Christliche Ethik hilft, wenn es um Leben und Tod geht

Brutkasten
Ruth Baumann-Hölzle

Am Anfang und am Ende des Lebens werden Entscheidungen, die im Spital über Leben und Tod gefällt werden, immer schwieriger. Immer mehr Leute beanspruchen ein Mitspracherecht. Wer hat denn nun das Sagen? Kann christliche Ethik in solchen Situationen helfen?

Die Medizin hat in den letzten 40 Jahren ungeheure Fortschritte gemacht, und sie macht fast täglich neue. Krankheiten und Komplikationen, die damals zum baldigen sicheren Tod geführt haben, sind heute behandelbar. Aber oft zu einem hohen Preis.

Der Preis kann darin bestehen, dass der alte Mensch zwar weiterlebt, aber nur dank schmerzhafter Behandlung und mit schwerwiegenden Folgen. Die Angst, lange künstlich am Leben gehalten zu werden, hat den Wunsch nach Sterbehilfe hochkommen lassen. Auf der andern Seite der Lebensskala können Frühgeborene schon ab der 24. Woche am Leben erhalten werden, aber auch nur mit Hilfe von aufwändiger Technik, die für die Betroffenen Schmerzen und Stress bedeutet. Ausserdem kann die Behandlung zur schweren körperlichen und geistigen Behinderung führen. Das frühgeborene Kind kann sich aber nicht äussern, ob es diese Behandlung will. Das gleiche gilt für Schwerkranke, die zum Beispiel im Koma liegen oder künstlich in einen Tiefschlaf versetzt werden müssen.

Das moderne Paradigma der persönlichen Autonomie lautet, dass der Kranke möglichst selbst bestimmen soll, was mit ihm geschieht. Wenn er das nicht kann, so tat dies in der Vergangenheit der verantwortliche Arzt. Doch diese „paternalistische Entscheidungsfindung“ wird heute meistens nicht mehr akzeptiert. Entscheidungen über Verlängerung oder Abbruch einer Therapie mit fatalen Fogen werden aber immer häufiger nötig, und sie werden immer komplizierter. Da sind auch die engsten Angehörigen oft überfordert.

Neuerdings ziehen Ärzte und Pflegende deshalb Ethikräte oder Ethiker zur Seite, welche die Entscheidung fällen oder zumindest dabei mithelfen. Doch auch dieses Verfahren befriedigt oft nicht. Man spricht – als Gegenüber zur paternalistischen – etwas despektierlich von einer „maternalistischen“ Entscheidungsfindung.

Neuerdings werden deshalb Ethikforen zusammengestellt, die nicht nur das Arzt- und Pflegepersonal umfassen, sondern auch Ethiker, Seelsorger und unter Umständen sogar Juristen. In diesen Foren werden sorgfältig alle Faktoren abgewogen, die bei der Entscheidungsfindung über Leben und Tod von Bedeutung sind. Das betrifft dann nicht nur den Gesundheitszustand des Kleinkindes oder des Schwerkranken, sondern zum Beispiel auch die Umstände, unter denen ein Weiterleben noch möglich ist. Nicht nur die körperliche und geistige Verfassung, sondern auch das soziale Umfeld werden in die Entscheidung einbezogen. Findet das möglicherweise behinderte Neugeborene Angehörige, die es trotz Behinderungen pflegen und umsorgen? Oder trifft es auf Verhältnisse, die seine eingeschränkten Möglichkeiten noch mehr einschränken?

Diese Entscheidungsfindungsabläufe wurden inzwischen immer mehr verfeinert. An einer Tagung zum Thema „Leben um jeden Preis“ stellten Fachleute am 12. März 2004 in Rüschlikon verschiedene solcher Modelle vor. In Workshops wurden konkrete Fälle, die sich auch so ereignet haben, vorgestellt und diskutiert. Initiiert wurde diese Veranstaltung von der Leiterin des Instituts Dialog Ethik in Zürich, Ruth Baumann-Hölzle. Sie kann das Verdienst beanspruchen, christlich-ethisches Gedankengut in den heutigen Spitalalltag einzubringen und die Verantwortlichen bei schwierigen Entscheidungen echt zu unterstützen.

Es war in Rüschlikon ergreifend zu sehen, mit welcher Sorgfalt und Ernsthaftigkeit um schwierige Entscheidungen zwischen Leben und Tod gerungen wird. Mit solchen Tagungen werden die Erfahrungen und die erworbenen Kompetenzen an Kolleginnen und Kollegen in Medizin und Pflege weiter gegeben. Vieles ist hier im Aufbau. Noch soll es Chefärzte geben, die sich nicht gerne dreinreden lassen und die Entscheidung nach altem Muster ganz „paternalistisch“, oft auch intuitiv, fällen. Doch Dialog-Ethik ist es gelungen, Modelle der Entscheidungsfindung aufzubauen, die dem Alltag auch gerecht werden.

Website: www.dialog-ethik.ch

Datum: 19.03.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung