandidat vorgeschlagen war. Ansonsten verwundert Blairs Wahl, denn Williams hat sich - obwohl Labour-Anhänger - in jüngster Zeit nicht gerade als Freund der Blairschen Anti-Terror-Politik geoutet. Im Gegenteil: Der Erzbischof, der schon einmal 1985 bei einer Demonstration vor einer US-Militärbasis festgenommen worden war, verurteilte die britische Beteiligung am Militäreinsatz in Afghanistan und bezeichnete einen möglichen Schlag gegen Irak als "unmoralisch".

Ein Herz für Homosexuelle, Priesterinnen und Kinder

Für ganz und gar nicht unmoralisch oder unbiblisch hält er hingegen Homosexualität: Er hat nach eigenen Angaben auch schon einmal Schwule und Lesben ordiniert. Ferner spricht er sich für die kirchliche Wiederheirat Geschiedener aus, was einer Trauung des Thronfolgers Prinz Charles mit seiner Geliebten Camilla Parker Bowles den Weg ebnen würde. Auch gegen die umstrittene Ordination von Frauen zum Bischofsamt hat Williams nichts einzuwenden. Doch haben Hunderte anglikanische Geistliche vor allem wegen der Frauenordination ihre Kirche verlassen; 228 arbeiten inzwischen als römisch-katholische Priester in England und Wales. Ein Herz für Kinder offenbart der mit der Missionarstochter und Theologin Jane verheiratete zweifache Vater - Tochter Rhiannon ist 14 und Sohn Pip sechs Jahre alt - in seinem jüngsten Buch "Lost Icons" (Verlorene Ikonen). Dort geisselt er die Kommerzialisierung und Sexualisierung der Jugend durch eine "Disney-Kultur".
Den heidnischen Traditionen seines Volkes steht er hingegen offen gegenüber: Noch vor seiner Amtseinführung wird er sich beim walisischen Sänger- und Dichterwettstreit, der National Eisteddfod, vom 3. bis 10. August im westwalisischen St. David's in den höchsten Grad des Druidenordens, den "Gorsedd of the Bards", aufnehmen lassen. Im Morgengrauen wird Erzdruide Robyn Lewis den Erzbischof, in eine weisse Robe gekleidet und der Sonne zugewandt, unter Gebet zur "Göttin des Landes" in den "Gorsedd" aufnehmen. Das Vorhaben hat dürfte nicht nur unter Evangelikalen Stirnrunzeln hervorrufen. Die Druiden sind eine vorchristliche keltische Priesterkaste, und ihr 1781 in London gegründeter Orden weist Ähnlichkeiten mit dem Freimaurertum auf.

Sorge über Offenheit für keltische Druiden-Tradition - Wales war Erweckungsgebiet

Das alles lässt Sorgen über die Zukunft der anglikanischen Christenheit innerhalb und ausserhalb von Wales aufkommen. Das Land ist seit dem 18. Jahrhundert immer wieder Erweckungsgebiet gewesen, in dem sich zahlreiche "nonkonformistische" Gruppen und Gemeinden erhalten haben. Auch feurige Prediger hat Wales hervorgebracht wie den Arzt und Theologen Dr. Martyn Lloyd-Jones, der in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Anglikaner John Stott heftige Auseinandersetzungen um die Frage führte, ob die Evangelikalen aus den etablierten Kirchen ausziehen sollten. Lloyd-Jones war dafür, Stott dagegen. Noch immer blüht das geistliche Leben in Wales vor allem in den meist presbyterianisch geprägten "nonkonformistischen" Gemeinden. Den besten Gottesdienstbesuch in der Hauptstadt Cardiff dürfte die unabhängige "Heath Evangelical Church" haben, zu deren beiden Gottesdiensten am Sonntag sich jeweils rund 700 Gäste einfinden, darunter eine grosse Zahl von Studenten.

Kommt es in sechs Jahren zum Bruch der anglikanischen Gemeinschaft?

Dass künftig an der Spitze einer grossen christlichen Weltgemeinschaft ein Waliser steht, der sich heidnischen Traditionen aussetzt, der zudem biblisch fragwürdige Positionen in ethischen Fragen vertritt, gereicht weder dem Land, noch den Anglikanern weltweit zur Ehre. Beobachter befürchten, dass sich unter Williams' Ägide die anglikanischen Sollbruchstellen verstärken werden. Vor allem die theologisch konservativen Kirchen aus der Dritten Welt sind äusserst unzufrieden mit Entwicklungen in Europa und vor allem Nordamerika. Erzbischof Carey hat vor kurzem vor Spaltungen gewarnt, nachdem sich eine kanadische Diözese für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Ordination von Homosexuellen ausgesprochen hat - was Careys Nachfolger bereits praktiziert. Es scheint nicht unmöglich, dass einige anglikanische Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika alternative anglikanische Provinzen ins Leben rufen. Einige haben bereits vor zwei Jahren Bischöfe für die "Anglikanische Mission in Amerika" ordiniert, die jedoch von der Episkopalkirche nicht anerkannt wird. Schon bei der nächsten Weltbischofskonferenz in sechs Jahren könnte es zum Bruch kommen: eine Herausforderung für Williams.


Evangelikale halten sich bedeckt - Dunkelt Williams nach?

Die Evangelikalen sind besorgt, halten sich aber so kurz nach seiner Ernennung bedeckt. Sie wollen aber so bald wie möglich mit ihm sprechen. Vinay Samuel, aus Indien stammender anglikanischer Theologe in Oxford, der sich in der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation engagiert, ist gewiss, dass er mit Williams auskommen kann. Nicht ausgeschlossen, dass der Erzbischof im Amt "nachdunkelt", aber auch nicht, dass er mit Charme und Klugheit die Evangelikalen um den Finger wickelt.
Es bleibt zu fragen, ob ein herausragender menschlicher Geist allein ein Garant für geistliche Vollmacht ist. Die Versuchung war gewiss gross, nach dem eher blassen, aber missionarisch gesinnten und in ethischen Fragen wie der biblischen Beurteilung von Homosexualität eindeutigen George Carey einen Kirchenmann zu ernennen, der durch die Brillanz seines Geistes besticht. Aber der Apostel Paulus fragte (1. Korinther 2,26): "Sind unter euch, die Jesus nachfolgen, wirklich viele, die man als gebildet, einflussreich oder angesehen bezeichnen könnte? Nein, denn Gott hat sich die Schwachen ausgesucht, die aus menschlicher Sicht Einfältigen, um so die Klugen zu beschämen" (Hoffnung für alle).

Datum: 29.07.2002
Quelle: idea Deutschland

Werbung
Livenet Service
Werbung