Neu Delhi

Hindu-Extremisten spielen Karte des Nationalismus aus

Leid
Feindbild

Indische Christen haben ihre heimliche Überwachung im westlichen Bundesstaat Gujarat beklagt. Regelmässige landesweite Erhebungen über die Zusammensetzung der Staatsbürger seien eine normale Sache, doch es gebe "kaum eine glaubwürdige Begründung für eine weitere überstürzte Untersuchung einer besonderen gesellschaftlichen Gruppe", heisst es in einer kürzlich veröffentlichten Erklärung der Bischofskonferenz.

Die in Gujarat regierende nationalistische Hindu-Partei BJP hatte einräumen müssen, Informationen über die christliche Minderheit gesammelt zu haben. In dem Bundesstaat herrschen starke religiöse Spannungen, vor allem zwischen Hindus und Muslimen. Auch im nationalen Parlament in Neu Delhi sorgten die Enthüllungen für Aufregung. Oppositionspolitiker warfen der BJP, die bei den kommenden Wahlen stärkste nationale Kraft werden will, "dunkle Absichten" vor.

Übergriffe der Behörden

In jüngster Zeit sei es wiederholt zu Übergriffen der lokalen Behörden gegen Mitgliedern bestimmter Gemeinschaften gekommen, klagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Cyril Mar Baselios. Diese Tatsache mache die Motive für die Überwachungsmassnahmen noch fragwürdiger. Die Christen in der Region seien angesichts jüngster Einschüchterungen äusserst besorgt.

Extremistische Hindus greifen weiterhin Christen in Indien an, und ihr politischer Einfluss reicht bis zur höchsten Regierungsebene. Ein Bericht von “Newsweek” in der Ausgabe vom 24. Februar bestätigte einmal mehr, dass die Politiker in der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP) sich dafür entschieden haben, die Karte des Hindu-Nationalismus auszuspielen.

Weit davon entfernt, durch die heftigen religiösen Unruhen in Gujurat im letzten Jahr ernüchtert zu sein, plant die BJP, “bei den nächsten Wahlen sowohl dem islamischen Terrorismus als auch der pakistanischen Bedrohung einen Denkzettel zu verpassen”, hiess es in “Newsweek”.

In der Tat war Narendra Modi, der Ministerpräsident des Staates Gujarat im vergangenen Dezember mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt worden, nachdem er einen auf Hindu-Nationalismus gegründeten Wahlkampf geführt hatte.

Der hinduistische Extremismus ist in den höchsten Ebene der Bundesregierung eingewurzelt, machte das italienische Missionsmagazin “Mondo e Missione” (“Welt und Mission”) in seiner Januarausgabe deutlich. Der Minister, der die Bereiche Privatisierung, Industrie und Handel unter sich habe, Arun Shourie, sei einer der unverblümtesten Kritiker des Christentums.

Ungeachtet dessen, dass er die Vorteile einer christlichen Ausbildung am St. Stephen‘s College in Delhi geniessen durfte, veröffentlichte Shourie im Jahr 1994 ein Buch, “Missionare in Indien: Kontinuierliche Entwicklungen, Wandel und Dilemmas”, in dem er die Missionare beschuldigte, Aufwiegler angestachelt und Spaltungen geschürt zu haben.

Im Jahr 2000 ritt er eine neue Attacke mit einem weiteren Buch “Sie heimsen unsere Seelen ein” (“Harvesting Our Souls”), in dem er behauptet, dass das Christentum sich auf Mythologie und unexakte Geschichtswissenschaft gründet. Das erste Kapitel ist einem Versuch gewidmet, zu beweisen, dass der australische evangelikale Missionar Graham Staines, der zusammen mit seinen zwei Söhnen im Jahr 1999 in Orissa bei lebendigem Leib verbrannt worden war, seine Tätigkeit nicht darauf beschränkt habe, sich um Leprakranke zu kümmern. Staines, behauptet Shourie, habe sich auch missionarischer Arbeit gewidmet.

Herde der Hindus zurückzubringen

Eine Regierungsumbildung am 28. Januar brachte einen weiteren Hindu- hard-liner, Dillip Singh Judeo, an die Macht, berichtete die Agentur “SAR News” am 18. Februar. Der neue Minister für Umwelt und Forstwirtschaft erklärte, er werde trotz seiner neuen Pflichten seine Kampagne der ‚Rekonversion‘ der Christen zu Hindus fortsetzen.

Er sagte den Medien: “Die Bemühung, diejenigen, die andere Glaubensbekenntnisse angenommen haben, zu der Herde der Hindus zurückzubringen, hängt mit nationalem Stolz zusammen.” Wie Shourie ist auch Judeo durch eine christliche Erziehung hindurchgegangen, und zwar am St. Xavier’s College in Ranchi.

“SAR News” berichtete, es hätten sich einige Zweifel an Judeo’s Rekonversions-Behauptungen erhoben. Arun Pannalal, der Vizepräsident des christliche Rates von Raipur, ein Laie, bemerkte, dass Judeo zwar behaupte, 600.000 Christen rekonvertiert zu haben, dass jedoch offizielle Zahlen zeigten, dass es nur 400.000 Christen in der betreffenden Region, Chhattisgarh, gebe.

Rekonversionen

Die Christen müssen weiterhin Gewalt erleiden. Das Novemberbulletin von “Compass Direct” berichtete, dass während des Septembers und Oktobers sich eine bösartige antichristliche Kampagne gegen Missionsschulen im Distrikt von Ajmer im Staat Rajasthan, in Nordindien, gerichtet habe. Mitglieder des Lehrkörpers an den Schulen seien der Sodomie und schwerer körperlicher Züchtigung beschuldigt worden.

Parallel zu diesen Anschuldigungen wurden von nationalistischen Hindus Massenversammlungen organisiert, bei denen die Schliessung aller Missionsschulen in dem Distrikt gefordert wurde. Die militanten Hindus drohten auch damit, die Dorfbewohner zu Ausgestossenen zu erklären, falls sie nicht ihre Kinder von den betreffenden Schulen nehmen würden.

Zur gleichen Zeit unternahmen radikale Hindus in dem Gebiet einen Rekonversions-Feldzug, in dem sie Leute, die zum Christentum konvertiert waren, zwangen, “nach Hause” zurück zu kehren. In einem Fall organisierte die Rawat-Makasabbaorganisation, unter Rückendeckung durch die örtlichen Politiker die Rekonversion von 25 Familien, die vor 30 Jahren Christen geworden waren. Ras Singh Rawat, ein Mitglied des Parlaments für die regierende BPJ, führte den Vorsitz bei der Zeremonie.

Ein weiterer Schlag kam mit dem Gesetz gegen erzwungene Konversion, das im Staat Tamil Nadu gebilligt wurde. Das Gesetz über das “Verbot erzwungener Konversion”, das am 31. Oktober in Kraft trat, belegt jeden, der religiöse Konversion erzwingt, mit einem Bussgeld von bis zu 50.000 Rupien (1034 Dollar) und drei Jahren Gefängnis. Die Strafen erhöhen sich auf vier Jahre Gefängnis und 100.000 Rupien, wenn die Konversion Frauen, Minderjährige, Mitglieder der niederen Kasten oder Stammesvölker betrifft.

Mehr als 6000 von Kirchen geführte Bildungseinrichtungen blieben geschlossen, und mehr als eine Million Christen nahmen am Fasten und Beten am 24. Oktober teil, um gegen das neue Gesetz zu protestieren. Alle grösseren christlichen Konfessionen - die katholische Kirche, die Kirche Südindiens und die pfingstlichen Konfessionen - nahmen teil. Muslime und Dalits (die Unberührbaren) schlossen sich den Christen in der eintägigen Schliessung der Schulen an und forderten mit ihnen die Aufhebung des Gesetzes.

Feindbild schaffen

Bischof V. Devasahayam von der Diözese Madras der Kirche Südindiens erklärte in einem Interview am 24. Oktober mit dem Nachrichtendienst “Rediff.com” die Gründe, die den Protesten gegen das Gesetz zu Grunde liegen.

Er sagte, “es kann heute ein Mann zu mir kommen und sagen, er möchte konvertieren. Zwei Tage später kann er zur Polizei gehen und sagen, dass er (zur Konversion) gezwungen wurde. Und die Polizei kann nicht nur mich sondern jeden hier abholen lassen und verhören.

Bischof Devasahayam erklärte, dass die Christen gegen erzwungene Konversionen sind, aber dass sie auch gegen die Formulierungen des Gesetzes sind. “Die Worte sind so, dass sie auf alle mögliche Art missinterpretiert werden können,” erklärte er. “Wenn ich sage, dass Gott mit dir unzufrieden sein wird, kann ich angeklagt werden.”

Die politischen Parteien benutzen die Religion als ein Mittel, um die Massen zu mobilisieren, betonte der Bischof. Und dabei “brauchen sie einen Feind. So machen sie uns zum Feind.”

In der Tat sind bereits mehrere Anschuldigungen gemacht worden. In einem Fall wurde ein protestantischer Pastor, Paul Manickam, fälschlich beschuldigt, er baue eine neue Kirche nahe bei seinem Haus ohne Erlaubnis der örtlichen Behörden. Das berichtete das Dezemberbulletin von “Compass Direct”. Der Pastor wurde ausserdem - fälschlich, laut “Compass Direct” - beschuldigt, Ortsansässige von Vengala Nagar dazu zu bringen zum Christentum überzutreten, indem er ihnen Darlehen und ein Mindestmass an Lebenskomfort verspreche. Bei einem anderen Vorfall beschuldigte ein Schüler seine Schulleiterin, sie habe versucht, ihn zum Christentum zu bekehren. Später entschieden Untersuchungsbeamte der Polizei, dass die Klage unbegründet war.

Gujarat: Gesetzentwurf gegen Konversionen

Die Regierung des indischen Bundesstaates Gujarat arbeitet an einem neuen Gesetz, dass die Praxis religiöser Konversion verhindern soll; ein Schritt, den Beobachter als gegen religiöse Minderheiten gerichtet einschätzen.

Der Regierungschef des Bundesstaates Sunder Singh Bhandari hat am Dienstag das "Gesetz zur Religionsfreiheit" angekündigt, das vom Landesparlament verabschiedet werden soll. Die endgültige Form der Massnahme wird bei einem Regierungstreffen nächste Woche entschieden werden. Der Gesetzentwurf wird sich nach Einschätzung von Beobachtern nicht sehr von Massnahmen unterscheiden, die bereits Zwangskonversionen in anderen indischen Bundesstaaten verbieten. In der Tat gibt es Sorgen, dass solche Massnahmen benutzt werden, um religiöse Minderheiten im Lande zu verfolgen.

Quellen: Kipa/ZENIT/Livenet

Datum: 14.03.2003

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