Psychiater: Auch Depressive sind entscheidungsfähig

Depression

Die moderne Medizin behandelt mit ihren technischen Mitteln greise und kranke Menschen derart, dass sie sich nicht selten bedrängt, ja fremdbestimmt fühlen. Die allumfassende Behandlung löst gerade bei seelisch Leidenden und schwer Bedrückten zunehmend die Frage aus, warum sie noch weiterleben sollen. Denn die Beihilfe zum Suizid, zur Selbsttötung, ist in der Schweiz gesetzlich erlaubt – und sie wird seit Jahren von Vereinen organisiert und angeboten.

Dabei geraten psychisch Kranke unter Druck. Laut dem Zürcher Psychiatrie-Professor Daniel Hell ist es „keineswegs so, dass die Hilfe zum Suizid die Anzahl der übrigen Suizide verringert, sondern so, dass die Suizidhilfe einer zusätzlichen Gruppe von Menschen den Tod bringt“. An einer Fachtagung Anfang April in der Zürcher Paulus-Akademie wurde gesagt, dass bei 250-300 Suiziden jährlich (etwa einem Fünftel aller Selbsttötungen in der Schweiz) Suizid-Assistenten zugegen sind.

Todbringende ‚Helfer‘

Daniel Hell referierte an der Tagung über die Suizidproblematik bei psychisch Kranken. Er wies auf die komplexen seelischen Vorgänge hin und betonte, dass auch bei Depressiven der Wunsch, Allem ein Ende zu machen, in der Regel vorüber geht: „Die meisten depressiven Menschen möchten nach Abklingen der Depression nicht mehr aus dem Leben scheiden.“

Der Psychiater wies auch auf die Schamgefühle hin, die depressive Menschen empfinden, weil sie sich vorwerfen, ihrer Umgebung nicht mehr zu genügen. Andere sind vereinsamt oder fühlen sich abgeschrieben. Daniel Hell zweifelt daran, dass die Suizid-Assistenten von ‚Exit‘ und ‚Dignitas‘ bei ihrer Kontaktnahme diesen Gefühlslagen angemessen Rechnung tragen: „Wie will man in kurzen Gesprächen ausschliessen, ob ein Mensch nicht die Beihilfe zum Suizid sucht, weil er sich vor allem schämt, aber als Beschämter, der die Scham nicht aushält, wenigstens noch von Suizidhelfern etwas Zustimmung erhält, wenn er seinen Tod wünscht, während ihm im Leben die Akzeptanz versagt bleibt?“

Professor Hell sagte an der Tagung, dass das Recht auf Selbstbestimmung für seelisch Leidende wichtig ist, „bis hinein in das Dunkel und die Verzweiflung, die zum Beispiel eine depressive Erkrankung mit sich bringt“. Der Mediziner Hell hat für dieses Beharren auf Selbstbestimmung allergrösste Achtung: „Auch in psychischer Not verfügt der Mensch über eine innere Entscheidungsfähigkeit, die ihm niemand nehmen kann.“

Der ganze Vortrag von Prof. Daniel Hell findet sich unter:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/188/7714/

Datum: 19.04.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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