Sterbehilfe: Ethische Zwickmühle für Ärzte

Sterbehilfe

Der Fall hatte Anfang des Jahres weltweit für Aufsehen gesorgt: Eine vom Hals abwärts gelähmte Frau aus Grossbritannien, die zu einer Selbsttötung nicht mehr in der Lage war, wollte vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für ihren Ehemann, der ihr bei dem von ihr gewünschten Suizid helfen sollte, eine Straffreistellung erwirken. Der Gerichtshof hat Ende April diesen Antrag letztinstanzlich abgewiesen, mit der Begründung, ein solches Recht sei in der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht verankert. Wenige Tage nach dem Richterspruch war die 43jährige gestorben.

Ein heikles Thema

Auf der anderen Seite ist in den Niederlanden und in Belgien die aktive Sterbehilfe durch Ärzte in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen legal. Hierzulande ist das Thema - vor allem bedingt durch die Nazivergangenheit - besonders heikel. Gleichwohl wird immer wieder eine Liberalisierung der einschlägigen Rechtsvorschriften in Deutschland ins Gespräch gebracht.

Vor diesem Hintergrund hatte die Evangelische Akademie Tutzing eine sehr gut besuchte Tagung mit dem Thema "Aus Mitleid zum Sterben helfen?" organisiert. Ziel war es, jenseits spektakulärer Einzelfälle und ohne den moralischen Zeigefinger zu bemühen "das Für und Wider verschiedener denkbarer Lösungen differenziert gegeneinander abzuwägen", sagte Studienleiter Christoph Meier. Die einzige gesetzliche Regelung in Deutschland zu diesem Thema findet sich im Strafgesetzbuch in Paragraph 216, erinnerte der Göttinger Philosoph und Medizinethiker Alfred Simon. Dort ist die aktive Sterbehilfe verboten, auch wenn sie auf Verlangen des Betroffenen erfolgt. Nicht strafbar ist hingegen die Bereitstellung eines Mittels zum Suizid. Allerdings, so hat der Bundesgerichtshof 1984 entschieden: Nimmt der Patient das Mittel, ist der Arzt verpflichtet, das Mögliche zu tun, um den Tod zu verhindern. Die Folge, so Simon: Wenn der Arzt strafrechtliche Konsequenzen vermeiden will, muss er einen sterbenden Patienten, dem er eigentlich beistehen will, alleine lassen.

Bundesärztekammer gegen Sterbebegleitung

Die Bundesärztekammer lehnt in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung von 1998 sowohl die aktive Sterbehilfe als auch die Beihilfe zum Suizid ab. Die Grundsätze enthalten jedoch keine Verpflichtung zur Lebensverlängerung um jeden Preis und betonen ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht der Patienten, referierte Simon.

Als unverzichtbar gilt nach den Grundsätzen die Sicherstellung einer Basisbetreuung, wozu eine menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Linderung von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Durst und Hunger gehören. Anders bei der medizinischen Behandlung. Sie kann in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen werden, indem sich das Therapieziel von kurativ zu palliativ ändert.

Trotz dieser Grundsätze herrsche bei den Ärzten eine gewisse Unsicherheit, meinte Simon unter Hinweis auf eine Befragung im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz: Danach bezeichneten lediglich 45 Prozent der Ärzte die Flüssigkeitszufuhr über eine Sonde und 30 Prozent die Ernährung über eine Sonde als unverzichtbare Basisbetreuung. Das Beenden der maschinellen Beatmung sahen nur 49 Prozent und die Beendigung der Katecholamingabe bei einem Intensiv-Patienten lediglich 25 Prozent als aktive Sterbehilfe an. Angesichts solcher Unsicherheiten sieht Simon einen gesetzlichen Klärungsbedarf für die Zulässigkeit der passiven und indirekten Sterbehilfe sowie für die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Gesetzlich geregelt sollte seiner Ansicht nach die Zulässigkeit der Beihilfe zum Suizid werden sowie die Frage der stellvertretenden Einwilligung in den Abbruch lebenserhaltender Massnahmen.

Dem schloss sich auch Professor Hans-Ludwig Schreiber an. Eine gesetzliche Regelung könnte, so der Göttinger Jurist, für den ärztlich assistierten Suizid eine Alternative zur aktiven Sterbehilfe sein. Beim assistierten Suizid bleibe der Kranke Handelnder, der Arzt unterstütze ihn nur bei der Auswahl des Giftes. Bei der aktiven Sterbehilfe hingegen werde der Arzt, selbst wenn der Patient einwilligt, zum Handelnden.

Kein selbsternannter Sterbehelfer

Mit seinem Vorschlag will Schreiber dem Treiben von Sterbehelfern entgegentreten. Der Einsatz dieser Helfer sei ein Beleg für die "unbefriedigende Situation hierzulande. Seine Schlussfolgerung: Wenn sich ein Patient in einer hoffnungslosen Situation befindet, in der er sich nichts mehr als den Tod wünscht, dann sollte ihm dabei ein Arzt und nicht ein selbsternannter Sterbehelfer beistehen können.

Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Für die Zulässigkeit der passiven und indirekten Sterbehilfe und für die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen besteht noch gesetzlicher Klärungsbedarf. Für hoffnungslose Situationen, in denen sich der Patient nichts mehr als den Tod wünscht, sollte es nach Auffassung von Experten aber eine gesetzliche Regelung geben, die den ärztlich assistierten Suizid ermöglicht. Eine gesetzliche Regelung ist ausserdem für die stellvertretende Einwilligung in den Abbruch lebenserhaltender Massnahmen notwendig.

Quelle: Ärzte Zeitung/sto

Datum: 16.10.2002

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