Die Sehnsucht nach der «Lust an der Lust»

Freude an der Zärtlichkeit: Sexualität ist Grund zur Dankbarkeit und zum Gotteslob.
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Sexualität ist in der Bibel vom Grundsatz her kein Thema der Ethik. Im Vordergrund stehen nicht Gebote, Weisungen und Verhaltensregeln. Wichtiger ist das Staunen über das Geschenk, als Frauen und Männer umfassend aufeinander bezogen zu sein. Unsere Sexualität ist Beziehungsqualität aus der Hand Gottes: keine Belastung des Lebens, sondern Grund zur Dankbarkeit und zum Gotteslob.

Göttliche Liebe

Am Anfang steht Gottes Entschluss, uns zu wollen und zu lieben (Kapitel 1,26). Dafür ruft er eine ganze Welt ins Dasein und gestaltet einen besonderen Raum der Begegnung (vergleiche Kapitel 1,1-24 und 2,8-14). Eindrücklich dokumentiert die Bibel die Erschaffung des Menschen als ein unmittelbares und umfassendes «Beziehungs-Handeln» Gottes. Zum einen spricht Gott nicht einfach ein «es werde». Er überlässt es auch nicht der Erde, den Menschen «hervorzubringen». Sondern er «formt» ihn selbst, gestaltet ihn nach seinem Bild, teilt sich mit, haucht dem Menschen seinen Atem ein und schenkt ihm das Leben (Kapitel 2,7). Weil wir unser Leben aus Gott haben, kommt es auch nur in der Gemeinschaft mit ihm zur Erfüllung. Weil seine Liebe der «Urstoff» unserer Existenz ist, erfahren wir Glück und Zufriedenheit letztlich auch nur in dem Beziehungsraum seiner liebenden, zuwendenden und mitteilenden Gegenwart (vergleiche Kapitel 2,15-17). Sein Wort, seine Gaben und Werte geben unserem Leben Sinn und Geborgenheit.

Markenzeichen Sexualität

Zum Beziehungshandeln Gottes gehört, dass er uns individuell als Frauen und Männer geschaffen und auf gegenseitige Ergänzung angelegt hat (Kapitel 1,27 und 2,18-22). Unsere unterschiedliche Geschlechtlichkeit (sexus) spiegelt dabei etwas von dem Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes: So wie Gott Vater, Sohn und Geist ist, so ist der volle Begriff des Menschseins nur in der «Zweieinigkeit» von Mann und Frau enthalten. Unsere Sexualität ist nicht Zugabe an unser Leben. Sie ist vielmehr grundlegender Ausdruck und «Markenzeichen» unseres Menschseins: mit Geist, Seele und Leib repräsentieren wir gemeinsam als Frauen und Männer Gottes Ebenbildlichkeit in der Welt.

Freude am Du

Als Gott dem Mann (Adam) die Frau (Eva) zuführt, da wird diese Begegnung für beide zu einer Ouvertüre der Freude am anderen, am menschlichen Gegenüber. «Endlich gibt es jemanden wie mich», jubelt Adam auf, «wir gehören zusammen!» (Kapitel 2,23). Die Freude aneinander mündet für Mann und Frau in der Erfahrung einer erfüllenden Intimität, in der sich beide als sexuelle Wesen entdecken. Das hebräische Wort «jada»(= erkennen) meint dabei ein «Kennenlernen in der Begegnung», in einem gemeinsam gestalteten Miteinander. Das gilt gerade auch für die körperliche Beziehung. Sexualität ist in der Bibel nicht zuerst physiologisch, sondern personal gedacht. In der intimen Begegnung von Mann und Frau geht es nicht nur um Sex. Es geht um ein umfassendes Einswerden und Einsbleiben in einer exklusiven und vertrauensvollen Lebens- und Liebesgemeinschaft (Kapitel 2,24- 25, vergleiche auch Matthäus 19,4-6).

«Schamlos glücklich»

Der gottgewollte Beziehungsraum für die Erfahrung dieser umfassenden Lebens- und Liebesgemeinschaft ist die Ehe. In ihr können und sollen Mann und Frau «eins» werden und ihrer Freude aneinander umfassend Ausdruck verleihen. Während die intimsexuelle Begegnung ausserhalb der Ehe in der Bibel durchgehend als Unzucht, Hurerei oder Ehebruch scharf verurteilt wird (vergleiche 1. Korinther 6,15-19), widmet das «Hohelied» der Freude an der ehelichen Sexualgemeinschaft und der auf sie zielenden Erotik eine ganze Sammlung lustvoller Liebeslyrik. Innerhalb der Ehe darf die Sehnsucht nach sexueller Begegnung und die «Lust an der Lust» unverhüllt und unverkrampft zum Ausdruck kommen (Kapitel 2,25, vergleiche auch Sprüche 5,18-19).

Hingebende Erfüllung

Als erfüllt und befriedigend wird Sexualität überall dort erfahren, wo das körperliche Miteinander dem geliebten Menschen zum Geschenk gemacht wird. Einander schenken und sich beschenken lassen sind aktive Handlungen der Liebenden füreinander. Wer sich dem anderen schenkt, will dessen Wohlbefinden fördern und ihm Freude (Lust) bereiten. Wer sich sexuell beschenken lässt, zeigt, wie wichtig ihm die Zuwendung und das Geschenk der körperlichen Gemeinschaft des Partners ist. Wo die körperliche «Zuwendung» in der Ehe nur als «leidige Pflicht» und ungeliebte Dienstleistung «erbracht» wird, ist das ein Hinweis auf eine gestörte Beziehung der Lebensgemeinschaft. Das gleiche gilt, wo die sexuelle Hingabe des Partners nicht als Geschenk wertgeschätzt, sondern als Forderung eingeklagt wird, oder wo Ehepaare gedankenlos oder bewusst dauerhaft sexuell passiv miteinander umgehen. «Seid füreinander da und entzieht euch nicht», fordert der Apostel Paulus christliche Ehepaare in diesem Zusammenhang auf, «damit euch der Teufel nicht verführt» (vergleiche 1. Korinther 7,1-5).

Brennendes Verlangen

Dass unsere Sexualität eine «Flamme Gottes» und sexuelle Leidenschaft wie eine unwiderstehliche Glut ist (vergleiche Hoheslied 8,6), wird von Unverheirateten oft schmerzhaft erfahren. Sie erleben 1. Mose 2,18a in voller Härte. Billiger Trost ist hier fehl am Platz, denn das fehlende menschliche Du wird für den Ehelosen nicht einfach durch das göttliche Du ersetzt. Die Abspaltung und Verdrängung sexueller Empfindungen und Wünsche ist keine Lösung. Eine Hilfe kann nur im bewussten Wahrnehmen der eigenen erotischen Gefühle und intimen Bedürfnisse liegen, im Versuch der Integration und im Ringen um ein erfülltes Leben auch als Single.

Datum: 19.04.2002
Autor: Günther Kress
Quelle: Chrischona Magazin

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