Land der Fussball-WM: In Südkorea prägen Kirchen das Stadtbild

Landschaft in Südkorea

Als die 16 Fussball-Teams aus allen Erdteilen in Seoul landeten und in die zehn koreanischen Städte weiterreisten, in denen die Vorrundenspiele ausgetragen werden, konnten sie dort eine verblüffende Beobachtung machen: Im Unterschied zu anderen fernöstlichen Ländern sind die Stadtbilder nicht etwa von Tempeln, Pagoden und Klöstern der ostasiatischen Hochreligionen Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus bestimmt, sondern eindeutig von Kirchen, sei es in neugotischem oder modernem Stil. (Die Heiligtümer der nichtchristlichen Religionen findet man eher im Hinterland, obwohl ihnen ein starkes Drittel der 42 Millionen Südkoreaner angehören.) Und die Kirchen in den Grossstädten sind nicht etwa – wie vielfach in Europa – bloss gelegentlich von einer kleinen Schar aufgesuchte Stätten sonntäglicher Pflichtübung, sondern Zentren eines pulsierenden Gemeindelebens.

Nicht nur, dass in ihnen sonntags in der Regel bis zu vier stark besuchte und kirchenmusikalisch hinreissend gestaltete Gottesdienste stattfinden, wie z.B. in der repräsentativen Young Nak-Kirche im Zentrum Seouls oder in dem riesigen Rundbau der “Kirche des vollen Evangeliums” des weltweit bekannten pfingstkirchlichen Evangelisten Jong-Gi Cho auf der Joidoo-Insel; auch werktags gibt es zahlreiche Aktivitäten: Man trifft sich in Jugendgruppen, Mütterkreisen, Bibelkursen, zu Gebetsgemeinschaften, Chorübungen, Theaterproben, zu theologischen Fortbildungsprogrammen sowie zu diakonischen und evangelistischen Einsätzen.

Was das Gebet bewirkt

Jeder Morgen, im Sommer wie im Winter, beginnt mit einer Gebetsversammlung, an der etwa ein Viertel der Gemeindeglieder teilnimmt. In vielstimmigem Flehen, von leidenschaftlichen Gestikulationen unterstützt, breiten sie ihre persönlichen und gemeinschaftlichen Anliegen vor Gott aus und lassen sich mit geistlicher Kraft für den zermürbenden Existenzkampf in Familie und Beruf ausrüsten.

Religionskundlich lässt sich hier die christliche Bekehrung von einem überwiegend schamanistischen Hintergrund her erkennen. Während einst im Kult der Schamanen die reale Gegenwart der herbeigerufenen Geister erfahren wurde, tritt nach deren Austreibung die Macht des Erlösers Jesus Christus hervor, der in der Gemeinde durch seinen Heiligen Geist lebendig wirkt. Die koreanischen Christen sind aufgrund vielfacher persönlicher Erfahrung von der Berge versetzenden Wirkkraft des Gebetes zutiefst überzeugt. Die Gebetsfrömmigkeit der koreanischen Christen ist auch im internationalen Vergleich einzigartig und lässt auf den ausländischen Besucher unvergessliche Eindrücke zurück.

Aus gutem Grund wählte das Lausanner Komitee für Weltevangelisation Koreas Hauptstadt Seoul, als es im Jahre 1984 dort den ersten Internationalen Gebetskongress für Weltevangelisation mit insgesamt 100.000 einheimischen und überseeischen Teilnehmern veranstaltete. Unsere koreanischen Gastgeber – zusammen mit Erfahrenen aus anderen Ländern – führten uns ein in die biblische Theologie und Praxis des Gebets, dem sich Glaubensstarke auch dadurch widmen, dass sie sich Tage oder sogar mehrere Wochen lang zum Beten und Fasten in die Einsamkeit von sogenannten “Gebetsbergen” zurückziehen, z.B. um ein besonders wichtiges Ereignis wie eine Grossevangelisation geistlich vorzubereiten. Auch auf die WM-Spiele rüsten sich die dabei evangelistisch engagierten Gruppen in intensivem Gebet.

Erweckung brach aus

Evangelikales Christentum in Korea ist charismatisch im neutestamentlichen Sinne geprägt. Das lässt sich zurückführen bis ins Jahr 1907, als 23 Jahre nach Beginn der evangelischen Missionsgeschichte anlässlich eines grossen Männerbibelkursus in Pjöngjang unter den 1.500 Teilnehmern eine die Gewissen tief erschütternde Erweckung ausbrach. Sie führte zu einer grundlegenden geistlichen Erneuerung der jungen presbyterianischen Kirche und gab der Frömmigkeit auch der anderen protestantischen Kirchen – unter ihnen vornehmlich die Methodisten als zweitgrösste Missionskirche – ihre bleibende erweckliche Ausrichtung.

Sie ermöglichte es auch, dass die von den amerikanischen Missionaren in Korea erprobte “Nevius-Methode” als Missionsstrategie sich dort so hervorragend bewährte. Sie ist nach John Nevius von der presbyterianischen Kirche der USA benannt und will so missionieren, dass die Konvertiten-Gemeinden sich selbst erhalten und missionarische Aktivitäten entwickeln können. Die Methode basiert auf dem Prinzip der dreifachen gemeindlichen Selbständigkeit von Anfang an, nämlich der Verantwortlichkeit der einheimischen Christen für die Leitung, den finanziellen Unterhalt und die Evangelisationstätigkeit ihrer jungen Kirche – ohne wesentliche Unterstützung von seiten der ausländischen Missionsgesellschaft! Das konnte in Korea funktionieren, weil es seine geistliche Dynamik empfing aus der urchristlichen Gebetsfrömmigkeit sowie dem gleichzeitig eingeführten gemeindepädagogischen Bibelkurs-System. Seither ist das Gemeindeleben und das persönliche Christentum in den zu ihrer grossen Mehrheit evangelikalen Denominationen Koreas durch drei Kennzeichen bestimmt: das bedingungslose Vertrauen auf die Autorität der Heiligen Schrift und deren nie abgeschlossenes eifriges Studium für die eigene Erkenntnis und zur Befähigung zum geistlichen Dienst. Das führte zu einer frühen Mündigkeit der koreanischen Kirchen und zur Gründung vieler stark besuchter Bibelschulen und theologischer Seminare

Der 10. ist die Regel

Es gibt ein grosses Verantwortungsbewusstsein für andere: Man unterstützt mit beträchtlichen Opfern an Geld – der Zehnte ist die Regel – und dem Einsatz von Zeit und Talenten den Aufbau von pilzartig emporschiessenden Gemeinden in allen Regionen des Landes mit expansiven Programmen. Dazu kommt ein unverkrampfter Missionseifer, der sich sowohl in der Evangelisation vor Ort als auch in frühzeitig übernommenen Aufgaben in andern Ländern und Volksgruppen äusserte. Heute tragen die gut neun Millionen Christen zählenden koreanischen protestantischen Kirchen einen beträchtlichen Anteil an der Weltevangelisation: Sie haben 5.000 Missionare in alle Erdteile entsandt.

Innerlich geläutert wurde die koreanische Kirche durch geschichtliche Erfahrungen schweren Leidens, auch in Gestalt des Martyriums. Dazu gehörte zunächst die Unterdrückung in der Periode der japanischen Besetzung des Landes von 1905 bis 1945. In dieser Zeit leisteten gerade Christen sowohl geistlichen als auch politischen Widerstand. Noch einschneidender war die kommunistische Machtübernahme in Nordkorea 1945 und die darauf folgende Teilung des Landes am 38. Breitengrad. Grosse Teile der grausam verfolgten Gemeinden des Nordens flohen in den Süden. Diese Flüchtlinge bildeten dann später den Kern der in Freiheit erstarkenden Kirchen Südkoreas. Bis zum heutigen Tage blieb die sehnlichst erhoffte Wiedervereinigung mit der körperlich und geistig drangsalierten Volkshälfte im Norden ein Hauptinhalt koreanischen Betens, geht doch der Riss durch die meisten koreanischen Familien. Die Erfüllung scheint nunmehr auch durch die versöhnliche Politik des jetzigen südkoreanischen Staatspräsidenten Kim Dae Jung, eines praktizierenden Christen, ein Stück näher gerückt zu sein. Allerdings droht zur Zeit wegen George W. Bushs Einstufung Nordkoreas in die “Achse des Bösen” auf jener Seite eine erneute Verhärtung.

Originelle Evangelisation

Die Fussballweltmeisterschaft betrachten viele koreanische Christen vornehmlich aus evangelistischer Perspektive. Sie erblicken im Kommen von zehntausenden ausländischer Gäste eine einzigartige Gelegenheit zum missionarischen Zeugnis sowohl unter den Zuschauern als auch unter den Spielern selbst. In vorbildlicher Zusammenarbeit zwischen den Kirchen wurden drei Organisationen gebildet, die für die Planung und Durchführung der Einsätze verantwortlich sind: Zwei widmen sich der unmittelbaren evangelistischen Begegnung, eine bemüht sich angesichts des mitunter ins Chaotische abzugleitenden Enthusiasmus der Fans darum, in christlichem Geist für Ordnung zu sorgen und eine Atmosphäre der Harmonie zu verbreiten.

Protest gegen “rote Teufel”

In den zehn gastgebenden Städten wurden für die 16 an den Vorrunden beteiligten Mannschaften nach amerikanischem Vorbild Gruppen zum “Anfeuern” gebildet, die, in die nationalen Farben ihrer adoptierten Favoriten gekleidet, ihnen aus den Zuschauerrängen heraus zujubeln und sie auch sonst nach Möglichkeit unterstützen wollen. Weniger erfreut waren die Christen darüber, dass die offizielle Anfeuerungsgruppe, welche Koreas eigene Nationalmannschaft animieren soll, sich die Bezeichnung “rote Teufel” gab, was heftige Proteste ausgelöst hat.

Für die Evangelisierung der Zuschauer hat man originelle Einfälle: Man will den Gästen farbige Schärpen mit der in sieben Sprachen übersetzten Inschrift von Johannes 3,16, der “kleinen Bibel”, umhängen: “Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.” Für die Durstigen hält man Sprudelflaschen bereit, die ebenfalls mit biblischen Losungen etikettiert sind. Ein farbiges Handbüchlein als Wegweiser wurde gedruckt mit dem Zeitplan der Spiele, kartographischer Orientierung und – das ist das Entscheidende – einem Anhang, in dem man Fotos von den derzeit berühmtesten christlichen Fussballspielern und deren persönliches Glaubenszeugnis findet.

Koreas National-Elf besteht zur Hälfte aus Christen

Auch die 24köpfige koreanische Fussball-Mannschaft besteht zur Hälfte aus Christen. Sie werden sich auf ihre Weise zu ihrem Glauben bekennen, indem sie nach verbreitetem Brauch bei gelungenem Torschuss auf die Knie fallen, um Gott zu danken. So haben Christen in aller Welt Anlass, der koreanischen Mannschaft, obwohl sie nicht auf der Favoritenliste steht, recht viele erfolgreiche Torschüsse zu wünschen, nicht nur, weil man ihr ein ehrenhaftes Abschneiden vor den eigenen Landsleuten gönnt, sondern weil auch auf diese Weise Christus verkündigt werden kann.

Datum: 05.06.2002
Autor: Peter Beyerhaus

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