Wie sieht es im Himmel aus?

Himmel
Tübinger Theologieprofessor Eberhard Jüngel

Wird es im Himmel langweilig? Für Eberhard Jüngel, einer der bedeutendsten evangelischen Theologen der Gegenwart, keineswegs. Auch wenn bei diesem Thema die “Nachbarschaft zum religiösen Kitsch” (man denke nur an Ludwig Thomas berühmten “Ein Münchener im Himmel”) besonders gross ist, darf es nicht mit einem “betretenen Schweigen” beantwortet werden oder dem schlichten Hinweis, im Reich Gottes sei “alles anders”, so anders, dass man es nicht beschreiben könne. Jüngel hingegen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die entstandene “Denkhemmung” zu überwinden und getreu der Einsicht des jungen Ludwig Wittgenstein, “wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen”, in der Bibel herauszufinden, was es alles über die “neue Erde” und den “neuen Himmel” (Offenbarung 21,1) zu sagen gibt. Die Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) bekommt im grossen Festsaal des Berliner Johannesstift einen Vorgeschmack von dem ewigen Leben, als der Tübinger Professor im vierten Teil seines Vortrages “Die Hoffnung auf das ewige Leben” eben auf das Reich Gottes zu sprechen kommt. Seine Frage lautet schlicht und einfach: “Woraus hoffen wir, wenn wir auf ein ewiges Leben hoffen?” Aus uns Menschen werden auch nach unserer Erhöhung zu Gott keine überirdischen Wesen: “Wir werden nicht aus der irdischen Welt erlöst, sondern diese irdische Welt wird erlöst, wird verwandelt, wird verherrlicht werden, und wir mit ihr.”

Als hätte Mozart die Töne vorgegeben

Denn erwartet wird die neue Erde unter dem neuen Himmel. Also ein Leben auf der Erde. Einer neuen allerdings. Dabei ist wichtig, dass das Wort “neu” nun ganz neu verstanden werden muss, also der Gegensatz von neu und alt aufgehoben ist, das Neue nicht mehr altern wird – “es mag so alt werden, wie es will.” Älter werden wird also, sagt Jüngel, nicht mehr auf Veralten hinauslaufen. Die Offenbarung des Johannes spricht zwar von einem “neuen Jerusalem”. Doch von einem neuen Tempel ist nicht die Rede. Es bedarf also keines neuen “Kultortes” mehr, wenn es um das Rühmen geht, mehr noch, das Leben bei und mit Gott wird “voll Rühmens” sein. Und wie stellt sich Eberhard Jüngel dieses Lob Gottes vor? Es wird gleichzeitig “ganz konzentriert und ganz locker, ganz ernst und ganz heiter, ganz andächtig und ganz spielend sein – so als hätte Wolfgang Amadeus Mozart die Töne vorgegeben”. Das Lob Gottes wird dann freilich nicht nur aus Menschen- und Engelszungen ertönen, sondern alle werden auf ihre ureigene Weise in das Lob einstimmen – “selbst der brummendste Bär und der rauheste Klotz” werden nicht abseits stehen.

Die Kirche wird ein Ende haben

Die Kirche wird dann auch ein Ende haben. “Gott sei Dank” fügt Jüngel hinzu. Das Zusammenleben mit Gott und miteinander wird dann die Gestalt einer Stadt (Hebräer 13,14 spricht von einer künftigen Stadt) oder eines himmlischen Reiches ( Philipper 3,20: “Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel”) haben. In diesem politischen Gemeinwesen werden allerdings diejenigen, die jetzt die Ersten sind, die Letzten sein (Matthäus 19,30). Die Wertmassstäbe werden sehr anders sein als in der gegenwärtigen Politik. Es gibt kein Freund-Feind-Verhältnis, keinen Krieg mehr. Gottes Schalom (Frieden) wird herrschen. In der Ewigkeit sind Erscheinung und Sein ganz und gar identisch. Alles Deuten, das uns in dieser Welt oft soviel Sorgen bereitet, hat dann ein Ende: “Im ewigen Leben werden wir im Lichte unseres eigenen Seins existieren. Der Mensch wird “von Angesicht zu Angesicht” schauen (1. Korinther 13,12) und Gott genauso sehen, wie Gott den Menschen schon jetzt sieht: “Dann werden wir Gott so sehen, dass wir seinem Blick standhalten können und ihm lachend ins Angesicht schauen können” (Psalm 126,2).

Wenn das Jüngste Gericht ausbliebe ...

Und was ist mit dem Jüngsten Gericht, mit dem das vollendete Leben beginnt? Eberhard Jüngel blendet es keineswegs aus. Im Gegenteil. Jesus Christus ist der Richter, der sich zuvor für uns im Gericht Gottes gestellt hat. Dass der Mensch im letzten Gericht von Jesus Christus gerichtet werden wird, “ist also eine ihm widerfahrene Wohltat”. Ohne dieses Gericht, so Jüngel, liefe der Sinn der Weltgeschichte und jeder einzelnen Lebensgeschichte darauf hinaus, sich rücksichtslos durchzusetzen: “Würde die Welt keinem letzten göttlichen Urteil entgegengehen, dann wäre die Weltgeschichte selber das Weltgericht.” Und das würde bedeuten, dass am Ende die weltgeschichtlich Siegreichen über die von ihnen Unterdrückten triumphieren würden. Der Tübinger Theologieprofesssor: “Das Ausbleiben eines Jüngsten Gerichtes wäre der schreckliche Ausdruck göttlicher Gleichgültigkeit: der Gleichgültigkeit des Schöpfers gegenüber der eigenen Schöpfung und speziell gegenüber dem von ihm geschaffenen Menschen. Nichts aber würde den Menschen tiefer erniedrigen als dies, Gott gleichgültig zu sein.” Das Gericht am jüngsten Tage soll zu Tage bringen, was geschehen ist: “Sein Licht wird Klarheit bringen über das, was wir in dieser Welt getan und unterlassen haben. Und diese Klarheit wird nicht durch ein unbarmherzig leuchtendes Licht erzeugt werden, sondern es wird das Licht des Evangeliums, es wird das Licht der Gnade sein, das alles durchleuchten und aufklären wird.”

Gnade und Wahrheit sind Zwillinge

Damit wird der Ernst des Gerichts nicht verharmlost, unterstreicht Jüngel, denn es gebe keine strengere Aufklärung unseres gelebten Lebens als die durch das Licht des Evangeliums bewirkte Aufklärung. Schliesslich habe Gnade auch nichts mit einem “glücklichen Ende” zu tun, weil Gnade und Wahrheit Zwillinge seien: “Gnade ist dasjenige Licht, dass das Dunkel überhaupt erst als Dunkel identifizierbar macht. Aber Gnade selbst ist Licht, barmherziges Licht.” Entscheidend ist für Jüngel, dass dieses Gericht positiv zu verstehen ist – “nämlich als Zugang und Auftakt zu dem auch die jetzigen Erfahrungen des Zusammenkommens mit Gott noch einmal überbietenden ewigen Leben.” Das alles hat Auswirkungen auf unser Leben in der Gegenwart, weil der Mensch die jetzige Welt mit ganz anderen Augen, in einem ganz neuen Licht sieht. Wer unterwegs zum Reich Gottes ist, “der fängt deshalb schon auf Erden an, wenigstens versuchsweise wie ein Bürger des Reiches Gottes zu leben. Wer dahin unterwegs und also des neuen Himmels und der neuen Erde gewiss ist, der hält auf jeden Fall der alten Erde die Treue. Jeder Schritt dem Herrn entgegen führt ihn immer tiefer in die gegenwärtige Welt hinein ...”

Datum: 09.07.2002
Autor: K. Rüdiger Durth
Quelle: idea Deutschland

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