Nigeria: Scharia trifft vor allem die Armen

Gusau. Neue Berichte aus Zamfara, einem von sechs Bundesstaaten im Norden Nigerias, in denen das islamische Recht praktiziert wird, legen den Verdacht nahe, dass die Scharia vor allem auf die Armen angewendet wird, während einflussreichen Bürger weitgehend davon verschont bleiben.

So stammen von den mehr als 30 Personen, die in den nördlichen Bundesstaaten Zamfara, Katsina, Niger, Sokoto und Kano bislang nach islamischem Recht abgeurteilt wurden, nicht mehr als zwei aus höheren gesellschaftlichen Schichten: ein Direktor und ein Buchhalter der ‚Sokoto State National Orientation Agency’. Alle übrigen Beklagten und Bestraften sind Schäfer, kleinere Händler, minderjährige Mütter und Motorradfahrer. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe reichen von Diebstahl und Unzucht, über Alkoholismus und Homosexualität bis hin zur Beteiligung an Glücksspiel oder der Mitnahme von Frauen auf dem Motorrad. Bestraft wurden die Vergehen mit Freiheitsentzug, Geldstrafen und Stockschlägen. Für acht Schäfer endeten die Verfahren mit Amputation – sie sollen gestohlen haben –, für eine minderjährige Mutter mit 100 Stockhieben.

Von den Behörden nicht bestätigt wurde die Steinigung von mehr als 50 Personen in Zamfara, von denen David Ishaya, der ehemalige Vorsitzende der ‚Christian Association of Nigeria’ in dem Bundesstaat, unlängst die Presse berichtet hatte. Sanusi Kaura, einer der Leiter des Zamfara-Direktorats für die Implementierung und Überwachung der Scharia, wies den Vorwurf zurück.

Neben grundsätzlichen Zweifeln an der islamischen Rechtsprechung mehrt sich der Ärger über die immer offensichtlicher werdende Doppelmoral der Richter. So sind im letzten September drei der Juristen wegen Korrumpierbarkeit und Urteilen zugunsten einflussreicher Personen angezeigt worden, kamen aber mit einer Suspendierung und einer Halbierung des Gehalts davon. Ohne weitere Folgen blieben auch Vorwürfe gegen den Gouverneur des Bundesstaates, er verkaufe Düngemittel ausschliesslich an die Mitglieder seiner Partei.

Als besonders positive Auswirkungen der Scharia-Einführung hält Kaura die Schliessung der „Kneipen, Bordelle, Spielhallen und Kinos“ und „das Verkaufsverbot für Alkohol in den Hotels“. In der Tat sind aus den Strassen der Hauptstadt Gusau alle Prostituierten verschwunden, was aber nicht heisst, dass das Geschäft mit Sex gänzlich gebannt wäre. In den Vorstädten erfreuen sich die Nachtclubs für die Reichen nach wie vor eines grossen Zulaufes. Hier wird im übrigen auch noch immer gerne und reichlich Alkohol ausgeschenkt.

Alles in allem sind auch in Nigeria die Frauen die Hauptleidtragenden der islamischen Moral-Offensive. Berichten zufolge sind ungezählte alleinstehende Bäuerinnen von ihren Feldern vertrieben worden, auch haben viele berufstätige Frauen die Kündigung bekommen. Zudem müssen sie dank Scharia heute Kilometer um Kilometer zu Fuss gehen. Verboten ist ihnen nicht nur die Mitfahrt auf dem Motorrad, sondern auch die Fahrt mit einem Bus.

Datum: 02.05.2002
Autor: Toye Olori

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