Kommentar

Sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht – und ihre Folgen

Ein Sturm der Entrüstung geht durch die Medien: In Köln kam es in der Silvesternacht zu Unruhen, sexuellen Übergriffen und Diebstählen. Was ist da eigentlich passiert? Wie ist es zu bewerten? Und welche Rolle spielen die Medien dabei? Ein Kommentar von Hauke Burgarth.
Vor dem Kölner Hauptbahnhof kam es in der Silvesternacht zu sexuellen Übergriffen.
Redaktor Hauke Burgarth

Seit einigen Tagen beherrschen die Bilder der Silvesternacht aus Köln die Berichterstattung der Medien. Über 1'000 Männer von eventuell arabischer oder nordafrikanischer Herkunft sollen sich dort zwischen Dom und Bahnhof versammelt haben. Dabei kam es zu sexuellen Übergriffen auf Frauen und zu zahlreichen Diebstählen. Noch ist kaum geklärt, was alles geschehen ist – die Vorwürfe und Anzeigen reichen vom Handydiebstahl bis hin zur Vergewaltigung. Auch die Zahl der Täter ist unklar. Während am Anfang vielfach von 1'000 Tätern gesprochen wurde, scheint es jetzt um 30 Menschen zu gehen. Angeheizt durch diese Unklarheiten und die mögliche Beteiligung von Flüchtlingen wird das Ganze im Internet sehr emotional und kontrovers diskutiert.

Die Fakten kennen

Die Nachricht, dass es in Köln zu Übergriffen kam, wurde erst relativ spät verbreitet. Doch direkt anschliessend meldeten sich Politiker, Journalisten und eine breite Menge an Internetnutzern mit Kommentaren zu Wort. Dabei war bis vor kurzem die Faktenlage noch sehr unklar. Inzwischen (Stand: 8. Januar) hat sich folgendes herauskristallisiert: In der Silvesternacht wurden am Kölner Hauptbahnhof zahlreiche Frauen nach eigenen Angaben ausgeraubt und sexuell belästigt. Bislang sind 170 Anzeigen bei der Polizei eingegangen. Die Bundespolizei geht von 31 Tatverdächtigen aus, deren Identität bereits geklärt ist. 18 davon sind Asylbewerber, ihnen werden aber keine Sexualdelikte zur Last gelegt. Die Verdächtigen stammen aus verschiedenen Nationen: Algerien (9), Marokko (8), Iran (5), Syrien (4), Deutschland (2), Irak (1), Serbien (1) und USA (1).

Immer noch sind zahlreiche Fragen offen, doch diese Ergebnisse widerlegen bereits etliche erste Reaktionen, in denen oft von 1'000 Tätern gesprochen wurde, und manche Annahmen, die vorschnell als Fakten präsentiert wurden. Das Nachrichtenmagazin ZEIT setzt sich in einem lesenswerten Artikel mit dieser Spannung zwischen Tatsachen und Vermutungen auseinander.

Vorsicht vor zu schnellen Erklärungen

Eigentlich sollte es nicht nur journalistischem sondern auch christlichem Ethos entsprechen, dass man zunächst einmal klärt, was wirklich geschehen ist. Doch sehr schnell waren Kommentare und Erklärungen auf dem Tisch. So schnell, dass damit deutlich wurde, dass diese Erklärungsversuche bereits vorher die Meinung der jeweiligen Kommentatoren waren und nur wenig mit den Ereignissen in Köln zu tun hatten. Ereignisse wie die Kölner Unruhen laden scheinbar dazu ein, zu tönen: «Ich hab es doch gleich gewusst und schon immer gesagt…» Doch wenn Vorwürfe von Vergewaltigung, sexuellen Übergriffen und Körperverletzung im Raum stehen, dann ist es besonders im Hinblick auf die Opfer nicht angemessen, sie vor den eigenen Karren zu spannen – sei es aus politischer oder geistlicher Überzeugung. Wir brauchen Erklärungen. Aber die sollten Tatsachen als Basis haben.

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Im Internet grassieren zurzeit Informationen und Pseudo-Informationen zu sexuellen Übergriffen durch Muslime. Untermalt von gruseligen Fotos erzeugen diese Berichte hauptsächlich eines: Angst. Doch diese Angst ist nicht zielführend. Sexuelle Gewalt besonders gegen Frauen ist keine Erfindung aus der Silvesternacht in Köln, sie ist Realität beim Karneval, beim Oktoberfest und im ganz normalen Alltag von viel zu vielen Frauen und Mädchen. Und dieser Situation müssen wir uns als Gesellschaft stellen. Wir müssen Opfer schützen. Und wir müssen Täter – seien es Asylbewerber oder einheimische Bürger – zur Rechenschaft ziehen. Aber wir müssen auch differenzieren: Denn so wie niemand alle Bayern unter Generalverdacht stellt, weil einzelne das Oktoberfest als Plattform für ihr Fehlverhalten missbrauchen, so geht es auch nicht um eine Neubewertung der Asylfrage. Das Recht auf Asyl ist wichtig und richtig, selbst wenn es von einigen missbraucht wird. In diesem Fall muss es eine rechtsstaatliche Reaktion darauf geben.

Neue Willkommenskultur

Die Ereignisse in Köln und in einigen anderen Städten brauchen Aufklärung. Soweit möglich muss jeder Einzelne, aber auch Politik und Polizei präventiv eingreifen, um ähnliche Szenarien zu verhindern. Täter müssen bestraft werden. Und unsere Willkommenskultur muss sich teilweise ändern. Blinde Sozialromantik wird den Menschen, die bei uns Hilfe suchen, nicht gerecht. Wer nach Europa kommt, ist auf der Flucht, auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage, ist Opfer, aber manchmal eben auch Täter. Ich bin davon überzeugt, dass Gott gerade uns als Christen mit den vielen Menschen, die in unser Land kommen, eine historische Möglichkeit gibt. Doch das heisst weder alles gutzuheissen, was sie tun, noch unsere Türen zu verschliessen. Wir brauchen eine realistische Willkommenskultur.

Zum Thema:

Datum: 09.01.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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