Weltweite Bibelübersetzung: Fortschritte und Neubesinnung

Das meist übersetzte Buch der Welt

Die Statistik der jährlichen Bibelübersetzungen ist beeindruckend. Mit laufend neuem Übersetzen ist die Arbeit allerdings noch nicht getan. Bibelübersetzungen könnten mehr Wirkung haben, wenn einheimische Organisationen die Verantwortung übernähmen. Doch die kulturübergreifende Zusammenarbeit ist nicht einfach.

Bibelübersetzungen liegen nach wie vor im Trend. Die Vereinigten Bibelgesellschaften (UBS) waren im vergangenen Jahr weltweit an gegen 900 laufenden Übersetzungsprojekten beteiligt. Bei Wycliff Schweiz weiss man von 1500 Übersetzerteams, bei 1100 davon sind Wycliff-Bibelübersetzer dabei. Im Jahr 2001 wurden von den Vereinigten Bibelgesellschaften ganze Bibeln in acht Sprachen und 25 Neue Testamente registriert, bei Wycliff zählte man 27 Neue Testamente und zwei ganze Bibeln.

Zusammenarbeit mit einheimischen Organisationen

Bei der Übersetzungsarbeit habe sich aber in den vergangenen Jahren einiges geändert, sagt Franziska Moser von Wycliff Schweiz. So übernähme Wycliff heute oft nicht mehr die alleinige Verantwortung für ein Übersetzungsprojekt, sondern beteilige sich neben anderen Organisationen und Kirchen an Projekten. Wycliff-Mitarbeiter hätten immer mehr die Funktion, einheimischen Teams beim Aufbau eines Projektes oder bei der Übersetzungsarbeit zu helfen. So sind von den 56 an Sprachprojekten beteiligten Schweizer Wycliff-Mitarbeitenden 18 in Alphabetisierungsprojekten aktiv, drei als Berater. Zehn sind als Übersetzungsberater in mehreren Projekten tätig. Die übrigen 25 sind einzelnen Projekten zugeteilt. Fünf helfen bei der Projektplanung, vier stehen den Übersetzern als linguistische Berater zur Seite.

Die Kontrolle und Verantwortung für Bibelübersetzungen wird zunehmend von einheimischen Organisationen und lokalen Kirchen übernommen. Die Zusammenarbeit zwischen Menschen verschiedener Kulturen sei viel anspruchsvoller, sagt Moser. Allein die Diskussion um die Finanzierung eines Projektes oder um die Auswahl der Mitarbeiter könne zu langen Diskussionen führen. "Wie soll man beispielsweise reagieren, wenn die Dorfgemeinschaft Leute aufgrund ihres Ansehens auswählt, die aber für die Übersetzungsarbeit nicht fähig sind?" fragt Moser. Auch wenn der Weg der Zusammenarbeit oft mühsamer scheint, ist Moser überzeugt, dass sich der Einsatz lohnt: "Es geht um ihre Bibel. Als solche findet sie viel mehr Akzeptanz und Eingang in die Gemeinden", sagt die Wycliff-Mitarbeiterin.

Währenddem in Mittel- und Südamerika die Übersetzungsarbeit weitgehend abgeschlossen sei, gebe es in Afrika, Asien, Ozeanien und im Orient noch grosse Bedürfnisse, sagt Moser. Von den Schweizer Wycliff-Mitarbeitenden ist rund die Hälfte im französischsprachigen Afrika engagiert.

Zahlen der Vereinigten Bibelgesellschaften (UBS) zeigen etwa das gleiche Bild: Von den acht Bibelübersetzungen in neue Sprachen im Jahr 2001 wurden vier in Afrika registriert, zwei in Asien und zwei im pazifischen Raum. Von den 25 Übersetzungen des Neuen Testaments stammen laut Bibelgesellschaft acht Übersetzungen aus dem pazifischen Raum, sieben aus Asien und fünf aus Afrika.

Lange Arbeit

Bibelübersetzungen sind Projekte, die jahrelang dauern. Trotz vieler technischer Neuerungen beanspruchen sie heute kaum weniger Zeit als früher. Diese Tatsache erklärt Wycliff Schweiz auch damit, dass man, was die Qualität des Produkts betrifft, immer anspruchsvoller geworden sei. Landkarten, Erklärungen, Stichwortverzeichnisse und Parallelstellenangaben gehören heute zur Übersetzung. Zu den Bibelübersetzungen gehören immer auch deren Integration in die betroffene Volksgruppe. Nicht nur Alphabetisierungsprojekte, sondern auch das erste Vertrautwerden mit der christlichen Botschaft (Präevangelisation) gehören da zu den wichtigen Voraussetzungen. Im vergangenen Jahr hat Wycliff 41 mal den Jesus-Film und vier mal das Lukas-Evangelium in verschiedenen Sprachen synchronisiert.

Wenig Interesse an Einzelinitiativen

Wycliff setzt auf Teamarbeit. Gegenüber Missionskandidaten, die als grosse Pioniere wirken wollen, ist man in der Organisation eher skeptisch eingestellt. Solche Pioniercharaktere sollten besser in der eigenen Kultur wirken, glaubt Moser. "Einzelinitiativen bringen oft nichts. Wenn die Leute nicht selber an der Entstehung beteiligt waren, lesen sie die besten Übersetzungen nicht. Die Bibel in der eigenen Sprache ist die Voraussetzung für ein gesundes Gemeindewachstum. Andererseits sind auch langjährige Arbeit unter einem Volk und fertiggestellte Bibelübersetzungen keine Garantie für eine Verbreitung des Evangeliums und für eine wachsende Kirche. Eine Wycliff-Mitarbeiterin, welche während 20 Jahren beim Volk der Siane in Papua Neuguinea die Bibel übersetzte, musste diese Erfahrung machen. Seit der Fertigstellung der Bibel im Jahre 1998 besteht trotz weiteren Evangelisationsanstrengungen mit dem Jesus-Film bis jetzt kein grösseres Interesse am Evangelium.

Auch in geschlossenen Ländern

Vor dreissig Jahren hat man noch geglaubt, dass es im Orient und in Asien Länder gibt, in denen Übersetzungsarbeit unmöglich ist. Das sieht man bei Wycliff heute anders. Man habe festgestellt, dass in Ländern, die nicht offen sind, erstaunlich viel geschehe. Das liegt allerdings nicht in den Händen ausländischer Missionsgesellschaften. Die Initiative geht auf einheimische Christen zurück.

Die kritischen Fragen, die man sich als Übersetzermissionswerk deshalb stellen müsse, seien: "Wo übersehen wir gute Möglichkeiten? und: Wo stehen wir uns selber im Weg?" sagt Moser. Auf dem traditionellen Weg ginge es gemäss der Wycliff-Mitarbeiterin noch 150 Jahre, bis die Bibel in allen Sprachen vorliegt. "Diese Tatsache wollen wir nicht einfach hinnehmen, sondern Veränderungen in Haltung und Arbeitsweise anstreben", so Moser. Mit dem Aktionsplan "Vision 2025" will Wycliff erreichen, dass bis im Jahre 2025 in allen Sprachgruppen, die eine Bibelübersetzung benötigen, ein Übersetzungsprojekt im Gange ist.

Datum: 04.06.2002
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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