Familienpolitik

Für einen Drei Generationen Vertrag

Tandem
Generation

Die Krise des Sozialstaats tangiert auch die Familienpolitik. Für eine zusätzliche Unterstützung der Familien scheint angesichts der angespannten Wirtschaftslage schlicht das Geld zu fehlen. Doch dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mehr denn je Handlungsbedarf gegeben ist. Die Ideen sind vorhanden, zum Beispiel in unsererm nördlichen Nachbarland.

„Kinder kriegen die Leute immer“ – das geflügelte Wort des grossen ersten Bundeskanzlers der Nachkriegszeit zeigt, wie sehr sich der Architekt des auf den Trümmern des Dritten Reiches aufgebauten demokratischen Deutschlands irren konnte.

Deutschland geht einer demografischen Katastrophe entgegen, lautet der einhellige Tenor von Familienforschern in unserem Nachbarland. Immer mehr Menschen im Rentenalter, immer weniger Kinder, eine schwache Wirtschaft – das kann nicht gut kommen. Vermehrte Einwanderung löst das Problem nur zu einem kleinen Teil.

Noch nicht im öffentlichen Bewusstsein

In Deutschland macht man jedoch die Beobachtung, dass der Ernst der Lage noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist. Das liesse sich auch für die Schweiz sagen, obwohl uns die Deutschen darum beneiden, dass unser Land mit dem Drei-Säulen-Modell in der Altersvorsorge einen Vorsprung habe. Deutschland finanziert die Renten weiterhin nur mit dem Umlageverfahren.

Immer deutlicher wird, dass sich in den europäischen Ländern grosse Teile der Bevölkerung, insbesondere Menschen, die keine Kinder grossziehen, vom Generationen-Vertrag verabschiedet haben. Dieser bestand im Wesentlichen darin, dass die erwerbstätige Generation nicht nur die nächste heranbildet, sondern auch den Lebensunterhalt ihrer Eltern sicher stellt. Allerdings: Wer sich der Aufgabe stellt, auch die nächste Generation heranzubilden, hat im Alter wesentliche Nachteile gegenüber den Kinderlosen, da sie zwar mit ihren Kindern die Zukunft und den Lebensabend für alle sichern helfen, aber selbst weniger Rente bekommen und weniger privat fürs Alter vorsorgen können.

Durchgreifende Reform nötig

Für unsere deutschen Nachbarn scheint klar: Es braucht eine durchgreifende Reform der sozialökonomischen Position der Familien in der volkswirtschaftlichen Verteilordnung. Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU), Marie-Luise Dött, hat jetzt in einem Artikel für einen „Drei-Generationen-Vertrag“ plädiert. Sie greift dabei auf den „Schreiber-Plan“ zurück. Dieser war zwar Grundlage für das heutige umlagefinanzierte Rentensystem. Doch Wilfried Schreiber habe sich schon damals für einen Drei-Generationen-Vertrag ausgesprochen, bei dem die Höhe der Rente auch davon abhing, wie viele Kinder die Beitragszahler grossgezogen haben. Es sei jedoch nicht gelungen, diesen durchzusetzen, nachdem Adenauer mit seinem berühmten Ausspruch „Kinder kriegen die Leute immer“ die Drei-Generationen-Idee vom Tisch gewischt habe.

Heute stehe man vor der Tatsache, dass das umlagefinanzierte Rentensystem sich nur noch finanzieren lasse, „wenn man entweder die Alten enteignet oder die Jungen ausbeutet“. Der Weg dazwischen liege darin, dass alle mehr und länger arbeiten müssen, besonders weil auch die Lebenserwartung steige. Dies gelinge aber nur, wenn es mehr Arbeitsplätze gebe. In der letzten Zeit habe man aber eine konsequente „Frühverrentung“ betrieben, stellt Marie-Luise Dött fest. Diese aber habe betriebswirtschaftlich und sozialpolitisch in eine Sackgasse geführt. Die Folgen: höhere Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Die Arbeit ist teurer geworden, Arbeitsplätze werden abgebaut, insbesondere ältere Arbeitnehmer bekommen keine Jobs mehr. Damit verbunden ist eine gravierender Know-how- und Erfahrungsverlust.

Für einen Paradigmenwechsel

Fazit: „Wir müssen unbedingt einen Paradigmenwechsel im Blick auf die Zukunft der Arbeit in einer alternden Gesellschaft herbeiführen“, so Dött. Es sei ein Fehler gewesen, die ältern Menschen wie ein Aktienpaket abzustossen. Diese arbeiteten zwar anders als die jungen, aber nicht schlechter. Um sie im Arbeitsprozess zu behalten, brauche es aber andere Anreize für die Unternehmer und mehr Flexibilität. Es mache zum Beispiel wenig Sinn, wenn Löhne bei ältern Arbeitnehmern immer mehr stiegen. Auf der andern Seite müssten junge Arbeitnehmer, die eine Familie aufbauen wollen und die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder finanzieren müssen, mehr finanzielle Spielräume bekommen.

Ein Drei-Generationen-Vertrag müsste deshalb folgende Elemente enthalten. Eine Anpassung der Lebensarbeitszeit nach oben, eine stärkere Berücksichtigung der Erziehungsleistungen bei den Renten, niedrigere AHV-Beiträge für Eltern, eine Favorisierung der Familien bei den Einkommens- und Lohntarifen, eine Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit, angepasste Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer, aber auch eine Flexibilisierung des Kündigungsschutzes für Ältere, da er sich sonst gegen sie wende.

Chancen noch vorhanden

Im Vordergrund bleiben aber so oder so Massnahmen, die das Grossziehen von Kindern ermutigen und erleichtern. Prof. Max Wingen, Ministerialdirektor im Bundesministerium für Familie a.D., weist darauf hin, dass eine Familienpolitik, die das Grossziehen von Kindern favorisiere, durchaus eine Chance habe, wie das Beispiel Frankreich zeige. Zwar würde man bei einer entsprechenden Reform auch so zunächst mit einer rückläufigen Bevölkerungszahl zu rechnen haben, doch längerfristig sei eine Korrektur möglich. Das Geburtenniveau sei keine „Naturkonstante“.

Wingen ist überzeugt: Der Wettstreit um das bessere Reformkonzept für die Zukunft des Sozialstaats kann von niemandem gewonnen werden, der die familiengemässe Einkommensgestaltung im Sinne eines Familienlastenausgleichs ausklammert, statt sie in den Mittelpunkt der Reform zu rücken.

Kurzkommentar


Dass eine gerechte Einkommensverteilung zugunsten der Familien dringlich ist, ist auch von den Schweizer Sozialpolitikern bisher nicht wirklich erkannt worden. Sie fürchten sich, andere Bevölkerungsgruppen stärker zu belasten. Die kommende Legislatur wird zeigen, ob die Familienpolitik eine Chance erhält oder wie bisher eher auf die lange Bank geschoben wird. Der Umgang mit der bereits eingereichten Volksinitiative „für fairerer Kinderzulagen“ und der lancierten Initiative „Für die Familie – Kinder sichern Zukunft“ wird es deutlicher machen.

Quelle: Livenet/ SSF

Datum: 31.10.2003
Autor: Fritz Imhof

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