Viele Vorurteile gegen Moslems nach dem Anschlag

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Berlin. Flüchtlingsgruppen in Deutschland beklagen sich darüber, dass die Grundrechte von Ausländern seit dem Anschlag vom 11. September massiv eingeschränkt worden seien. Araber stünden oft pauschal unter Terrorverdacht.

Mohammed Herzog bekommt keine Morddrohungen mehr. "Die Lage ist ruhig", sagt der Berliner, der vor 23 Jahren in Jordanien zum Islam übertrat. Herzog kann sich wieder offen zu seiner Religion bekennen. In den Tagen nach den Anschlägen des 11. September, für die Moslemextremisten verantwortlich gemacht werden, sah das noch anders aus: Muslime seien in Berlin auf offener Strasse angepöbelt worden, berichtet der Vorsitzende der "Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime". Zeitweilig hatte der Frühpensionist zwei Leibwächter. Mit seinen Erfahrungen ist er nicht allein: Die UNO-Menschenrechtskommission warnt vor weltweit steigenden Diskriminierungen von Arabern und Muslimen.

Unsicherheit der Moslems hat zugenommen

Auch wenn Ausländergruppen ein Jahr nach den Anschlägen kaum mehr offene Anfeindungen gegen Araber in Deutschland vermerken, hat sich das Leben für die rund 3,2 Millionen Moslems verändert. "Die Unsicherheit der Moslems hat zugenommen", sagt Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Essen. Viele Türken hätten sich zurückgezogen, weil sie pauschal der Unterstützung von Moslemextremisten verdächtigt worden seien.

Studenten in der Rasterfahndung

Flüchtlingsgruppen kritisieren, Bund und Länder hätten die Grundrechte von Ausländern eingeschränkt. "Ausländer werden pauschal unter Terrorverdacht gestellt", sagt Marei Pelzer von Pro Asyl. Nachdem die Behörden drei Flugzeugattentäter als frühere Studenten der Universität Hamburg identifiziert hatten, unterzogen viele Landesregierungen Rasterfahndungen auf der Suche nach "Schläfer-Terroristen". Allein in Berlin wurden die persönlichen Daten tausender Studenten durch die Polizeicomputer gejagt. Inzwischen haben Gerichte diese Praxis in vielen Ländern gestoppt.

Keine politische Tätigkeit mehr möglich

Die deutsche Bundesregierung beschloss zwei Sicherheitspakete, die unter anderem das Verbot von Ausländervereinen erleichtern. So können diese verboten werden, wenn sie Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele unterstützen. "Damit können sich Ausländer kaum noch politisch betätigen", sagt Pelzer.

Bayern geht besonders rigide vor

Besonders rigide seien die Behörden im CSU-regierten Bayern, wo das Landeskriminalamt allein in München Tausende ausländische Studenten überprüfte. "Wir sind da immer Vorreiter", sagt Monika Steinhauser vom Münchner Flüchtlingsrat. Innenminister Günther Beckstein (CSU) will bei einem Unionssieg bei der Bundestagswahl die Sicherheitsgesetze nochmals verschärfen. So soll der Verfassungsschutz Ausländer überprüfen, bevor sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Ausserdem will Beckstein, der als Innenminister einer christliberalen Regierung im Gespräch ist, Ausländer schon beim Verdacht einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation abschieben.

Vorurteile gegen Araber und Moslems nehmen weltweit zu

Bei der UNO-Menschenrechtskommission heisst es, weltweit hätten rassistische Vorurteile gegen Araber und Moslems zugenommen. Die Anschläge stigmatisierten diese offenbar als Handlanger von Terroristen, schreibt Sonderberichterstatter Maurice Gele-Ahanhanzo in einem im August veröffentlichten Bericht. Auch Amnesty International forderte die Europäische Union, die USA und Länder wie Russland auf, nicht jeden Moslem unter Generalverdacht zu stellen. Der Kampf gegen den Terror rechtfertige keine drakonischen Mittel, die Grund- und Menschenrechte in Fragen stellten.

Interesse am Islam boomt

Während Menschenrechtsgruppen Vorurteile gegen Moslems auf dem Vormarsch sehen, boomt gleichzeitig das Interesse am Orient. Ähnlich wie nach dem Golfkrieg 1991 verdoppelten sich nach dem 11. September die Zulassungszahlen im Fach Islamkunde an vielen Universitäten. "Das Interesse am Islam steigt stark", sagt Stefan Reichmuth, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bochum. Dort drängen sich jetzt 60 Studenten in Anfängerkursen für Arabisch. Der Dialog der Religionen sei grösser geworden, sagt auch Faruk Sen vom Zentrum für Türkeistudien. Die Türken hätten ihre Moscheen für die Öffentlichkeit geöffnet, um Vorurteile abzubauen.

Gute Berufschancen für Arabisten

"Die Leute beschäftigen sich ernsthafter mit dem Islam", sagt Reichmuth, der mit seinen Studenten die Videobotschaften von Osama bin Laden und des El-Kaida-Netzwerkes auf Arabisch analysiert. Mit einem dauerhaften Boom in seinem Fach rechnet er aber nicht. "Das Arabisch Lernen ist mit Hürden verbunden." Die Hälfte der Studenten in Arabisch-Klassen breche das Studium schon bald ab. Wer aber bis zum Ende durchhält, dem stehen seit jüngster Zeit viele Türen offen: Behörden vom Auswärtigen Amt bis zum Bundesnachrichtendienst suchen Islamexperten.

Datum: 11.09.2002
Quelle: Epd

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