Wolfgang Schäuble: “Wir wollen aufgeklärte Muslime“

Wolfgang Schäuble will staatliche Regeln für den Umgang mit dem Islam diskutieren.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat für heute zu einer Islam-Konferenz in Berlin eingeladen. Kurz vor Eröffnung der Konferenz hat Schäuble noch einmal die Ziele der Veranstaltung genannt. Es gehe darum, einen "vernünftigen Dialog in Gang zu bringen" und "bessere Lösungen für die Integration" zu finden.

"Wir wollen aufgeklärte Muslime in unserem aufgeklärten Land", so Schäuble weiter. Der Islam müsse die "Grundregeln, Normen und Werte annehmen, die Deutschland und Europa konstituieren". Das Grundgesetz sei nicht verhandelbar. Die drei Millionen Muslime in Deutschland seien "Teil der deutschen Gegenwart und Zukunft". Schäuble betonte, die Konferenz werde "keine Veranstaltung, bei der wir uns nur Freundlichkeiten sagen".

Die Konferenz soll laut Schäuble "so konkret wie möglich" arbeiten. Sie solle unter anderem dazu führen, dass Islamunterricht an den staatlichen Schulen angeboten werden kann. Ferner will der Minister erreichen, "dass wir künftig Imame in Deutschland ausbilden und dass in den Moscheen Deutsch gepredigt wird".

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüsste die Islamkonferenz. Die EKD führe bereits seit zwei Jahren einen Dialog mit islamischen Verbänden, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber. Er nannte es "ein wichtiges Ziel", mehr deutschsprachige Imame auszubilden und in öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht zu etablieren. Der Unterricht müsse auf Deutsch erteilt werden und in Übereinstimmung mit der Verfassung und Rechtsordnung erfolgen.

Muslime drohen mit Gesprächsboykott

Kurz vor der von Bundesinnenminister Schäuble initiierten Islam-Konferenz drohen Muslime mit dem Rückzug aus dem geplanten Dialog-Prozess. "Wenn sich an der Konzeption der Islam-Konferenz nichts ändert, stellt sich ernsthaft die Frage, ob die Verbände so einfach mitmachen werden. Ich kann mir das so nicht vorstellen", sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Der Zentralrat gehört zu den vier führenden Dachverbänden der Muslime, die zu der Konferenz von heute Mittwoch eingeladen sind, aber jetzt Einladungspraxis und Vorbereitung des Treffens kritisieren. Sie rügen vor allem, dass auch zehn Einzelpersönlichkeiten eingeladen sind, die einen eher säkularen Islam repräsentieren.

Ziel der Islamkonferenz ist ein Gesellschaftsvertrag von Staat und Muslimen. Sie soll Auftakt eines zwei- bis drei- jährigen Dialog-Prozesses sein. Heute sind zu dem nur zweistündigen Treffen 15 Vertreter von staatlicher Seite und15 muslimische Verbandsvertreter und Einzelpersonen geladen. Später soll der Kreis erweitert werden.

Wer spricht in Europa für die Muslime?

Die unterschiedlich geregelten Beziehungen zwischen Staat und Religion haben in den EU-Staaten auch verschiedene Konzepte beim Umgang mit dem Islam zur Folge. Am Beispiel einiger Länder werden unterschiedliche Modelle zur Stellung und Repräsentanz der muslimischen Minderheit skizziert.

Belgien: Herkunftsländer der rund 400.000 Muslime sind Marokko und die Türkei. Die Zahl der Moscheen beträgt 328, Imame gibt es schätzungsweise 300. Der Islam gehört in Belgien zu den vom Staat anerkannten Religionsgemeinschaften. Dies hat zur Folge, dass islamische Geistliche vom Staat bezahlt werden können. Bisher ist dies noch nicht der Fall, da das Vertretungsorgan Muslimexekutive zersplittert und zerstritten war. Das zuständige Justizministerium ordnete im vergangenen Jahr Neuwahlen zum Muslimrat an, der über die Zusammensetzung der Muslimexekutive entscheidet.

Frankreich: In seriösen Untersuchungen ist von 4,1 Millionen Muslimen die Rede, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von acht Prozent. Die wichtigsten Herkunftsländer sind die ehemaligen Kolonien Algerien (1,5 Millionen), Marokko (eine Million), Tunesien (350.000) und Türkei (315.000). Es existieren etwa 1.200 muslimische Gebetsstätten und Moscheen für Muslime, die von etwa 1.500 Imamen betreut werden.

Die Moschee von Paris hat über fünf Muftis die Aufsicht über etwa 150 Imame, die überwiegend vom algerischen Staat bezahlt werden. Vertretungsorgan ist der "Rat der Muslime in Frankreich", ein vom französischen Staat gelenktes Gremium. Der Muslimrat ist zuständig für muslimische Abteilungen auf Friedhöfen, Feiertage, Moscheebau und Ausbildung der Imame.

Grossbritannien: Nahezu zwei Drittel der bis zu 1,8 Millionen Muslime stammen aus Pakistan und Bangladesch. Seit 1998 können Islamschulen eröffnet werden, die auch öffentliche Förderung beanspruchen können.

Inzwischen gibt es 80 private islamische Schulen. Die Zahl der Imame wird auf etwa 1.000 geschätzt, sie stammen zumeist aus den Herkunftsländern der britischen Muslime. Eine politische Interessenvertretung der muslimischen Minderheit ist der "Muslim Council of Britain", dem mehr als 250 muslimische Organisationen angehören. Daneben gibt es muslimische Parteien.

Niederlande: In den Niederlanden leben rund 950.000 Muslime, davon 340.000 marokkanischer und 295.000 türkischer Herkunft. Es existieren rund 530 muslimische Organisationen. Jüngsten Studien zufolge sind nur ein Prozent der Muslime aus Marokko und sieben Prozent der türkischstämmigen Muslime organisiert. Die Zahl der Moscheen beläuft sich auf rund 450, es gibt etwa 500 islamische Geistliche. Zudem gibt es mehr als 30 Islamschulen. Ansprechpartner staatlicher Stellen sind das "Contactorgaan Moslims en Overheid", das rund 500.000 Muslime vertritt, sowie die "Contact Groep Islam", die für 115.000 Muslime, vorwiegend Aleviten und Schiiten, spricht.

Österreich: Anders als in den meisten europäischen Ländern ist der Islam in Österreich bereits seit 1912 rechtlich anerkannt. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, die alle Glaubensrichtungen vertritt, hat den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und darf als offizielle Vertretung der Muslime islamischen Religionsunterricht an Schulen erteilen.

Quelle: epd/Livenet

Datum: 27.09.2006

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