Organhandel: Alles für ein zweites Leben?

Viele Menschen, die eine Spenderniere erhalten, feiern - nach einer meist mehrjährigen leidvollen Dialysebehandlung - diesen Tag als Erlösung von der Maschine
Bereits gebe es spezialisierte Chirurgenteams die lokal oder in Osteuropa Organe von Lebendspender kaufen und vor Ort ihren Patienten einpflanzen
Der Organhandel ist ein soziales und ein ökonomisches Problem. Diejenigen, die ihre Niere verkaufen, machen es, weil sie arm sind und der Staat ihnen nicht hilft.
Das Durchschnittseinkommen in Moldawien liegt bei 50 Mark im Monat. Bettelarme Tagelöhner schuften auf dem Land für Hungerlöhne, verzweifelte Bauern verkaufen für 5000 Dollar ihre Nieren an Organhändler.
Christoph E. Broelsch

Mit einem neuen Herz, einer neuen Leber oder Lunge ist nach einer schweren, unheilbaren Krankheit der Beginn eines "zweiten Lebens" möglich. Was aber, wenn kein Spenderorgan verfügbar ist? Trotz intensiven Kampagnen gibt es nach wie vor zuwenig Organspenden. Kriminelle Banden springen hier in die Lücke mit dem Organhandel; einem sehr lukrativen Geschäft auf Kosten der Gesundheit anderer. Der Organhandel steht in den meisten Ländern am Pranger. Doch das Spiel um Gesundheit, Leben und Tod läuft weiter!

Seit Dr. Christiaan Barnard 1967 die erste erfolgreiche Herzverpflanzung vorgenommen hat, taucht das Thema Organspende und Transplantation immer wieder in den Schlagzeilen auf. Denn menschliche Organe haben plötzlich einen Warenwert bekommen. Heute ist der Körper als solcher verwertbar. Teilstücke und Körpersubstanzen wie Blut, Gewebe, Organe, Föten und Keimzellen sind zum Rohstoff geworden und werden zunehmend im industriellen Massstab verfügbar gemacht. Körpersubstanzen haben somit "Wert"- und "Warencharakter". Das hat dramatische Folgen, heisst es auf der Webseite des deutschen Bioskop-Forums.

Erlösung von der Maschine

Viele Menschen, die eine Spenderniere erhalten, feiern - nach einer meist mehrjährigen leidvollen Dialysebehandlung - diesen Tag als Erlösung von der Maschine. Andere wiederum verdanken die wiedergewonnene Sehkraft der Augenhornhaut eines Spenders. Verständlicherweise empfinden all diese Menschen Freude und Dankbarkeit.

Doch stehen diesen wenigen Empfängern jene vielen gegenüber, die vergeblich warten und weiter leiden. Andere kaufen sich mit viel Geld "ihr" Organ illegal und lassen es sich einpflanzen, um zu überleben. Auf der anderen Seite stehen die Spender: jene, die ihre Organe grosszügig vor dem Tod "verschenken" - und diese, welche sie aus wirtschaftlicher Not verkaufen! Die Tragik einer "kranken" Welt wird hier drastisch deutlich.

Ethische Bedenken

Vom christlichen Standpunkt her lässt sich diese Art von Geschäft nicht rechtfertigen. Es kann nicht sein, dass der Arme für den Reichen seine Organe hergibt. Vielmehr wäre es die Aufgabe - im herkömmlichen Sinne der christlichen Gemeinde -, für ihre Kranken und Armen, Witwen und Waisen zu sorgen. Aufgrund dieser biblischen Aussage kommt eigentlich ethisch nur die Organspende nach dem Tode in Frage.

Der Körper gehört dem Menschen sowieso nicht. Wie wir wissen, wird er wieder zu Staub. Was einem nicht gehört, sollte auch nicht gekauft und verkauft werden. Zugleich kann mit der Organspende aber noch über den Tod hinaus etwas spürbar werden von der "grösseren Liebe" (Johannes 15,13), zu der Jesus seine Jünger auffordert, der Liebe, die sich für Freunde aufopfert.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hält fest: Der lebende Mensch kann von seinen Organen eine Niere und in besonderer Notlage ausnahmsweise einen Teil der Bauchspeicheldrüse, der Leber oder des Dünndarms spenden. Mit solchen Eingriffen verbinden sich jedoch besondere medizinische, rechtliche und auch ethische Fragen. Der Fortschritt der Medizin rückt vieles von dem, was einst schicksalhaft hinzunehmen war, in den Bereich menschlicher Planung und damit menschlicher Verantwortung.

Auf seiten des Empfängers ist der zu erwartende Nutzen gegen den möglichen Schaden abzuwägen. Transplantationen sollen Leben erhalten, verlängern und verbessern, sagt die EKD. Niemand habe einen Anspruch auf Körperteile eines lebenden oder toten Mitmenschen. Kranke könnten jedoch zu ihrer Behandlung freiwillig gespendete Gewebe und Organe als Geschenk von anderen annehmen, sie sollten aber auch wissen, dass nicht alle Transplantationen gelingen.

Medizinische und rechtliche Grenzen

Was die Spenders betrifft, so bestehen neben medizinischen und rechtlichen auch ethische Grenzen der Organentnahme. Ein lebender Spender darf mit einer Organspende nicht seinen eigenen Tod herbeiführen. Kein Lebender sollte aus irgendeinem Grund zu einer Organspende genötigt werden. Eine Organspende aus ökonomischen Motiven ist ebenso wie der Organhandel ethisch nicht vertretbar. Der Verkauf eigener Organe ist aus der Sicht der EKD ein Verstoss gegen die Würde des Menschen.

Handelt es sich um einen toten Spender, so gebührt dem Leichnam respektvolle Behandlung und dem Willen des Verstorbenen besondere Beachtung. Wer sich zu Lebzeiten zur Organspende nach seinem Tod äussert, nimmt seinen Angehörigen die zuweilen schmerzliche Last einer Entscheidung ab.

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es erst seit kurzem ein Transplantationsgesetz, das die Rechtsfragen der Transplantation speziell regelt. Weltweit gibt es dagegen noch keine griffigen, übereinstimmenden Vereinbarungen. Noch immer werden mit Organhandel illegal grosse Geschäfte gemacht. Besonders in Ländern der Dritten Welt. Dort, wo weite Teile der Bevölkerung zuwenig zum Leben haben und die Gesetzeslage unzureichend geklärt und gefestigt ist, entstehen die günstigsten Bedingungen für den illegalen "Organtourismus".

Illegale Transplantationen

Professor Friedländer vom Hadassah-Universitätsspital in Jerusalem kennt die Verzweiflung von nierenkranken Dialysepatienten; er spricht in der New York Times von einer absurden Situation: "Die Flugzeuge gehen wöchentlich. In den letzten Jahren habe ich 300 Patienten gehabt, die wegfuhren und mit neuen Nieren zurückkamen. Manche waren gut, manche nicht. Statt dies dem freien Markt zu überlassen, müssen wir Ärzte uns dafür einsetzen, dass diese Reisen legalisiert und kontrolliert werden."

Etwa sechsundzwanzig jüdische Patienten haben sich nach langem und aussichtslosem Warten eine Niere von einem lebenden Spender aus Indien oder Irak einpflanzen lassen. Dabei haben sie sich zum Teil enorm verschuldet. Friedländer konstatiert einen erstaunlichen Erfolg dieser illegalen Transplantationen. Allerdings würden die Patienten zu wenig auf die bevorstehende Organeinpflanzung vorbereitet und selektioniert. Seit dem Golfkrieg sei der Irak eine neue Zieldestination für "Billignieren". Das Zentrum in Jerusalem hat bereits 80 Patienten mit Nierentransplantaten aus dem Irak betreut. 85% dieser Patienten hätten das erste kritische Jahr überlebt, sagte Friedländer. Allerdings sei die Todesrate um 10% höher als bei einer offiziellen Transplantation.

Es soll bereits spezialisierte Chirurgenteams geben, die lokal oder in Osteuropa Organe von Lebendspendern kaufen und vor Ort ihren Patienten einpflanzen. In der Regel sei die medizinische Betreuung gut. Dieser Service mit Transfer per Flugzeug koste allerdings 100'000 Dollar oder mehr. Deshalb habe sich ein Teil der Patienten mit persönlichen Spendenaufrufen die "illegale Operation" finanziert.

Neuestens übernehmen manche Versicherungen die Kosten für Operationen im Ausland, auch wenn sie gegen 150'000 Euro ausmachen. Das sei billiger als die jahrelange Dialyse, äusserte Friedländer gegenüber der New York Times. Ausserdem könnten die israelischen Ärzte ihren Patienten Wege aufzeigen, die eigenen Gesetze zu umgehen - mit Hilfe der Kollegen im Ausland.

Die Situation werde sich in Zukunft noch verschärfen, sagte Friedländer. Zurzeit sei die Wartezeit für eine Spenderniere rund drei Jahre, er rechne jedoch damit, dass diese um 2010 bereits zehn Jahre betrage. Nieren von Lebendspendern böten auch bessere Überlebenschancen, das erkläre den Run auf diese Nieren.

Der Handel blüht

An zwei deutschen Kliniken sollen Nieren verpflanzt worden sein, deren Spender Geld dafür erhielten. Die Staatsanwaltschaften in Jena und Essen ermitteln wegen des Verdachts auf Organhandel in insgesamt vier Fällen. Es würden auch drei Nieren-Transplantationen am Uni-Klinikum Essen überprüft, sagte der Essener Oberstaatsanwalt Willi Kassenböhmer. Er bestätigte damit einen Bericht des "Spiegel" vom Februar 2003. In allen Fällen hätten Patienten aus Israel Organe osteuropäischer Spender erhalten.

Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch eine anonyme Anzeige vor einem Jahr. Nach dem Bericht des Magazins ‚Spiegel' soll ein israelischer Agent in Jena für die Nierentransplantation "mehrere hunderttausend Dollar" bekommen haben. Der ‚Spiegel' beruft sich dabei auf die Aussage des Sohnes des 66-jährigen israelischen Organempfängers, der wenige Wochen nach der Operation starb. Der aus Moldawien stammende 37-jährige Spender und der Empfänger hätten sich in Deutschland als Neffe und Onkel ausgegeben, obwohl sie sich zuvor noch nie gesehen hätten.

"Reine Geschäftemacherei"

Das Durchschnittseinkommen in Moldawien, dem Armenhaus Europas, liegt unter hundert Franken im Monat. Bettelarme Tagelöhner schuften für Hungerlöhne und verzweifelte Bauern vermarkten ihre Nieren. Der 27-jährige Nikolai , so berichtet Kompass, hatte kein Geld, um seine Familie zu ernähren, war arbeitslos und musste seinen schwerkranken Vater versorgen. Da kam eine Schlepperin und fragte ihn, ob er seine Niere gegen Geld hergebe. Er verkaufte sie für blosse 2'700 Dollar. Inzwischen bereue er seine Entscheidung, sagt Nikolai.
Prof. Adrian Tanase vom Zentrum für Nierentransplantation in Moldawien spricht von einem sozialen und einem ökonomischen Problem. "Diejenigen, die ihre Niere verkaufen, machen es, weil sie arm sind und der Staat ihnen nicht hilft. Und die Menschen, die hinter dem Organhandel stecken, beuten diese Menschen aus. Es ist reine Geschäftemacherei."
Bild: Organhandel

Laut der Londoner Times war Interpol schon im Jahr 2000 hinter der "Königin des Nierenhandels", einer Moldawierin, her. Die Frau wird verdächtigt, mehrere zehntausend Pfund verdient zu haben, indem sie rund 100 Menschen dazu brachte, ihre Nieren in der Türkei transplantieren zu lassen. Nach Erkenntnissen italienischer Fahnder soll auch die Mafia in den internationalen Organhandel eingestiegen sein. Umgeschlagen werde die "Ware" meist in Osteuropa.

Zwei Vetter in Essen

November 2001. Ein Nierenkranker reiste aus Israel in die Ruhrstadt, um sich am dortigen Universitätsklinikum eine neue Niere implantieren zu lassen. Der Israeli kam laut Deutschlandfunk zusammen mit einem dreissig Jahre jüngeren Mann aus Moldawien an - angeblich ein Vetter. Dieser wollte dem Kranken eine seiner Nieren abgeben. Beide behaupten, miteinander verwandt zu sein - wie es das deutsche Transplantationsgesetz verlangt.

Doch schon bald verstrickten sich die Männer in Widersprüche. Nachdem man dem Arzt in Essen abgeraten hatte, die beiden angeblichen Vettern zu operieren, ging der deutsche Transplantationschirurg Professor Christoph Brölsch nach Jena und führte dort die Transplantation durch.

Die Süddeutsche Zeitung griff unter der Überschrift "der nette Vetter" den Fall auf. Seitdem ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Essen gegen Christoph Brölsch. Noch immer hält der international renommierte Chirurg die Sache nicht für eine öffentliche Angelegenheit. Geschickt nutzte er die Tatsache aus, dass in Thüringen bis Ende Februar 2002 die Vorschriften des fast fünf Jahre alten Transplantationsgesetzes noch nicht umgesetzt waren.

Neue Märkte

Neben Osteuropa sind vor allem China und Indien die Märkte, auf denen Organhändler potentielle Spender suchen - nicht zuletzt für israelische Kunden, dies aufgrund der jüdischen Kultur, wie der Psychosomatiker Wolfgang Senf im Deutschlandfunk meinte. Weil vor allem orthodoxe Juden aus Glaubensgründen unversehrt beerdigt werden wollen, blühe in Israel die Vermittlung sogenannter Organreisen - zum Beispiel in die Türkei, wo die Empfänger dann auf Spender aus Moldawien treffen.

Ärzte des Sun Yat Sen-Krankenhauses in der südchinesischen Stadt Guangzhou haben gegenüber der Zeitung "Hongkong Sunday" bestätigt, dass sie zahlungskräftigen ausländischen Patienten Organe von hingerichteten Häftlingen einpflanzten. Die Leber von Hingerichteten werde ihnen regelrecht verkauft. "Häftlinge sind gut geeignet, weil sie jung sind", sagte ein Arzt. Auch andere Ärzte bestätigten zunächst freimütig diese Praxis, später liess die Klinik die Äusserungen jedoch dementieren.

Organe von Hingerichteten in China

Bereits im Februar 1998 hatte der Dissidenten Harry Wu über einen Organhandel mit Hingerichteten in China berichtet. Peking dementierte. Ein Arzt erwähnte gegenüber der Zeitung, entgegen der offiziellen chinesischen Darstellung würden den Hingerichteten auch ohne ausdrückliche Einwilligung Organe entnommen. Ein Arzt aus dem Transplantationszentrum in Hongkong, Lo Ching-man, schloss nicht aus, dass es im benachbarten Südchina zu einem Handel mit Organen von Hingerichteten gekommen sei. "Wir können nicht kontrollieren, was die Patienten tun, aber es ist eindeutig gegen die medizinische Ethik, Transplantationen ohne genaue Kenntnis der Herkunft vorzunehmen."

Dass menschliche Organe zur Handelware werden, ist eine der düsteren Schattenseiten unserer Zivilisation. Es dauert lange, bis internationale Konventionen ausgehandelt sind und greifen. Ob der Organhandel je gestoppt werden kann? Noch regiert das Geld die Welt! Wie wäre es wohl, wenn Christus die Welt regierte?

Links: www.bioskop-forum.de
http://www.br-online.de/politik/ausland/themen/09024/
http://www.buddhanetz.org/aktuell/organe.htm

Quellen: Livenet (Bioskop, Kompass, Deutschland Radio, Medicine Worldwide, Buddhanetz)

Datum: 24.09.2003
Autor: Antoinette Lüchinger

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