Sterbehilfe ­ das Damoklesschwert der Moderne

Sterbehilfe
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Die grossen Fortschritte in der Medizin sowie die steigende Lebenserwartung haben dazu beigetragen, dass die Diskussion über Sterbehilfe in Europa inzwischen sehr intensiv geführt wird. Gleichzeitig tauchen in der Presse immer wieder Schreckensmeldungen auf, über die Gefahren und die Problematik der Euthanasie.

Neuste Meldungen sorgen für Aufregung

Die Schweizerische Depeschenagentur meldete, dass in Italien eine Studie für Aufregung sorge, nach der in italienischen Spitälern teilweise aktive Sterbehilfe geleistet werde. Die 250 befragten Intensivmediziner hätten angegeben, mindestens einmal dem Leiden eines todkranken Patienten aktiv ein Ende gesetzt zu haben. 80 Prozent gestanden, passive Sterbehilfe geleistet zu haben.

In der Schweiz läuft zur Zeit eine Strafuntersuchung gegen den Zürcher Psychiater Baumann, Gründer des Vereins Suizidhilfe, wegen vorsätzlicher Tötung. Während die Zürcher Bezirksanwaltschaft den Vereinszweck genauer unter die Lupe nimmt, untersucht die Basler Staatsanwaltschaft die mittels "Exit-Bag" oder Lachgas praktizierten fragwürdigen Suizidmethoden. Was die Vereinigung Exit bisher ablehnte, setzte Baumann in die Tat um: Er verhalf chronisch psychisch Kranken zum Freitod. "Vorausgesetzt, sie waren urteilsfähig", erklärte Baumann. Diese Urteilsfähigkeit ist just der springende Punkt in den Ermittlungen gegen den Verein, schreibt der Tagesanzeiger.

Die moderne Medizin im Dilemma

Dank der in der Medizin und Pharmakologie erzielten Fortschritte ist es heute bei unheilbar kranken Menschen möglich, den Zeitpunkt ihres Todes in einer noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbaren Art und Weise hinauszuzögern, schrieb Victor Ruffy in seiner Motion an den Nationalrat vom 28. September 1994 und forderte den Entwurf eines neuen Gesetzesartikels zur straflosen "Unterbrechung" des Lebens. Solche lebenserhaltenden Massnahmen können bei Kranken tatsächlich Ängste hervorrufen, Ängste vor menschenunwürdigen Qualen und einer unabsehbaren Verlängerung des Leidens und Sterbens, äusserte sich der Bundesrat dazu. Soweit der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt werde, sei der Abbruch einer Behandlung keine strafbare Tötung. Auch Massnahmen zur Schmerzlinderung seien strafrechtlich zulässig, selbst wenn diese den vorzeitigen Todzur Folge hätten. Man spricht hier von passiver Sterbehilfe. Mit dem geltenden Strafrecht und der Schutzpflichtdes Staates für das menschliche Leben sei jedoch eine aktive Sterbehilfe des Arztes unvereinbar. Inzwischen ist durch die Neuregelung des Strafartikels zum Schwangerschaftsabbruch, 115 StGB, eine weitere Hürde weggefallen. Der Schutz des Lebens ist relativ geworden. Die Ärzte und Ärztinnen stehen angesichts von todkranken Patienten je länger, desto mehr vor heiklen Berufs- und Gewissensentscheiden.

Todesmanagement in Alters- und Pflegeheimen

Für Aufruhr in der Öffentlichkeit sorgte die vom Gesundheits- und Umweltdepartement der Stadt Zürich am 1. Januar 2001 erlassene Neuregelung der Sterbehilfe in den städtischen Kranken- und Pflegeheimen.

Die Diskussion um die Sterbehilfe wogt schon seit Jahren sowohl im National- wie auch im Stände und Bundesrat hin und her. Auf jene im Jahre 1994 eingereichteMotion hin beauftragte der Bundesrat eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten aus den Gebieten Recht, Medizin, Ethik sowie aus öffentlichen und privaten Institutionen, sich mit dem komplexen Thema "Sterbehilfe" auseinanderzusetzen und eine Vorlage auszuarbeiten. Mit ihrer Einfachen Anfrage vom 27. November 2000 bat Nationalrätin Dorle Vallenderum eine Stellungnahme des Bundesrates zu den Sterbehilfe-Organisationen und zu einer gesamtschweizerischen Regelung. Laut Antwort des Bundesrat vom 28. Februar 2001 habe der Staat keinen Grund einzugreifen, solange diese Organisationen das geltende Recht beachteten. Um Missbräuchen vorzubeugen, habe die Stadt Zürich verschiedene Schutzmassnahmen vorgesehen. So müsse die Heimleitung das Gespräch mit der suizidwilligen Person suchen und die ungewöhnliche Todesursache der Polizei melden.

Einen Monat später wurde von Christian Waber eine Interpellation mit dem Titel "Todesmanagement in Alters- und Pflegeheimen" eingereicht. Waber schreibt, er teile die Bedenken vieler Bürgerinnen und Bürger, dass der Schutz des Lebens im Alter mit der in Zürcher getroffenen Lösung nicht mehr gewährleistet sei. Die Entgegnung des Bundesrats fiel lau aus. Er berief sich lediglich auf die Urteilsfähigkeit der Sterbewilligen und auf die Zuständigkeit der Kantone. Die Interpellation wurde im Plenum des Nationalrates noch nicht behandelt. 2001 schloss die eingesetzte Arbeitsgruppe ihre Bericht ab.

Straffreiheit in Extremfällen

Palliativ-medizinische Betreuungsmassnahmen können die Lebensqualität Schwerkranker und Sterbender deutlich erhöhen und damit auch Sterbewünsche verhindern. Die oft noch zu wenig bekannten Möglichkeiten der Palliativmedizin und -pflege müssten daher ausgeschöpft werden, hält die Arbeitsgruppe einhellig fest. Die passive und indirekte aktive Sterbehilfe sollten im Gesetz ausdrücklich geregelt werden, aber weiterhin zulässig bleiben. Der Entscheid über Leben und Tod gehöre in die Hand des Gesetzgebers. Bei Extremfällen sprach sich die Gruppe mehrheitlich für eine Straffreiheit für direkteaktive Sterbehilfe aus. Bei Mitleidstötung in auswegloser Lage entfalle ihrer Meinung nach ein Strafbedürfnis von Seiten des Staates. Wie relativ die Beurteilung eines Extremfalls sein kann und wie schwierig die Grenzen zu definieren sind, zeigen die Vorfälle der letzten Zeit.

Heikle Grenzfälle

Die Arbeitsgruppe verzichtete bewusst auf einen ausformulierten Gesetzesvorschlag. Es stellten sich in diesem Zusammenhang nämlich ausserordentlich heikle Fragen. Diese beträfen insbesondere die Zustimmung zur Sterbehilfe bei Personen, die nicht mehr oder noch nicht urteilsfähig seien, also bei Minderjährigen und Entmündigten sowie bei Neugeborenen, die an schweren Missbildungen oder Geburtsschäden litten.

Formen der Sterbehilfe

Von direkter aktiver Sterbehilfe spricht man bei gezielter Tötung zur Verkürzung der Leiden eines Menschen. Dies ist gemäss Strafgesetzgebung heute noch strafbar.

Indirekte aktive Sterbehilfe hingegen liegt vor, wenn zur Linderung von Leiden Mittel mit lebensverkürzender Nebenwirkung abgegeben werden. Die Akademie der Medizinischen Wissenschaften betrachtet diese Form als zulässig. Passive Sterbehilfe ist der Verzicht auf oder der Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen. Dies ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wird aber als erlaubt angesehen. Beihilfe zum Selbstmord wie die Beschaffung von Gift wurde bis vor kurzem laut Gesetz mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wie gummig und problematisch die Gesetzgebung in diesem Bereich wird, zeigen Beispiele aus Deutschland.

Widersinnige Gummiparagraphen

Beihilfe zum Suizid und Selbsttötung seien in Deutschland nicht strafbar, schreibt die Organisation Medicine Worldwide auf ihrer Homepage. Einem Menschen darf also straffrei geholfen werden, sein Leben zu beenden, indem man ihm Gift darreicht. Für Personen wie Polizeibeamte, Vormünder oder Ärzte sowie Erziehungsberechtigte ist dieser Akt aber strafbar. In dem Moment, da die suizidwillige Person bewusstlos wird, ist die anwesende Person nach § 323c des Strafgesetzbuches zur Hilfeleistung verpflichtet. Kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach, kann dies mit einer Strafe bis zu einem Jahr Freiheitsentzug geahndet werden.

Krisenbewältigung auf Kosten der Alten

Äusserst problematisch findet Medicine Wordwide den sogenannten "letzten Willen". Wer könne denn sagen, ob ein Mensch, der mit 50 testamentarisch verfügt hat, unter gewissen Umständen nicht mehr weiterleben zu wollen, dies auch noch mit 70 wolle, wenn er sich vielleicht nicht mehr dazu äussern kann! Hoffentlich werde der Generationenkonflikt aufgrund der schweren Krise der Rentenkassen nicht in Zukunft mit Hilfe der Euthanasie ausgetragen, lauten die mahnenden Wort dieser Organisation.

Stellungnahmen der Kirchen

Die Schweizer Bischofskonferenz vom 7. Juni diesen Jahres hatte die Euthanasie zum Hauptthema. Das Pastoralschreiben verweist auf die Bibel, für die das Leben heilig und ein Geschenk Gottes ist. Christi Sterben für uns öffne den Blick für das eigene Sterben. Das leibliche Sterben führe nicht in den Tod, sondern ins Leben mit Jesus Christus. Unter Sterbehilfe versteht man Lebensbeendigung. Aus christlicher Sicht handle es sich bei der direkten Sterbehilfe in keinem Fall um einen Akt des Mitleides und der Barmherzigkeit. Sie stehe im Widerspruch zum Tötungsverbot. Sterbehilfe gehe von einer falschen Auffassung des Mitleides aus, die Schmerzen und eine Entwürdigung des Patienten abkürzen möchte. Die Bischöfe empfehlen in diesem Falle vielmehr die allerdings aufwendigere palliative Pflege. Das Bedürfnis der Betroffenen, nicht einsam und alleine sterben zu müssen, verlange nach einem grossen menschlichen Einsatz, der vom medizinischen Personal, von Freiwilligen und den nahestehenden Personen geleistet werden müsse. Die Aufgabe der Kirche in diesem Bereich sei es, den Sterbenden kraft des Gebetes und der Sakramente und durch die Präsenz eines Seelsorgers beizustehen.

Die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) empfiehlt, auf jegliche Aufweichung des Tötungsverbotes zu verzichten. Damit schliesst sie sich den Überlegungen der Minderheit jener Arbeitsgruppe Sterbehilfe des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) an. Das Verfügungsrecht liege allein bei Gott, dem Schöpfer des Lebens. Es stehe keinem Menschen zu, über das eigene oder über fremdes Leben ein letztgültiges Urteil zu fällen und ihm ein Ende zu bereiten. Es könne wohl durch Krankheit bedingte Umstände geben, die ein unerträglich qualvolles Leben verursachten, das kaum zu lindern sei, räumt die SEA ein. Wenn ein begleitender Mensch aus Mitleid oder Ohnmacht heraus das Sterben beschleunige, so stehe er mit seinem Gewissen allein vor Gott. Allerdings solle auf lebensverlängernde Massnahmen verzichtet werden, wenn der Sterbeprozess bereits begonnen habe, heisst es in dem Papier.

Durchlöcherte Ethik stellt der Gesellschaft neue Fragen

Seit der Mensch die Möglichkeiten hat, Leben künstlich zu zeugen, zu verlängern und zu beenden, sind die damit verbundenen ethischen Fragen immer problematischer geworden. Fortschritte auf dem Gebiet der Gentechnik und mögliche neue Heilmethoden machen sie zunehmend komplexer. Es stellen sich schlussendlich die grundsätzlichen Fragen: Wer darf leben? Und wie lange? Hoffentlich werden sie nicht am Ende auf die Kostenfrage reduziert.

Datum: 18.11.2002
Autor: Antoinette Lüchinger
Quelle: Livenet.ch

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