Reformen statt Krieg

Politik

Die Christenheit – auch der Präsident der USA zählt sich zweifelsohne dazu – bereitet sich in diesen Wochen auf Weihnachten vor, das "Fest des Friedens". Gleichzeitig werden für den zweiten Irak-Krieg – trotz Inspektoren – tödliche Maschinerien bereit gestellt. Bis an Heiligabend spricht kaum jemand vom Frieden. Übertreibe ich? Als ich bei einem Internet-Suchdienst die Stichworte "Krieg" beziehungsweise "Frieden" eingab, konnte ich unter dem Stichwort Krieg fast doppelt so viele Eintragungen finden.

Obwohl man mich als "Gutmenschen" bezeichnen mag - in welcher Welt leben wir, in der dieser Begriff ein Schimpfwort ist? -, übersehe ich das Böse auf Erden nicht. Und ich gehe einig mit der Schriftstellerin Anke Maggauer-Kirsche, die nach dem ominösen 11. September 2001 schrieb: "Sich wehren ist etwas anderes als zurückschlagen."

Ich weiss, diese Einsicht ist alles andere als neu. Schon längst haben Menschen entdeckt, dass wir nicht bloss die Gewalt zur Verfügung haben, um uns zu verteidigen. Martin Luther King - ein US-Bürger! - stellte dazu fest: "Gewaltlosigkeit ist eine kraftvolle und gerechte Waffe, die ohne zu verwunden schneidet und den ehrt, der sie benützt." Und schon Jahrzehnte früher meinte Mahatma Gandhi - der Indien befreite! -: "Gewaltlosigkeit ist die grösste Kraft, über welche die Menschheit verfügt."

Andere sind da offensichtlich anderer Meinung. Ich erinnere mich noch gut an meinen israelischen Nachbarn in der englischen Sprachschule, der mir während des Libanon-Krieges sagte: "Die Palästinenser verstehen nur die Sprache der Gewalt." Inzwischen sind zwei Jahrzehnte vergangen. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina hat sich auf unvorstellbare Weise ausgeweitet. Der Ost-West-Konflikt hingegen wurde beigelegt – friedlich und gewaltfrei!

Ich gebe zu, den Blick auf gewaltlose Methoden der Konfliktbewältigung zu lenken ist nicht ausreichend. Wir kommen nicht umhin, die Ursachen von Streitigkeiten anzuschauen. Für eine umfassende Analyse des drohenden zweiten Irak-Krieges fehlt hier der Platz. Dazu nur so wenig: Auch kritische nordamerikanische Intellektuelle sind davon überzeugt, dass die Devise "Blut für Öl" keine plumpe Unterstellung ist.

Die USA, eine Energieverschwenderin ersten Ranges, haben die Ölreserven des Irak dringend nötig. Und damit wären wir wieder bei Mahatma Gandhi: "Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier." Wenn es um Verschwendung und "Gier" geht, wäre es heuchlerisch, bloss auf die USA zu zeigen. Auch unser Lebensstil ist nicht "weltverträglich".

Nehmen wir lediglich das Beispiel Auto. Wenn alle Menschen so viele Autos hätten wie die Deutschen und die Schweizer, würde die Erde nach Ansicht von Fachleuten innerhalb weniger Tage unter ihren Abgasen kollabieren. Oder betrachten wir das viel beschworene Wirtschaftswachstum. Mir hat noch keiner der führenden Politiker und Ökonomen überzeugend dargelegt, nach welcher Logik in einer begrenzten Welt unbegrenztes Wachstum möglich sein soll. Wenn es mit dem Wachstum und unserem Lebensstil so weiter geht, geht es eines unschönen, nicht sehr fernen Tages nicht mehr weiter.

Reformen sind gefragt. Nicht Reförmchen! Wir halten es jedoch lieber mit dem Bären, der in einem Schweizer Trickfilm davon schwafelt, was er alles anders machen werde. Darauf sein Kollege: "Du willst also dein Leben ändern?" Der Bär ganz entsetzt: "Nein, so krass möchte ich es nicht formulieren."

Ohne "krasse" Änderungen aber wird es keinen Frieden und kein Überleben der Menschheit geben. Es bleibt vieles zu tun – nicht bloss im Advent, im kirchlichen Jargon "Zeit der Umkehr" genannt.

Leserbrief

Autor: Walter Ludin

Datum: 06.12.2002
Quelle: Kipa

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