Integration und Familienpolitik

Klischees und Realität

Die Bevölkerung in Westeuropa altert und wird «bunter» in ihrer ethnisch-kulturellen Zusammensetzung - auch weil Migrantinnen mehr Babies haben. Die Erwartungen, dass sich diese Kinder schnell integrieren, haben sich aber nicht erfüllt. Im Gegenteil, es bilden sich Subgesellschaften.
Migranten mit Baby

Die Unterschiede im Geburtenverhalten zwischen Zuwanderern und „Einheimischen" haben sich in den letzten Jahrzehnten noch verschärft: So sind die Unterschiede in den Anteilen Kinderloser zwischen Frauen mit und ohne Migrationserfahrung zum Beispiel in Deutschland wesentlich grösser. Verständlich wird diese Entwicklung im Blick auf die Herkunft vieler Migrantinnen aus traditionell-ländlichen Regionen: Kinder zu bekommen ist für sie zumeist noch eine biographische Selbstverständlichkeit. Die Geburtenzahlen zeigen hier symptomatisch, wie sich die säkulare Kluft zwischen traditionsbestimmten und postmodern-individualistischen Lebenswelten vergrössert.

Wunschdenken

Lange gingen Politiker und auch Wissenschaftler davon aus, dass sich Zuwanderer in ihrer Lebensweise rasch der einheimischen Bevölkerung anpassen. Teile der zugewanderten Bevölkerung halten jedoch auch in der 2. und 3. Generation an hergebrachten Heirats- und Familienbildungsmustern fest und weisen vergleichsweise hohe Kinderzahlen auf. Doch selbst wenn sich die Folgegenerationen dem Geburtenverhalten der einheimischen Bevölkerung anpassen, nimmt aufgrund der hohen Kinderzahlen der ersten Generation der Migranten ihr Anteil an der Gesamtzahl der Mütter zu.

Mütter haben‘s im Westen leichter

Damit wächst notwendigerweise ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Auch ohne weitere Zuwanderung würde sich so der Anteil dieser Gruppen vergrössern. Durch ihre verwandtschaftlichen Netzwerke und Heiraten ziehen sie aber häufig weitere Zuwanderer aus ihrer Heimatregion nach. Auf diese Weise wachsen etwa in deutschen Grossstädten neue ethnische Subgesellschaften. In vielen dieser Subgesellschaften bilden Arbeitslosigkeit, relative Armut, eine mangelnde Ausbildung der Kinder und Jugenddelinquenz ein „Krisencluster" misslungener Integration.

Subgesellschaften

Kritiker des deutschen Sozialstaates sehen im Wachstum dieser Parallelgesellschaften eine von dessen Transferleistungen mit verursachte „Unterschichtung" der deutschen Gesell-schaft. Direkte monetäre Transfers an Familien förderten den Kinderreichtum in den „falschen" Schichten (unter Migranten, Bildungsfernen etc.). Der frühere Berliner Finanz-senator Thilo Sarrazin forderte deshalb, dass Deutschland in der Familienpolitik „völlig umstellen" müsse: „weg von Geldleistungen, vor allem bei der Unterschicht". Stattdessen seien die Mittel zugunsten von „Sachleistungen" bzw. eines Ausbaus der Kinderbetreuungs-infrastruktur umzuverteilen. (Wegen abschätziger Bemerkungen über Türken und Araber in Berlin wird Sarrazin heftig kritisiert.)

Staaten überfordert

Der Blick über die deutschen Grenzen hinaus zeigt allerdings, dass eine höhere Kinderzahl von Migranten und ein tiefgreifender ethnischer Bevölkerungswandel in praktisch allen westlichen Demokratien die Integrationsfähigkeit des Nationalstaates herausfordern. Dies gilt für die liberalen angelsächsischen nicht weniger als für die wohlfahrtsstaatlich geprägten europäischen Länder. Der Einfluss der Sozialpolitik auf den Kinderreichtum ethnischer Minderheiten wird von Sozialstaatskritikern wie Sarrazin offenkundig weit überschätzt.

Link zum Thema:
«Vergiftete Analyse»: Die NZZ zu Sarrazins umstrittenen Aussagen >> http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/vergiftete_analyse_1.3855379.html

Datum: 15.10.2009
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SSF

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