Aus Asche von Menschen Diamanten machen

Blaue Diamanten: so können sterbliche Überreste von Menschen aussehen.
solitär

Beerdigungen überlassen den Leichnam dem Zerfall, Feuerbestattungen lassen staubige und unansehnliche Asche entstehen. Seit zwei Monaten besteht eine dritte, eine "saubere" Lösung: Als europäische Premiere bietet ein Unternehmen in Chur (Kanton Graubünden) an, aus der Asche Verstorbener Diamanten herzustellen.

Es bleiben ethische und moralische Fragen, die sich namentlich wegen der Totenruhe stellen. Die "diamantene" Bestattung verblüfft die befragten Kirchenleute. Sie verurteilen nicht, doch haben sie Zweifel, ob das Verfahren sinnvoll ist.

Der Geschäftsidee mit den Diamanten kommt zustatten, dass die hergebrachten Beerdigungsformen immer weniger gefragt sind. Mit grossem Pomp unter der Anteilnahme vieler Menschen durchgeführte Bestattungen sind seltener geworden, immer öfter nehmen Angehörige die Urne mit der Asche nach der im engen Familienkreis durchgeführten Feuerbestattung mit nach Hause. Da kommt die Möglichkeit gerade recht, die teuren Verstorbenen in zugleich diskreter wie ästhetisch befriedigender Weise in Form eines Diamanten präsent zu wissen.

18 Monate Entwicklungszeit

Das Verfahren zur Herstellung der Diamanten ist aufwändig. 18 Monate brauchten die Ingenieure der Firma Algordanza (was auf Rätoromanisch "Erinnerung" bedeutet), um die chemischen und physikalischen Methoden der Herstellung von Diamanten aus menschlicher Asche zu optimieren, bevor im September die ersten Bestellungen ausgeführt wurden. Die in den Standardgrössen 0,5 und 1 Karat produzierten Diamanten haben sofort in ganz Europa Beachtung gefunden. Dies zu einer Zeit, in der in der Schweiz über 75 Prozent der Leichname eingeäschert werden.

Die Meldung von der Erfindung aus Graubünden hat international in den Medien grosse Beachtung gefunden. Erstmals konnte jedoch Kipa jetzt mit einer Kundin der Firma Algordanza sprechen. Sie ist weltweit eine der ersten Frauen, die aus der Asche ihres verstorbenen Mannes einen Diamanten hat herstellen lassen. Sie beabsichtigt, den Diamanten in den Ehering einarbeiten zu lassen, den ihr der Bräutigam vor 16 Jahren schenkte.

Alternative zu Sarg und Urne?

Im dritten Stock eines Bürogebäudes im Herzen der Stadt Chur befindet sich das Besprechungszimmer von Algordanza. Nichts erinnert in den Räumlichkeiten an ein Bestattungsunternehmen. Die beiden Gründer und Geschäftsleiter, Veit Brimer (38) und Rinaldo Willy (24), erklären das Ziel ihres Unternehmens: Eine Alternative zu Sarg und Urne anzubieten. Sie nutzen die rechtliche Gegebenheit, dass in der Schweiz die Familienangehörigen nach der Kremation über den so genannten Leichenbrand - wie die Asche des Menschen in Fachkreisen genannt wird - frei verfügen können. Statt eine Grabnische auf einem Friedhof als Ruhestätte zu wählen, können die Angehörigen deshalb die Asche auch in den Familiengarten streuen oder in einer Urne in den Stubenschrank stellen.

Das Verfahren der Algordanza ist deshalb offensichtlich ganz legal. Das Unternehmen arbeitet derzeit mit 15 Vertretern im Ausland, ausserdem mit zwei Ingenieuren, die die Diamanten herstellen. Einer von ihnen, Vladimir Blank, ist Russe. Er ist Professor an der Akademie der Wissenschaften im russischen Troitsk und hat das Verfahren entwickelt. Blank brachte die Maschine zur Herstellung synthetischer Diamanten von Russland nach Neuenburg (siehe separat).

Der Mann ruht im Ehering

Frau X. möchte anonym bleiben. Die 40-jährige Chemikerin lebt in einer grossen Stadt in Deutschland. Die evangelisch getaufte Frau ist nach eigenen Angaben "keine Kirchgängerin". Ihr Ehemann starb vor wenigen Wochen bei einem Motorradunfall. Nach dem plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten wartet sie nun auf den Diamanten, der in diesen Tagen die Maschine in Neuenburg verlassen wird. "Mein Vater hat mich auf die neue Möglichkeit aufmerksam gemacht", berichtet sie Kipa. "Ich habe die Idee sofort aufgegriffen." Auch der engere Freundeskreis, den sie informierte, habe zugestimmt. Einzig einer Freundin habe ihr Vorhaben nicht gefallen.

"Als Chemikerin stehe ich der Verarbeitung der Asche zu einem Diamanten positiv gegenüber", erklärt Frau X. "Ich weiss zwar, dass mein Mann überall ist, doch in dem Diamanten habe ich einen Teil von ihm gegenwärtig", sagt sie. Sie will den Diamanten in den Ehering einarbeiten lassen. "Der Stein ist ein wichtiges Symbol der Verbundenheit mit meinem Mann, mit dem ich 16 Jahre das Leben geteilt habe." Sie versteht den Diamanten als letzten Gruss ihres Mannes und vergleicht ihr Vorgehen mit jenem von Eltern, die den ersten Zahn ihres Kindes aufbewahren.

Was tut sie, wenn sich nach der Trauerphase eine neue Lebenspartnerschaft ergibt? "Dann werde ich wohl den Ehering ablegen und ihn in einer Schatulle aufbewahren", antwortet Frau X. Für den Diamanten muss sie nach ihren Angaben "etwas über 3.000 Euro" (umgerechnet rund 4.600 Franken) bezahlen. Das Gewicht des Diamanten kennt sie nicht. "Es kommt mir nur auf die Symbolik an", erläutert sie.

Mobile Welt

Konzessionsgebühren für Gräber oder für Nischen zur Unterbringung einer Urne entfallen. Auch kein Aufwand für die Grabpflege muss einberechnet werden. Zwei Argumente, die die beiden Geschäftleiter von Algordanza gerne vorbringen. Geliefert wird der Diamant auf einem Steinsockel montiert. Er braucht nicht mehr Platz als ein kleiner Würfel, den man leicht in ein anderes Zimmer oder auch in eine andere Stadt transportieren kann. "Es stimmt, die Leute müssen heute oft umziehen", bestätigt Veit Brimer, ein aus Deutschland stammender Informatiker. "Ausserdem gibt es viele ältere Menschen, die sich nicht mehr zum Friedhof begeben können, wo sich das Grab ihres Angehörigen befindet."

Anfragen kommen von überall her, besonders zahlreich aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland und Österreich, Grossbritannien und Skandinavien. Wenige kommen bisher aus Frankreich und praktisch keine aus Spanien und Italien. Gemäss Rinaldo Willy, einem jungen Kaufmann aus dem rätoromanischen Teil Graubündens, kommt es nicht selten vor, dass jemand in seinem eigenen Testament die Bestimmung aufnimmt, dass er in einem Diamanten "enden" soll. "Oft sind solche Menschen Aids-krank oder leiden unheilbar an Krebs."

Herr und Frau Jedermann, Gläubige ebenso wie Freigeister, meldeten sich bei Algordanza, um Auskunft zu erhalten, berichten die beiden Geschäftsführer. Sie stammten aus allen Gesellschaftsschichten, seien eher sechzig- als dreissigjährig, einem Alter, bei dem man weniger an den Tod denkt. Befragt nach aussergewöhnlichen Anfragen, verweisen Brimer und Willy auf jene österreichischen frommen Katholiken, die es "vorziehen, in der Gestalt eines Diamanten die Auferstehung zu erwarten, statt in einem Grab den Würmern ausgeliefert zu sein".

Die Möglichkeit der Bestattung in einem Diamanten habe in Österreich sogar in einem Kloster Anklang gefunden, erzählen die Geschäftsführer. Gefallen habe besonders die Möglichkeit gefunden, künftig auf Bestattungen in der zu klein geworden Krypta verzichten zu können. Eine noch erstaunlichere weitere Anfrage aus Österreich: Ob es nicht möglich sei, den Diamanten auf einem Kelch anzubringen, der für liturgische Zwecke gestiftet würde.

Blaue Farbe

Die von Algordanza angebotenen Diamanten sind von blauer Farbe. Für die Färbung des eigentlich farblosen Diamanten ist gemäss Brimer und Willy das Element Bor verantwortlich, das vom Menschen zu Lebzeiten aufgenommen wurde. Es werden rund 100 Gramm Asche und zwei bis drei Wochen Zeit benötigt, um einen einkarätigen Diamanten (0,2 Gramm) herzustellen. Anschliessend wird er geschliffen. Der Diamant hat einen Durchmesser von 5 oder 8 Millimetern. Der Diamant zu 0,5 Karat kostet laut Prospekt 5.960 Franken, der Diamant zu 1,0 Gramm kostet 9.850 Franken.

Das sei nicht viel teurer als ein Grabstein, heisst es. Die Preise der Grabsteine seien je nach Region unterschiedlich, meint im westschweizerischen Freiburg der Direktor des Bestattungsunternehmens "Pompes funèbres générales", Claude Deschenaux. "In unserer Gegend muss man zwischen 5.000 und 8.000 Franken rechnen. Und zwischen 700 und 1.000 Franken für eine Nische, um eine Graburne unterzubringen." Im Übrigen bestätigt er, dass die Familie frei über die Asche verfügen könne. Das Krematorium verlange von der Familie nur einen Brief, indem die Kremation des Leichnams gestattet werde. Die einzige Einschränkung bestehe darin, dass die Urne nicht auf öffentlichem Boden begraben werden dürfe.

Seit 1963, als die katholische Kirche die Kremation zugelassen habe, sei die Zahl der Einäscherungen ständig gestiegen, berichtet Deschenaux. 2003 habe der Anteil der Feuerbestattungen mehr als 70 Prozent betragen. Algordanza kann wohl mit einer schönen Zukunft rechnen, besonders wenn man bedenkt, dass die Firma durchaus auch Asche verwenden kann, die vor 10 oder 15 Jahren in eine Urne gegeben wurde.

Unter sehr hohem Druck

Die Maschine, die die synthetischen Diamanten herstellt, ist kaum höher als eineinhalb Meter. Zwölf Schritte genügen völlig, um sie zu umkreisen. Ihr Preis beträgt gegen eine Million Franken. Ihre Leistungsfähigkeit ist voll gefordert, wenn sie synthetische Diamanten herstellt: Sie stellt einen immensen Druck von 50.000 bis 60.000 Kilobar her bei Temperaturen zwischen 1.500 und 1.700 Grad Celsius. Der erste Schritt bei der Herstellung besteht darin, die verschiedenen Salze (ungefähr 80 Prozent des Volumens) vom Kohlenstoff (ungefähr 20 Prozent des Volumens) mit Hilfe von Säurebädern abzutrennen. Bei diesem Prozess werden die Salze gelöst und vermengen sich als Gase mit der Luft. Der verbleibende Kohlenstoff wird gereinigt, dann während zwei bis drei Wochen hoher Hitze und hohen Temperaturen ausgesetzt. Dies alles unter der Kontrolle zweier Ingenieure, darunter der Erfinder, Professor Vladimir Blank von der russischen Akademie der Wissenschaften in Troitsk.

Nach 18 Monaten Versuchszeit, wobei das Verfahren mit tierischen Aschen ausgetestet wurde, hat im September die produktive Phase begonnen. "Die Diamanten entstehen wie in der Natur", versichert Veit Brimer. Nur dass das Wachstum der Kristalle nicht Millionen Jahre dauere, sondern wenige Wochen. Algordanza verzichtet darauf, aus der Asche von Tieren Diamanten zu produzieren, obwohl dies technisch möglich wäre. So wurde eine Anfrage abgelehnt, die ein Pferd betraf. "Dafür müsste man parallel zu Algordanza eine weitere Gesellschaft gründen", heisst es dazu in Chur.

Ein Schritt mehr in die "Privatisierung des Todes"

In Freiburg zeigt sich Marc Donzé, Pfarrer von Sankt Peter und von Villars-sur-Glâne, sehr überrascht, als er von einem Verfahren hört, dem er noch nie zuvor begegnet war. Er verurteilt nicht, hat jedoch Fragen: "Aus der Asche Verstorbener Diamanten herzustellen, wirft Fragen auf, wenn auch wahr ist, dass sie Reichtum, Glanz, ja selbst Ewigkeit symbolisieren." Für Pfarrer Donzé, der bis 1998 an der Universität Freiburg Pastoraltheologie lehrte, spiegelt dieser Edelstein das Vorübergehende des Körpers schlecht wieder, er führt sogar zum gegenteiligen Sinn. Der Diamant sei ein Gut, das man gerne besitze. Es sei einfach, ihn bei sich zu haben, ja ihn mit sich zu tragen. Auf diese Weise widerspreche er der Symbolik, dass man "den Körper des Verstorbenen gehen lässt".

Ähnlich tönt es in Chur. Auch Pater Andreas-Pazifikus Alkofer, Professor für theologische Ethik, steht den Diamanten zweifelnd gegenüber. Er hat weniger dogmatische als ästhetische und symbolische Vorbehalte. "Dadurch, dass keine Bestattung auf dem Friedhof mehr stattfindet, verschwindet ein sozialer Erinnerungsort, wo Freunde und Verwandte des Toten gedenken können", kritisiert der Franziskaner. Es sei ein Schritt mehr in die "Privatisierung des Todes".

Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Tod verschwinde. Laut Alkofen stellt sich auch die Frage, wie lange mit dem Diamanten pietätvoll umgegangen wird, wenn einmal die Witwe oder der Witwer nicht mehr da sei. Es stellten sich auch tiefer gehende Fragen über die Jenseitsvorstellungen der Menschen im Zusammenhang mit der Veränderung der Bestattungsformen.

Zerfall der Bestattungskultur: www.livenet.ch/www/index.php/D/article/191/19285/

Datum: 27.10.2004
Autor: Walter Müller
Quelle: Kipa

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