Opiumsucht unter Afghaninnen weit verbreitet

opsucht

Sie ist 35-jährig, in Erwartung des siebten Kindes und kommt aus der entlegenen Provinz Badakshan in Nordost-Afghanistan. Sie wurde nach Kabul auf die einzige Entzugsstation der afghanischen Hauptstadt gebracht. Das ist ihre letzte Chance. Rahema ist opiumsüchtig.

Wie Rahema sind viele afghanische Frauen dem übermässigen Opiumgenuss verfallen. Laut einem Bericht des UNO-Nachrichtendienstes IRIN leiden in der Provinz Badakshan besonders viele Frauen unter dieser Sucht. Einige von ihnen nutzen Opium zwar als Medikament. Mit Opium wollen die Frauen aber auch der tristen Alltagsrealität von Krieg und Armut entfliehen, sagt Doktor Nagibullah Bigzad, leitender Arzt auf der Entzugsstation in Kabul. "Die Frauen gehen einfach auf den Markt, um es dort zu kaufen", so Bigzad.

Laut David Macdonald, dem Beauftragten für das Suchtprogramm der UNO in Islamabad, ist das Opiumproblem der Frauen weit über die Provinz Badakshan hinaus verbreitet. In Afghanistan gebe es Tausende von opiumsüchtigen Frauen, ebenso in den Flüchtlingslagern in Pakistan und Iran. "Das Problem wird sich noch verschärfen", warnt Macdonald. In der Provinz Badakshan schätzt Bigzad die Zahl der Süchtigen auf 60000. In einem anderen Bericht über Opiumkonsum steht, dass an der Grenze zwischen Badakshan und Tadschikistan 20 bis 30 Prozent der Frauen süchtig sind. Eine Untersuchung von zwei Gesundheitszentren im Süden von Kandahar ergab, dass 20 Prozent der älternen Frauen regelmässig Opium nehmen, angeblich um ihre Atmungsbeschwerden zu lindern.

Heilmittel, selbst für Kinder

Gemäss einer Studie des UNO-Drogenprogramms (UNDCP) hat Opiumkonsum eine lange Geschichte in Afghanistan. Zuerst vor 2000 Jahren von Alexander dem Grossen eingeführt, wurde unter den Minderheitenvölker wie Tadschiken und Turkmenen aus verschiedenen Gründen verbreitet, etwa zur Erhöhung der sexuellen Potenz, der physischen Kraft oder als Medizin für über 50 Krankheiten.

In manchen abgelegenen Gebieten, wo es keine Gesundheitszentren, Apotheken oder medizinische Versorgungsmöglichkeiten gab, war Opium das einzige Medikament bei Krankheiten. Besonders fand es Anwendung zur Schmerzlinderung, bei Atembeschwerden und bei der Behandlung von Durchfallerkrankungen. Ausser dem getrockneten Saft (dem Opium) werden auch andere Produkte der Mohnpflanze gebraucht, zum Beispiel Öl aus dem Samen zum Kochen und getrocknete Halme der Pflanze als Brennmaterial oder als Nahrung für die Tiere.

1994 publizierte die Wak-Stiftung für Afghanistan einen Bericht über das Opiumproblem. Darin wurde festgehalten, dass im nordöstlichen Nuristan geringe Mengen von Opium auch kleinen Kindern verabreicht werden, etwa zur Bekämpfung des Hustens. Der Bericht warnte davor, dass die Kinder süchtiger Mütter durch die Muttermilch selber süchtig werden könnten. Auch wurde von Fällen berichtet, in denen abhängige Mütter ihren Kindern, die in der Nacht schrien, kleine Dosen von Opium verabreichten, etwa über ihre Lippen zu den Lippen des Kindes.

Letzter Ausweg

Bei einer Studie in Flüchtlingslagern in Nordwestpakistan zeigte sich, dass Frauen mehrheitlich Opium nicht zum Vergnügen oder aus Neugierde nehmen, sondern als letzten Ausweg aus ihren enormen physischen und psychischen Leiden. Gerade die psychischen Leiden wie Depression, Angstzustände und Trauer über Verluste sind oft ein Grund für den Griff nach Opium. Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Zeit – das heisst die zunehmende Verarmung, die soziale Entwurzelung durch Flucht – sowie die zunehmend einfachere Erhältlichkeit von Opium und Heroin haben viele Frauen in Drogenabhängigkeit geführt. Was von ihnen kurzfristig als Medikament benutzt wurde, hat vielfach zu Missbruach und zu einem Suchtverhalten mit gesundheitlichen Auswirkungen auf die Betroffenen und sozialen Auswirkungen auf die Familien und Gemeinschaften geführt.

80 Prozent der in der UNDCP-Studie befragten Frauen gaben an, dass die Ausgaben für den Kauf des Opiums die finanzielle Basis der Familie zerstöre. Viele sagten, sie hätten Lebensmittelvorräte verkauft, um Drogen zu kaufen. 60 Prozent der Befragten sagten weiter, dass durch den Opiumkonsum auch die familiären Beziehungen gestört worden seien. Streitereien innerhalb der Familie über Drogen seien üblich, sagen sie.

Aufklärung nötig

Besonders verheerend wirkt sich die mangelnde Aufklärung über das Opiumproblem aus. Das Bewusstsein über die Gefahren des Opiumkonsums sei noch kaum vorhanden, sagt der Beauftragte des UNO-Programms Macdonald. Die Menschen hätten zwar Opiate für medizinische Zwecke über Jahrhunderte gebraucht, aber mit dem Zerfall von sozialen Schranken sei die Gefahr des Missbrauchs grösser geworden. Die Frauen müssten vermehrt und frühzeitig über die Gefahren des Opiumkonsums aufgeklärt werden, fordert Macdonald. Insbesondere über die Gefahren bei Schwangerschaft oder gesundheitlichen Problemen. Für die bereits Süchtigen fordert Macdonald angepasste Entzugsmöglichkeiten, welche die Frauen auch zu Hause durchführen können. Der Arzt Bigzad bleibt bei noch elementareren Nöten. Wir haben weder Medizin, noch Nahrung, noch Personal für die Behandlung. Unsere Klinik hat keine Heizung und wir haben nicht einmal genug Glas für Fenster, sagt er.

Unterdessen sitzt Rahema auf den schmutzigen Leintüchern ihres Bettes. Ihr ältester Sohn ist bei ihr, um ihr beizustehen. "Mein Problem ist das Problem meiner Familie geworden. Ich kann nur hoffen, dass ich da hinauskomme", schluchzt sie. Ihr Kampf hat gerade erst begonnen

Schweizer Ärztin hilft afghanischen Frauen in Depressionen

"Mein Herz sinkt in den Bauch und meine ganze Kraft geht durch die Füsse hinaus", so drückte eine afghanische Frau bei einer Konsultation in einem öffentlichen Spital von Herat (Westafghanistan) ihre tiefe Depression aus. In Herat und Umgebung leben schätzungsweise eineinhalb Millionen Menschen, unter ihnen viel Flüchtlinge. Doch die kleine Sprechstunde innerhalb des Spitals in der Stadt ist der einzige Ort, wo auch während der Taliban-Zeit psychisch kranke Frauen beraten und betreut wurden. Hier behandelten die zwei Ärztinnen, eine Afghanin und eine Schweizerin, Frauen und Kinder mit psychischen Problemen. Die unglaublich grosse Belastung, der tägliche Kampf ums Überleben in einer von Dürre, Hungersnot und Konflikten beherrschten Region habe viele psychische Leiden verursacht, berichtet die Schweizer Ärztin. Doch gerade diese Art von Krankheit würde in der afghanischen Gesellschaft nicht richtig verstanden. Solche Leiden würden oft als Besessenheit interpretiert und den bösen Geistern des Volksislams zugeordnet. Auch sei es üblich, dass behinderte Kinder wegen ihrer Behinderung geschlagen würden.

Dorfchefs werden informiert

Durch ein Schulungsprogramm versuchte die Schweizer Ärztin zusammen mit zwei weiteren ausländischen Fachleuten, einheimische Berater auszubilden, die in den Dörfern die Chefs und Dorfautoritäten über psychische Krankheiten und Behinderungen informieren sollten.

Eine grosse psychische Belastung komme daher, dass viele Mädchen sehr früh verheiratet würden. Unter dem Taliban-Regime hätten zudem viele Menschen, besonders auch Frauen, die Hoffnung und die Perspektive für ein besseres Leben verloren, erzählt die Ärztin. Deshalb gebe es in Afghanistan eine hohe Selbstmordrate. Oft könne den schwer depressiven Frauen aber mit Psychopharmaka und begleitenden Gesprächen geholfen werden. In der Beratung sprechen die Frauen auch über ihren Glauben und über das Gebet, das in der islamischen Kultur sehr wichtig ist. Dabei beobachten sie die Ausländerin, die mit Glaubenskraft und Liebe zu ihnen gekommen ist.

Im vergangenen September musste die Organisation, mit der die Schweizerin arbeitete, das Land verlassen. Nun planen die Hilfsorganisation und die Ärztin ihre baldige Rückkehr.

Datum: 19.06.2002
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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