Zitate aus Talmud sind keine Quelle für Fremdenhass der Juden

(idea) Lic.phil. Michel Bollag, vollamtlicher Mitarbeiter am Zürcher Lehrhaus, sprach an einer der Vorlesungen zum Thema "Die Nichtjuden aus talmudischer Sicht". Die Anlässe werden unterstützt von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA und der Stiftung für Kirche und Judentum SKJ.

Wollten Juden Welt beherrschen?

Zitate aus dem Talmud dienten und dienen bis auf den heutigen Tag als Quelle für antisemitische Pamphlete, als Beweis der jüdischen Verachtung gegenüber Nichtjuden und für das Ziel der jüdischen Weltbeherrschung. Doch solche Zitate werden zuallermeist aus dem Zusammenhang gerissen: "Es kann nicht geleugnet werden, dass es Stellen im Talmud gibt, die nicht gerade zimperlich mit den ‚Gojim’, den Nichtjuden umgehen", sagte Michel Bollag im Verlaufe seines Vortrags. Doch sei grundsätzlich festzuhalten, dass es weder den pauschalen jüdischen Fremdenhass gebe, noch die eine abschliessende Sicht des Talmud über die Nichtjuden, die insbesondere von antisemitischen Kreisen immer wieder suggeriert werde. Der Talmud ist kein in sich geschlossener Gesetzeskodex, sondern in ihm wurden die Debatten niedergeschrieben, die die Rabbiner untereinander ausgetragen haben zu den Texten der Mischnah, dem traditionellen jüdischen Religionsgesetz – auch mündliche Torah genannt – dem wiederum die eigentliche Torah (5 Bücher Mose) zugrunde liegt. Es finden sich im Talmud Lehrmeinungen und Gesetzesentscheidungen, die sich gut und gern völlig widersprechen können. Michel Bollag betonte, dass es dieses Nebeneinander von Meinungen besonders zu berücksichtigen gelte, wenn man sich mit talmudischen Aussagen über Nichtjuden auseinandersetze. Der Kontext müsse unbedingt bekannt sein, der die Fragestellung und die Gegenpositionen aufzeige. Das erst charakterisiere einen Talmudtext.

Christen als Feinde

Die Texte des Talmud, den es übrigens in zwei Fassungen gibt, dem babylonischen und dem palästinischen oder Jerusalemer Talmud, entstanden zwischen dem 1. und dem 8. Jh. n. Chr. Diese Zeit war für die Juden geprägt vom Zusammenbruch ihrer nationalen Unabhängigkeit und ihres religiösen Zentrums, des Tempels in Jerusalem. In diese Zeit fällt auch der Bruch zwischen dem Judentum und dem Christentum, das sich mehr und mehr als das "wahre Israel" zu verstehen begann und das die Juden durch die folgenden Jahrhunderte entrechtete, verfolgte und tötete. Deren grauenvollste Episode endete erst vor 57 Jahren. Der Nichtjude war (und ist es immer wieder) für den Juden der potentielle Feind, der mögliche Antisemit, von dem man nicht genau weiss, was er denkt, vor dem man sich in Acht nimmt und dem man misstraut. Gerade diese Tatsache liegt vielen Talmudzitaten gegen Nichtjuden zugrunde und muss als Widerstand und Verteidigung verstanden werden. Nicht das blosse Nichtjüdischsein des Nichtjuden ist aber schlussendlich Zielscheibe der talmudischen Aussagen, sondern seine (des Nichtjuden) Feindschaft und sein eines Menschen unwürdiges Verhalten. Wie wohlwollend die "gojim" im Talmud von den Rabbinen gewertet werden, zeigt eines von vielen Zitaten: Rabbi Meir sagte, woher (kommt es), dass selbst ein Nichtjude, der sich mit der Torah befasst, dem Hohepriester gleiche? Es heisst: Der Mensch, der nach ihnen (den Weisungen der Torah) handelt und durch sie lebt. Es heisst nicht: Priester, Leviten und Israeliten, sondern "der Mensch". Dies lehrt dich, dass selbst ein Nichtjude, der sich mit der Torah befasst, dem Hohepriester gleicht.

Datum: 21.07.2002
Autor: Ruth Würsch
Quelle: idea Schweiz

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