Gandhinagar

Im indischen Gliedstaat Gujarat wird’s für Christen noch enger

Gujarat
Narendra Modi

Der im westindische Gliedstaat Gujarat erhält ein Gesetz, das die Bürger vom Religionswechsel abhalten soll. Das Gesetz dürfte noch restriktiver ausfallen als die Bestimmungen, die Ende letzten Jahres im südlichen Gliedstaat Tamil Nadu und früher schon in Madhya Pradesh und Orissa eingeführt wurden.

Wie die BBC berichtet, soll jeder Religionswechsel künftig von Beamten des Distrikts geprüft und gebilligt werden müssen. Wer andere mit Druck oder Lockmitteln zum Religionswechsel bringt, soll bis drei Jahre hinter Gitter kommen. Wer Christ (oder Muslim) wird, ohne die Bewilligung eingeholt zu haben, wird mit einem Jahr Haft bedroht.

Systematische Befragung durch Beamte

Christen in Rajkot im Herzen des Gliedstaats berichteten dem bekannten Bürgerrechtler John Dayal, dass sie von Polizeioffizieren wegen ihrer Religion befragt wurden. Die Beamten wollten wissen, wie lange sie Christen gewesen seien und warum sie die Religion angenommen hätten. Nonnen und Priester fragten die Beamten nach ihren Geldquellen und den Motiven für ihre Arbeit im Gliedstaat aus.

Viele Christen sind laut John Dayal, dem Generalsekretär des Allindischen Christenrats, alarmiert. Der indische Staat ist angesichts der unüberschaubaren religiösen Vielfalt säkular ausgestaltet; er gewährt in seiner Verfassung das Recht, jede Religion zu praktizieren und sie zu verbreiten.

Emanzipation der Dalits

Das neue Gesetz zerstört diese Freiheit. Seine Befürworter wollen verhindern, dass Dalits, die unterdrückte niedrigste Schicht der Kastenlosen, mit Versprechungen zum Religionswechsel verleitet werden. Viele Dalits sehen sich heute als Nicht-Hindus und nehmen sich das Recht heraus, die Religion zu wählen, die ihnen am meisten Entwicklungsperspektiven bietet.

In einigen von der Regierung stark vernachlässigten Gebieten Gujarats haben christliche Werke mit langfristigen sozialen Projekten viel Goodwill geschaffen. In der Folge sind da und dort christliche Gruppen und Gemeinden entstanden.

Brot und Butter – und die Bibel

Satish Pradhan, ein Politiker der radikalen Hindu-Partei Shiv Sena, will diese Dynamik brechen. Er sagte der BBC, für Arme gehe es um Brot und Butter. Aber während die Christen Brot und Butter und Medikamente abgäben, begännen sie auch die Bibel zu lehren. „Und sie veranlassen die Leute zum Religionswechsel. Das wollen wir nicht.“

Pradhan gehört zum lautstarken Lager der Hindu-Politiker, die dem Staat Indien seine säkulare Ausrichtung nehmen und die Hindu-Kultur autoritär als Leitkultur durchsetzen wollen, dies obwohl weit über 200 Millionen Menschen in Indien keine Hindus sind. Etwa 140 Millionen sind Muslime, gegen 30 Millionen Christen, eine noch grössere Zahl hängt Stammesreligionen an.

Vor allem die christliche Religion, aber auch der Islam, wird von den extremen Hindus als ‚unindisch’ verteufelt. In Gujarat stellen die Christen bloss 0,5 Prozent der Bevölkerung von 50 Millionen.

Mit Hassparolen zum Wahlsieg

Die Gesetzesvorlage gehörte zur Wahlplattform, mit der der Hindu-Politiker Narendra Modi im letzten Dezember die Parlamentswahlen von Gujarat haushoch gewann. Modis Triumph gab dem intoleranten Flügel in der radikal-hinduistischen Heimat-Partei BJP, der auch der indische Ministerpräsident Vajpayee und Innenminister Advani angehören, deutlich gestärkt. Modi ritt auf einer Welle scharf anti-muslimischer Parolen zum Sieg. Nun befürchten viele Inder, die BJP wolle die gesamtindischen Parlamentswahlen, die im nächsten Jahr anstehen, nach diesem Rezept angehen.

Ende Februar 2002 hatte ein Anschlag auf einen Zug mit Hindu-Pilgern in Godhra in vielen Orten Gujarats Pogrome ausgelöst, bei denen fanatische Hindus auf Muslime Jagd machten, ihre Häuser plünderten und anzündeten und weit über 1000 Personen töteten.

Indien steht immer noch im Bann jener Ereignisse, denn Narendra Modi, der damalige Regierungschef, hat in der Folge keine Brücken zu den Minderheiten gebaut, sondern die Hinduisierung des an Pakistan grenzenden Gliedstaates forciert betrieben.

Nötig sind Schulen für alle und Arbeitsplätze

Prakash Shah von der ‚Bewegung für säkulare Demokratie in Gujarat‘ warf der Regierung Modi vor, sie riskiere, das Blutvergiessen vom März 2002 fortzusetzen. Das Gesetz gegen den Religionswechsel sei dazu gedacht, die Bevölkerung religiös noch mehr zu polarisieren.

Andere Politiker in Gujarat klagen die Regierung an, sie lenke mit solchen Vorhaben von gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen ab. Gujarat brauche vor allem bessere Schulen für mehr Kinder und grosse Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut.

Datum: 27.03.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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