Muslime in Deutschland: von ihrem Ursprungsland geprägt

Muslimin

Seit den Anschlägen auf Madrider Vorortszüge im März 2004 wird in Westeuropa viel intensiver nach extremistischen Muslimen gefahndet. Dies umso mehr, als sie hier Kämpfer für den Aufstand im Irak anwerben.

Zugleich suchen Medien wie die Neue Zürcher Zeitung den Blick zu schärfen für die Prägungen und die Mentalität der Muslime im EU-Raum. In einem Artikel vom 21. Dezember schildert die Berliner Islamwissenschafterin Annabelle Böttcher „vielfältige islamische Traditionen in Deutschland“.

Die meisten in Deutschland lebenden Muslime sind Traditionen aus ihrer Heimat verpflichtet; oft stammen diese aus der islamischen Mystik. Die radikalen Ansätze, die mit dem Begriff ‚Salafismus’ (in Saudi-Arabien: Wahhabismus) zusammengefasst werden und auf eine Reinigung des Islam von solchen Zusätzen abzielen, finden laut Böttcher unter arabischen Muslimen einige Sympathie, doch „sind extremistische Salafisten in diesen Moscheen nicht willkommen“.

Das entscheidende Hindernis für die Salafisten ist, „dass die Mehrheit von Deutschlands Muslimen von der Tradition des mystischen Islams türkisch-kurdischer Herkunft bestimmt ist“. Die meisten der 2,8 bis 3,2 Millionen Muslime in Deutschland stammen aus Anatolien, sind Türken oder Kurden. „Dort dominiert ein stark von der Stammeszugehörigkeit geprägter Islam mystischer Ausprägung, der auch als Sufismus bezeichnet wird“ (berühmt sind die tanzenden Derwische von Konya).

Sufis: Sehnen nach Gottes-Erfahrung

Unter Kurden findet sich auch die mystische Tradition der Nakschbendiya. Die Anhänger solcher Bewegungen suchen etwas jenseits der von Mohammed gebotenen Gesetzesreligion – sie meditieren, um Allah zu erfahren. Da der Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk, die mystischen Gemeinschaften 1925 verbot, sind Nakschbendis abgetaucht und haben sich neu formiert.

Ob auch die grosse Islamische Gemeinschaft Milli Görüsh (IGMG) sufistisch geprägt ist, ist laut Böttcher unklar. Aus diesem Umfeld stammt Cemaleddin Kaplan, der sich Mitte der achtziger Jahre als «Kalif von Köln» mit seinen Anhängern abspaltete, wegen Aufrufs zum Mord an einem Konkurrenten in Deutschland in Haft sass, in die Türkei ausgeliefert wurde und in Istanbul wegen Hochverrats vor Gericht steht.

Die meisten der 140’000-250’000 Schiiten in Deutschland verehren zwölf Imame als Nachfolger Mohammeds. Sie sind durch ihre Bindung an einen hohen Gelehrten, einen Ayatollah, zu gliedern. Gemäss Böttcher haben drei Ayatollahs in Deutschland eine bedeutende Gefolgschaft: der irakische Schiitenführer Ali al-Sistani, Ali Khamenei, der oberste Geistliche im Iran, und der Hisbollah-Chef Mohammed Husain Fadlallah im Libanon.

Quelle: Livenet/NZZ

Datum: 05.02.2005
Autor: Peter Schmid

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