„Ohne Fleiss kein (Wohlstand) Preis“

Der Unternehmer Friedhelm Loh.

Noch nie ist eine deutsche Bundesregierung am Beginn ihrer Arbeit von soviel negativen Schlagzeilen aus der Wirtschaft begleitet worden wie die gegenwärtige. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages sagte in “Focus” voraus, dass nach dem rot-grünen Start immer mehr Unternehmer ins Ausland abwandern würden. Einer der erfolgreichsten evangelischen Unternehmer ist Friedhelm Loh (Haiger). Als er als 28jähriger 1974 anfing, hatte der Betrieb, den er von seinem Vater übernahm, 200 Mitarbeiter. Heute beschäftigt die Firmengruppe fast 10.000 Mitarbeiter mit einem Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Euro. Loh ist Mitglied einer Freien evangelischen Gemeinde und gehört zum Vorstand mehrerer evangelikaler Werke. Die von ihm 1999 gegründete und geleitete “Stiftung Christliche Medien” stellt mittlerweile den grössten Zusammenschluss evangelischer Verlage dar (Hänssler, Brockhaus, ERF-Verlag, Bundes-Verlag und Teile des Oncken-Verlages). Mit Loh sprach Helmut Matthies.

Helmut Matthies: Wann kommt Deutschland aus dem Tal der Tränen heraus?
Loh: Wir erleben eine internationale Wirtschaftskrise. Die meisten Branchen haben erhebliche Einbrüche, besonders die Treiber der Konjunktur der letzten Jahre, die Informationstechnologie. Einen Wirtschaftszweig, den es so vor zehn Jahren überhaupt noch nicht gegeben hat. Dazu kommen spezielle hausgemachte deutsche Probleme, die dazu führen, dass die Lage hier schlechter ist als in anderen grossen europäischen Staaten und Amerika. Der Weg aus dem Tal der Tränen führt über mehr Leistung, d. h. attraktivere und wettbewerbsfähige Produkte, und massive Deregulierungsmassnahmen durch Politik und die Tarifpartner. Die Aussichten für die letzteren Faktoren sind schlecht. Deshalb werden wir das Tal der Tränen nur langsam verlassen und wahrscheinlich nicht aus eigener Kraft.

Kann man in Deutschland noch produzieren und überleben? Nun gibt es ja erfolgreiche Firmen wie die Textilfirma Trigema, die geradezu damit wirbt, dass sie ausschliesslich in Deutschland produziert ...
Loh: Ich kenne dieses Unternehmen zu wenig und kann die Situation nicht beurteilen. Es gibt aus meiner Sicht kaum einen deutschen Unternehmer, der ohne triftige Gründe den Wunsch hat, statt vor der eigenen Haustür im Ausland zu produzieren. Der Markt zwingt uns zur Internationalisierung unserer Produktionsstätten; einerseits aus Kostengründen, andererseits aufgrund der Standorte unserer Kunden. Wir werden selbst von deutschen und auch ausländischen Kunden immer wieder gefragt, warum wir noch am teueren Standort Deutschland produzieren. Wir versuchen, alles in Deutschland zu halten, aber kein Unternehmen kommt an dem Konflikt vorbei ...

... dass man eben in Böhmen billiger produzieren kann als in Hessen oder Nordrhein-Westfalen.
Loh: ... und deshalb stellen sich viele die Frage: Was ist, wenn die Konkurrenz bereits beschlossen hat, nach Böhmen zu gehen, und ich bleibe hier? Dann verliere ich womöglich alles. Das erzeugt Entscheidungsdruck.

Dann müssten Sie ja eigentlich gegen die Osterweiterung der EU sein?
Loh: Die Osterweiterung ist einerseits eine grosse Chance, da sie einen wesentlich grösseren Markt für alle Unternehmen bietet. Auf der anderen Seite – und das haben wir ja jetzt schon in der EU – führen solche Entwicklungen zu Wettbewerbsverzerrungen. Wenn ich z.B. in Deutschland eine Fabrik bauen will und für ein Grundstück eine Million Euro bezahlen und hohe Auflagen erfüllen muss, das gleiche in Portugal oder Polen für 200.000 Euro und zusätzlich staatliche Subventionen bekomme, erreiche ich eine wesentlich grössere Wettbewerbsfähigkeit. Eine entscheidende Voraussetzung für Wachstum. Die Medaille hat eben zwei Seiten. Es gibt keine Chance ohne Risiko.

Die EKD-Synode hat in einer Erklärung von der Wirtschaft gefordert: “Europa darf sich nicht abschotten.” Das gelte auch für Arbeitsimmigranten. Und man sprach vom “Skandal weltweiter wirtschaftlicher Ungerechtigkeit” als “zentraler Herausforderung”. Die Meinung: “Im Zeitalter der Globalisierung könne man sich den Sozialstaat nicht mehr leisten”, lehnte man ausdrücklich ab.
Loh: Wer diese Forderungen so stellt, muss auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Z. B eine massive Überbevölkerung in den Wirtschaftsnationen und die weitere Verarmung der Schwellen- bzw. der Entwicklungsländer, unvorstellbare Integrationsprobleme und eine multikulturelle Gesellschaft, die keine nationale Identität mehr hat etc. Wir sind heute als Gesellschaft – wie die Kirchen auch – nicht in der Lage, die bestehenden Probleme zu lösen. Warum dann Thesen für die weitere Öffnung, anstatt der verstärkte praktische Einsatz für die Integration bereits hier lebender Ausländer? Nun zum Sozialstaat. Die sozialste Leistung eines Staates ist, ein Umfeld zu schaffen, das weitgehendste Vollbeschäftigung zu Konditionen ermöglicht, die der Rest der Welt bereit ist für die wirtschaftliche Leistung zu bezahlen. Konkret: Die Volksgemeinschaft, die im Wettbewerb siegt, wird sich auch dauerhaft das beste Sozialsystem für seine Bürger leisten können. Die Alternative ist, den Rest der Welt in einem überschaubaren Zeitraum auf das deutsche Niveau zu heben – eine Utopie. Wenn die “wirtschaftliche Ungerechtigkeit” als “Skandal” bezeichnet wird und der Massstab die “schwächsten Glieder” der Weltgemeinschaft sind, dann hilft nur die aktive Hilfe zur Selbsthilfe und damit das Opfer der Menschen der Wohlstandsgesellschaften für die Armen. Die Christen haben an dieser Stelle viel getan, aber sicherlich nicht genug.

Sind Sie enttäuscht vom Ausgang der Bundestagswahl?
Loh: Ja! Und zwar, weil sich in den Koalitionsvereinbarungen und in der Regierungserklärung keinerlei Perspektiven für eine attraktive Zukunft eröffnen. Entsprechend gross ist die Enttäuschung der Bürger und entsprechend schlecht die Stimmung in der Wirtschaft.

Hätten denn CDU/CSU/FDP grundlegend etwas anderes machen können?
Loh: Die meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft der Mittelstand. Die rot-grüne Politik orientiert sich aber überwiegend an der Struktur der Grossunternehmen und der Gesellschaftsform der Kapitalgesellschaften. Hinzu kommt eine Überbürokratisierung, die sich am “worst case” orientiert und den Mittelstand überfordert. Von der CDU/CSU/FDP hätte ich die Schaffung von mehr unternehmerischen Freiheiten erwartet, d.h. Deregulierung der Gesetze und Verordnungen sowie eine aktive Förderung des Mittelstandes. Darüber hinaus auch eine positivere Stimmung für mehr Investitionen und Beschäftigung.

Ein Beispiel ...
Loh: Was demotiviert, ist, dass die Regierung offensichtlich nicht bereit ist, unsinnige Gesetze wieder rückgängig zu machen. Gesetze, die sich als grosse Belastung erwiesen haben, wie z. B. die Erweiterung des Betriebsverfassungsgesetzes. Ich bin für Mitbestimmung. Aber ob ich z. B. zehn oder zwölf Mitglieder im Betriebsrat habe, hilft den Arbeitnehmern nicht, kostet aber die Unternehmen viel Geld. Qualität geht auch hier vor Quantität. Es gibt z. B. Unternehmen, die würden mehr als 199 Mitarbeiter anstellen, machen es aber nicht, weil sie neuerdings schon ab 200 Mitarbeitern einen freigestellten Betriebsrat bezahlen müssen. Ich habe beispielsweise eine Firma in England mit rund 800 Mitarbeitern. Der Betriebsrat besteht aus vier Mitarbeitern. In Deutschland müssten es 13 sein. Ich stelle nicht fest, dass die vier Mitarbeiter weniger bewirken, als die 13 in Deutschland. D. h. der Unternehmer in anderen Staaten muss offensichtlich wesentlich weniger Kosten aufwenden als in Deutschland. Noch ein Beispiel: Die weiter limitierten Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich der befristeten Arbeitsverträge und der sogenannten Scheinselbständigkeit fördern nicht die Flexibilität der Wirtschaft, sondern bauen neue Hürden auf.

Also gibt es keinen Ausweg aus der Krise?
Loh: Ich bin trotz allem Optimist, sonst könnte ich ja gleich aufhören. Dieser Optimismus hat aber für uns alle seinen Preis: mehr Engagement bei Mitarbeitern und Management sowie ein höheres unternehmerisches Risiko. Uns muss klar sein: Wir werden angesichts des weltweiten Wettbewerbs ohne eine positive Einstellung zur Arbeit, ohne die besseren Konzepte und Ideen und ohne eine wirtschaftsfreundlichere Politik im Sinne sicherer Arbeitsplätze den Wohlstand in Deutschland nicht halten können. Der Ausweg aus der Krise? Lernen wir von unseren Eltern: Ohne Fleiss kein (Wohlstand) Preis.

Es gibt ja nicht nur eine Vertrauenskrise der Wirtschaft in die Regierung, sondern auch immer weniger Vertrauen der Bürger in die Wirtschaft. So sollte es doch Unternehmer nachdenklich stimmen, dass nur noch 21 Prozent der Bürger in den neuen Bundesländern Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft haben. Läuft hier nicht auch bei der Wirtschaft etwas falsch?
Loh: Das Hauptproblem in Deutschland und anderen Ländern ist tatsächlich die Glaubwürdigkeit, die in allen Bereichen stark gelitten hat. Wenn zum Beispiel ein Bundeskanzler zu Beginn seiner Amtszeit verkündet, dass er sich daran messen lässt, die Arbeitslosenzahl zu halbieren, und bei Nichterreichen nicht die angekündigte Konsequenz zieht, wird er unglaubwürdig. Wenn in der Wirtschaft Bilanzschiebereien zum Vorteil des Managements passieren oder unvorstellbare Abfindungen bezahlt werden, dann ist die Glaubwürdigkeit schwer angeschlagen. Aber deshalb sind weder Politik noch Wirtschaft insgesamt verlogen. Tatsache ist, dass es viel mehr Politiker und Unternehmer gibt, die sich überdurchschnittlich einsetzen und ehrlich sind. Über den Unternehmer eines Schlosserbetriebes mit 50 Mitarbeitern und 5 Auszubildenden, der über 40 Jahre fleissig und ehrlich arbeitet, schreibt niemand.

Nun ergeben aber internationale Untersuchungen über Korruption, dass Deutschland auf der Liste von 1999 bis 2002 vom 14. auf den 18. Platz der “ehrlichsten” Staaten heruntergerutscht ist ...
Loh: Leider spielt die Botschaft der Zehn Gebote Gottes eine immer geringere Rolle. Sie sind Regeln für ein werteorientiertes erfülltes Leben. Die meisten Menschen kennen sie nicht, und sie werden von den Kirchen immer weniger vermittelt. Also kein Wunder, dass die Ehrlichkeit abnimmt. Der zunehmende Egoismus, aber auch der hohe Wettbewerbsdruck verführen zu Korruption. Ein Beispiel: Wenn ein Bauunternehmen einem Sportverein eine grössere Spende gibt und demjenigen, der für die Auftragsvergabe zuständig ist, ein Geschenk macht, ist die Chance grösser, den Auftrag für das neue Stadion zu erhalten. Das ist Korruption. Auf der anderen Seite steht, dass durch seine Handlungsweise Arbeitsplätze erhalten werden, möglicherweise sogar die ganze Firma gerettet wird.

Und wie lösen Sie das Problem?
Loh: Gott sei Dank sind wir nicht in der schwierigen Lage der Baubranche oder ähnlicher Branchen, beziehungsweise in der Abhängigkeit von Grossobjekten. Deshalb bin ich ganz vorsichtig in meinem Urteil über andere, denn Gott hat mich bisher vor kritischen Situationen dieser Art bewahrt. In meinen Unternehmen ist Bestechung verboten. Ich bemühe mich, die Unternehmen nach christlichen Werten zu führen, wissend, dass dies eine grosse Herausforderung ist.

Nun sind gerade in den letzten zwei Jahren ungewöhnlich viele von engagierten, evangelikalen Christen geführte Unternehmen pleite gegangen. Haben sie es mit den Zehn Geboten zu genau genommen?
Loh: Mit den Zehn Geboten kann man es nicht genau genug nehmen. Ihre Einhaltung ist aber kein Garantieschein für unternehmerischen Erfolg, Karriere oder ein irdisches Leben in Wohlstand und Gesundheit. Ebensowenig ist die Missachtung der Zehn Gebote in der Konsequenz der sichere unternehmerische Untergang. Im Alltag erleben wir Christen beides und leben letztlich auch hier aus der Vergebung. Christliche Unternehmer haben es deswegen etwas leichter als andere, da sie wissen, dass sie in Gottes Hand geborgen sind – egal, ob sie den erwünschten Erfolg haben oder nicht. Das gibt ein Stück Gelassenheit, denn in erster Linie bestimmt mich nicht das Unternehmen, sondern meine Beziehung zu Gott. Auf der anderen Seite haben es christliche Unternehmer auch schwerer, weil sie wissen, dass Gott und Menschen an sie hohe Ansprüche stellen.

Früher galten Christen als fleissiger als andere. Ist das heute auch noch so?
Loh: Man sollte nie pauschal urteilen. Aber aus der Erfahrung stelle ich fest, dass der Anspruch, den viele Christen an die Gesellschaft und auch an Unternehmen und christliche Unternehmer haben, oft höher ist als ihre Bereitschaft, sich selbst entsprechend einzubringen. Ich wünschte mir oft mehr Unterstützung und konstruktivere Kritik.

Sie haben einmal gesagt: Nichts ist schlimmer, als mit Christen zu arbeiten.
Loh: Wenn ich das in einem anderen Zusammenhang so gesagt habe, ist das sicherlich übertrieben. Viele Mitarbeiter, die Christen sind, haben mich in den Unternehmen, aber auch im Rahmen anderer Aufgaben massgeblich unterstützt. Sie haben meinen Weg entscheidend geprägt. Ich weiss, dass viele Mitarbeiter für mich und die Unternehmen beten – ein unschätzbar wertvolles Gut. Andererseits fällt sicherlich auch Ihnen auf, wie wenige gläubige Christen in wichtigen unternehmerischen Positionen arbeiten. Warum ist das so? Sicherlich nicht, weil Christen in der Wirtschaft benachteiligt werden. Aus meiner Sicht steht oft das persönliche Wohlergehen vor der Übernahme von Verantwortung für andere und die Bereitschaft zum Risiko. Wir wünschen uns sicher in der Wirtschaft wie auch in unseren Gemeinden eine neue Aufbruchstimmung.

Was empfehlen Sie jemandem, der als Christ Führungskraft werden möchte?
Loh: Einsatz, Einsatz, Einsatz ... Verantwortung übernehmen und nicht einfach mitschwimmen, lernen und Profil zeigen, zu seiner Meinung stehen und immer wieder auf Gottes Führung hören. Nicht verzweifeln, wenn Gott etwas anderes vorgesehen hat, als man es sich selbst gedacht hat. Wie heisst es: Geh mit Gott, aber geh! Ich freue mich, dass es in der jungen Generation wieder eine Vielzahl interessierter und engagierter Leute gibt, die nach Gott fragen, ihr Leben in die Hand nehmen und aktiv gestalten. Das macht Mut!

Datum: 23.11.2002
Autor: Helmut Matthies
Quelle: idea Deutschland

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