Israel hebt Arafats Belagerung auf

Ramallah. Israel hat die Belagerung des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat nach rund fünf Wochen aufgehoben. Nach Berichten von Augenzeugen begannen Truppen am Abend mit dem Rückzug von Arafats Amtssitz in Ramallah. Zugleich trafen sechs von Israel gesuchte Gefangene in Begleitung von britischen und amerikanischen Diplomaten in Jericho ein. Sie waren zuvor von Palästinensern am Amtssitz Arafats übergeben worden. Im Gefängnis in Jericho sollen die sechs Männer einer Vereinbarung zufolge von amerikanischen und britischen Aufsehern bewacht werden. Die sechs Männer - darunter vier im Zusammenhang mit dem Mord am israelischen Tourismusminister Rehavam Seevi Verurteilte - waren zusammen mit rund 300 weiteren Palästinensern seit dem 29. März zusammen mit Arafat in dessen Amtssitz eingeschlossen. Arafat stand dort praktisch seit Dezember unter Hausarrest.

Nach Angaben eines Armeesprechers dürfte der vollständige Abzug der Truppen aus Ramallah zwei bis sechs Stunden dauern. Es wurde erwartet, dass Arafat in seinem Amtssitz bleiben werde, bis der Abzug beendet ist. Danach wird er möglicherweise noch einige Tage in den Autonomiegebieten bleiben und dann ins Ausland reisen, wie sein Sprecher Nabil Aburdeneh dem US-Nachrichtensender CNN sagte.

Im Gazastreifen explodierte am Mittwoch eine Bombe in der Nähe eines israelischen Panzers, der am Grenzübergang Rafah stationiert war. Danach schossen die Besatzungen mehrerer Panzer nach Berichten von Augenzeugen mit Maschinengewehren und Granaten in eine nahe gelegene palästinensische Siedlung. Dort wurden nach palästinensischer Angaben ein zweijähriges Mädchen und ein geistig behinderter Mann tödlich getroffen. Bei einer anschliessenden Schiesserei mit bewaffneten Kämpfern im Flüchtlingslager von Rafah kamen zwei weitere Palästinenser ums Leben.

In Bethlehem verliessen am Dienstag und Mittwoch 28 Palästinenser die seit Anfang April belagerte Geburtskirche. Die Belagerung dauerte weiter an, weil sich beide Seiten bisher nicht einigen konnten, wie mit den 30 bewaffneten Kämpfern verfahren werden soll, die sich unter den etwa 200 Menschen in der Kirche befinden.

Im Streit um die Untersuchung der Kämpfe im Flüchtlingslager Dschenin erwägt UN-Generalsekretär Kofi Annan jetzt eine Auflösung der vom Sicherheitsrat eingesetzten Kommission, der von Israel die Einreise verweigert wird. Der Sicherheitsrat wollte am Mittwoch erneut über die ablehnende Haltung der israelischen Regierung beraten. Annans Stellvertreter Kieran Prendergast sagte, ein glaubwürdiger und ausgewogener Bericht zu den Ereignissen in Dschenin sei ohne die Mitarbeit Israels nicht möglich. Die in Genf wartende Delegation soll palästinensischen Vorwürfen nachgehen, wonach die israelische Armee in den tagelangen Kämpfen um Dschenin ein Massaker an der Zivilbevölkerung des Lagers verübt haben soll.

Die israelischen Streitkräfte sprechen hingegen von regulären Kampfhandlungen mit etwa 50 Toten auf Seiten der palästinensischer Kämpfer. Nach palästinensischen Angaben wurden bisher 52 Leichen geborgen. Israel verlangt, dass sich die Kommission vor allem mit der angeblich von Dschenin ausgegangenen Planung von Terroranschlägen befasst.

Die US-Medizinerorganisation „Ärzte für Menschenrechte“ („Physicians for Human Rights“) hat die israelischen Angaben zur Zahl der Toten bei der Besetzung des palästinensischen Flüchtlingslagers Dschenin weitgehend bestätigt. Etwa 45 Palästinenser seien bei den Kämpfen im April umgekommen, weitere 200 seien verletzt worden, hiess es in einem vorläufigen Bericht. Als Quelle wurde das Krankenhaus von Dschenin zitiert, wo etwa 95 Prozent der Verletzten behandelt worden seien. Es handle es sich aber nicht um endgültige Zahlen, betonten die Verfasser des Berichts.

Datum: 03.05.2002

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