Interview

Wo der Klimawandel weh tut

Extreme Wetterbedingungen ängstigen und beeinträchtigen viele Menschen im Süden. Dürren plagen, schwere Stürme drohen. Livenet sprach mit Ueli Bachmann, dem Projektverantwortlichen des evangelischen Hilfswerks TearFund Schweiz.
Auswirkung des Klimawandels: Überschwemmung in Bangladesch.
Ueli Bachmann

Livenet: Was geht bei Ihnen in diesen Kopenhagener Wochen ab?
Ueli Bachmann: Die Mühlen mahlen frustrierend langsam. Sehr schnell versteckt man sich hinter dem sogenannt politisch Machbaren; die Bedürfnisse der am meisten betroffenen Menschen kommen hintenan. Ich verstehe die Frustration in den afrikanischen Delegationen, die nur mit der Drohung abzureisen Zugeständnisse von den Industrieländern erreichten. Was die vom Klimawandel Meistbetroffenen in den Ländern des Südens erleben, wird zu wenig berücksichtigt.

Persönlich finde ich es bedenklich, dass die Schweiz in diesen Verhandlungen ihre Möglichkeiten nicht nutzt. Ihr Angebot zur CO2-Ausstoss-Reduktion bis 2020 (20 Prozent unter dem Niveau von 1990) ist sehr bescheiden. Das Kyoto-Protokoll verlangt bis 2012 eine Reduktion der CO2 Emissionen um 10 %, mindestens die Hälfte der Reduktion muss im Inland geschehen. Die Schweiz wird diese Forderung nicht erfüllen und wird die Reduktionsziele nur durch den Kauf von ausländischen Emissionszertifikaten erreichen. Kopenhagen sollte klare Rahmenbedingungen setzen, die die Entwicklung der CO2-Ausstossreduktion steuern.

Sind die Menschen im Süden auf eine Verpflichtung zur CO2-Reduktion angewiesen?
Sie spüren die Folgen einer Entwicklung, die nicht sie verursacht haben: Wir können doch nicht einer Familie sagen, sie dürfe weniger Holz verbrennen zum Schutz der Wälder - wenn sie keinen anderen Energieträger zur Verfügung hat. Viele afrikanische Länder haben zur Erwärmung der Atmosphäre fast nichts beigetragen. Ein weiterer Anstieg des CO2-Ausstosses und der damit verbundene Temperaturanstieg gefährden die Existenz vieler Menschen in den Ländern des Südens.

Ansätze zu einer besseren Energieeffizienz gibt es viele, doch ist der Einfluss dieser Technologien noch bescheiden. Beispielsweise verbrauchen verbesserte Öfen zum Ziegelbrennen, eine Technologie, die in China entwickelt wurde, deutlich weniger Energie und produzieren weit weniger Schadstoffe. Die Eidgenossenschaft unterstützt die Einführung dieser Öfen in etlichen Ländern. Noch besser wären «compressed bricks», die gar nicht gebrannt werden müssen und schon vielerorts eingesetzt werden. Afrika könnte die Solarenergie in verschiedenen Formen viel besser nutzen.

Was blenden wir in Westeuropa aus? Gibt es Aspekte, die wir noch viel mehr zur Kenntnis nehmen müssten?
Ungefähr je ein Drittel unseres CO2-Ausstosses stammt von den Haushalten, der Industrie und dem Verkehr. Also haben wir als Privatpersonen Einfluss auf zwei Drittel: im Wohnen und mit der Mobilität. Die Wissenschaft hat klare Daten geliefert. Bis 2050 sollten wir den Ausstoss gegenüber 1990 um 80% reduziert haben; die Hoffnung besteht, dass dann die globale Erwärmung 2 Grad nicht übersteigt. Erreichen wir dieses Ziel nicht, kann nach heutigem Wissensstand das Leben vielerorts zur Hölle werden. Menschen, die in chronischer Armut leben, sind in den Ländern des Südens besonders gefährdet. Für die Reduktion braucht es noch ein grosses Umdenken.

Wirft der Klimawandel Völker zurück?
Das Binnenland Malawi im südlichen Afrika, in dem die Menschen zuvor unter Hunger litten, hatte infolge besserer Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft mehrheitlich genug Nahrungsmittel; 2008 konnte man nach Simbabwe exportieren. Zukünftige extreme Wetterumschläge könnten dies zunichte machen. Ich sah, wie ganze Maisfelder weggeschwemmt wurden. Dieses Jahr ist die Regenzeit verspätet; die Bauern konnten noch nicht anpflanzen.

Nordkenia leidet seit drei Jahren an einer andauernden Trockenheit mit ungenügenden oder teils gänzlich ausfallenden Regenzeiten. Bangladesch fürchtet ein Doppeltes: Wasser wird in Trockenzeiten knapp, anderseits drohen Wirbelstürme und Überschwemmungen, wenn im Himalaya die Gletscher schmelzen.

Was wird angesichts des Klimawandels getan?
Wo möglich werden vermehrt Felder in der Trockenzeit bewässert (winter cropping), um das Risiko eines Ernteausfalls zu mindern und der Nahrungsmittelverknappung entgegenzuwirken. Wer fruchtbare Böden erhalten will, muss der Erosion wehren; das ist Einheimischen seit langem bewusst.

TearFund trägt dazu bei, dass Menschen Krisensituationen besser überstehen. Dies gelingt eher, wenn Leute nicht allein vom Ertrag des Feldes leben, wenn sie ihre Produkte selbst verarbeiten oder einen Nebenerwerb haben.

Wenn Sie einen Auftritt in Kopenhagen hätten - was würden Sie den Politikern sagen?
Die Möglichkeit habe ich leider nicht. Ich würde sagen: Für eine Zukunft, in der alle Menschen ein würdevolles Leben führen können, braucht es die Zusammenarbeit aller - und dies ist nur möglich, wenn wir uns zum Wohle anderer Menschen in unserem Lebensstil einschränken. Wir müssen lernen, auf die Länder zu hören, die von den Wirkungen des Klimawandels massiv betroffen sind.

Datum: 21.12.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung