Christen in Irak: Kinder sind die ersten Opfer der Gewalt

Tur Abdin – Anhel: In neuester Zeit erhielt der rein christliche Ort muslimischen Zuzug. Im Dorf stehen mehrere alte Kirchen und ein Kloster.

Baghdad. Der chaldäische Bischof von Baghdad Jshlemon Warduni ermahnt, dass der drohende Angriff auf Baghdad das Leben der Christen im Irak schwieriger machen, die von der übrigen Bevölkerung als den USA und dem Westen nahestehend eingeordnet werden. "Wir sind sehr besorgt, auch für das gesamte irakische Volk", erklärt er. "Als Ortskirche, versuchen wir alles, was möglich ist, zu machen, um diese Aggression zu verhindern, die eine neue humanitäre Tragödie wäre".

Was Saddam Hussein betrifft, so erklärt er, dass das Chaldäische Patriarchat, "im Sinne des Evangeliums gegen alle Kriege und Angriffe ist". "Wenn wir die Menschenrechte verteidigen wollen, vor wem sollen wir sie verteidigen, frage ich Sie! Sind unsere Kinder nicht die ersten Opfer der Gewalt? Unsere Alten und Kranken ohne Betreuung, sind sie nicht den Euren gleich?", fragt der Bischof weiter. "Was die Massenvernichtungswaffen angeht, bekräftigt die irakische Regierung, dass sie keine besitzt", sagt Warduni weiter. "Wir wissen nicht, ob es die Wahrheit ist, es fällt auch nicht in unsere Zuständigkeit, uns darum zu kümmern. Unsere Pflicht ist es, für den Frieden und für die Achtung der Rechte aller Menschen zu arbeiten".

Der Bischof schliesst mit dem Aufruf: "Halten wir am Glauben an Gott fest, der uns den Frieden geben wird und bitten wir alle Kirchen der Welt, dass sie mit uns gemeinsam beten, damit der Herr die Führer der Nationen erleuchte, damit sie sich für die Gerechtigkeit einsetzen!".

Christentum weiterhin lebendig

Trotz vermehrter Auswanderung in den letzten Jahrzehnten existiert im Irak immer noch eine starke und lebendige christliche Gemeinschaft, die der Unterstützung aus dem Westen bedarf. Darauf hat der Islam-Experte Willem de Smet hingewiesen. Besonders im von Saddam Hussein seit dem Golfkrieg nicht mehr kontrollierten Kurdengebiet im Norden des Landes blühten christliche Gemeinschaften wieder auf. Das betreffe vor allem die Chaldäer und orthodoxen Assyrer, die ihre Heimat trotz politischer Instabilität und Verwüstung durch Kriege nicht verlassen hätten. Sie bemühten sich, in schwieriger Zeit ihre seelsorgerischen und sozialen Aufgaben noch besser wahrzunehmen.

Anders sei die Lage im Süden des Landes, der weiterhin unter Kontrolle von Saddam Hussein steht. Hier litten die Christen wie die übrige Bevölkerung unter dem seit 1990 bestehenden Wirtschaftsembargo der UNO. Das habe viele Christen veranlasst, den Irak zu verlassen. Die religiöse Freiheit ist dagegen nach Auskunft de Smets gewährleistet. Christen könnten ihren Glauben ungehindert praktizieren.

Situation der Christen im Irak

Im Jahr 1957 waren noch 40 Prozent der Einwohner des Irak Christen, heute ist ihr Anteil auf 7 Prozent gefallen mit weiterhin abnehmender Tendenz. Im Nordirak leben neben 3 Mio. Kurden etwa 50.000 syrische und armenische Christen (manchmal werden auch höhere Zahlen genannt). Im 1992 gewählten Parlament der Schutzzone Nordirak haben die Kurden 100 Sitze (je 50 Sitze entfallen auf die DPK von Barzani und die PUK von Talabani), die christliche Minderheit hat fünf Abgeordnete, die der ADM (Assyrian Democratic Movement) angehören. Einer der 14 Minister ist syrischer Christ: Jakob Yousuf, verantwortlich für den Wiederaufbau.

Dennoch sieht es nicht gut für die Christen aus. Grosse islamische Hilfsorganisationen und Finanziers aus Saudi-Arabien unterstützen bevorzugt den Aufbau kurdischer Siedlungen. Auch viele neue Moscheen werden gebaut. Gelder aus Westeuropa, auch aus Deutschland, fliessen in der Regel an den Christen vorbei und werden z.T. zweckentfremdet verwendet. Wegen der unsicheren Situation sind viele Christen - auch schon vor dem Golfkrieg - nach Bagdad ausgewichen, wo sie häufig ein kümmerliches Dasein fristen. Ihre Rücksiedelung gestaltet sich jetzt doppelt schwierig: zum einen dürfen die Rückkehrwilligen keinerlei Besitz über die Demarkationslinie in den Nordirak mitnehmen, zum anderen fehlt es an geeigneten Unterkünften.

Die anfängliche Solidarität zwischen Christen und Kurden im Nordirak als Reaktion auf den gemeinsamen Aggressor Saddam Hussein ist mittlerweile wieder der traditionellen Gegensätzlichkeit dieser Volksgruppen gewichen. Dieses Bündnis stand von Anfang an auf schwachen Füssen.

Schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit des Westens mit den christlichen Kirchen des Irak, weil deren Bischöfe, soweit sie in Bagdad ansässig sind (z.B. der Bischof der Nestorianer bzw. der Apostolischen Kirche des Ostens), keinerlei Hilfen für den Nordirak weitergeben können. Dieses würde nämlich gegen das von Saddam verhängte Embargo gegen die Schutzzone verstossen. Aber auch im Rest-Irak gibt es grosse wirtschaftliche Probleme, auch und grade unter den Christen. Die Christen leiden als Angehörige des Mittelstands besonders unter den Folgen des Embargos, weil die ungeheure Teuerung ihre Ersparnisse auffrisst; besonders hart getroffen wurden die chaldäischen und assyrischen Flüchtlinge aus den Grenzdörfern Kurdistans, die, immer wieder aus ihrer Heimat vertrieben und immer wieder zurückgekehrt, schliesslich resigniert in Bagdad blieben. Die Folgen der Kriegszerstörungen und des Embargos brachten sie um ihre Arbeit, sie konnten die Miete nicht mehr bezahlen und wurden auf die Strasse gesetzt. Jetzt hausen sie in Abbruchhäusern der Altstadt Bagdads.

Quellen: ZENIT/ Livenet

Datum: 01.10.2002

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