"Die Kinder wissen, dass wir Spass am Sex haben"

Sexuelle Probleme sind oft Ausdruck einer Beziehungsstörung. Dies stellt der Leiter der biblischen Seelsorge und Lebensberatung im deutschen Chrischona-Werk fest. In der Familie von Heinrich und Waltraud Kaufmann jedenfalls sind Fragen der Sexualität kein Tabu. Eine Begegnung im ländlichen Mücke.

Seit 1988 wohnen die Kaufmanns mit der Natur vor der Nase. Während der letzten Jahre an seinem vorherigen Arbeitsort, der Stadtmission Wetter, absolvierte der 43jährige Heinrich Kaufmann die Ausbildung am Institut für therapeutische Seelsorge. Dessen Leiter Reinhold Ruthe prägte ihn nicht nur für seine jetzige Aufgabe in der Beratungsarbeit. Auch für seine eigene Ehe und Familie erhielt Heinrich Kaufmann wertvolle Impulse.

Offenes Haus

Waltraud Kaufmann, ebenfalls 43-jährig, ist eine unkomplizierte, offene Frau, die schnell mit anderen Menschen in Kontakt kommt. Ihre Wohnung hat fast immer eine offene Tür. So kommt es auch am Tag unseres Besuches vor, dass unangemeldet Gäste erscheinen. Sie werden zunächst für eine Weile auf einen Spaziergang geschickt und zum späteren Kaffee herzlich willkommen geheissen. Die gelernte Erzieherin, die sich heute vornehmlich der Erziehung der eigenen fünf Kinder widmet, sucht immer wieder die Nähe zu den Menschen der kleinen Ortschaft. Ermutigt durch ihren Mann, ist sie bereit, auch mit den eigenen Fehlern in die Welt zu gehen. Mit ihrer temperamentvollen Art singt sie seit sechs Jahren im örtlichen Gesangverein mit und baut so Brücken zwischen den Chrischona-Einrichtungen am Rande des Ortes und den Leuten im Dorf.

Einladung zum Tanzkurs

Mittlerweile entstanden daraus viele neue Aktivitäten. Gemeinsam mit einer anderen Predigerehefrau leitet sie seit kurzem den "Mückenschwarm", einen Kinderchor im Gesangverein. Ausserdem bietet sie attraktive Bastelabende für Frauen an. Die Kaufmanns wollen nicht von der Abgrenzung zu den Menschen leben, sondern im Miteinander. Dazu gehört auch ein Tanzkurs, den sie für Christen und Nichtchristen organisiert haben. Auf diese Weise wachsen Akzeptanz und Offenheit in einer guten und ungezwungenen Atmosphäre.

Rauschende Feste

Auch das Familienleben von Waltraud und Heinrich Kaufmann ist reich an Initiativen. Bei fünf Kindern gehört allerhand Feingefühl und Organisationstalent dazu, um jedem gerecht zu werden. Die Schule bestimmt im wesentlichen den Alltag. Am anschliessenden Mittagstisch sind die Eltern nur für ihre Kinder da. Essen ist für sie Begegnung. Deshalb nehmen sie möglichst alle Mahlzeiten gemeinsam mit den Kindern ein. Manchmal feiern sie abends ein rauschendes Fest mit ihnen. Das Thema dürfen die Kinder wählen; die Hausmutter bereitet es daraufhin sorgsam vor. Alle 14 Tage steht ein Familiennachmittag an. Gemeinsam besucht Familie Kaufmann dann ein Erlebnisbad. Ausserdem versuchen die Eltern, gelegentlich mit je einem Kind etwas Besonderes zu unternehmen. Bei fünf Kindern sehen sie sonst die Gefahr, dass das einzelne in der Masse untergeht.

Bügelabende zu zweit

Am Weihnachtsfest 1994 überraschte Heinrich Kaufmann seine Frau mit Bügelbrett und Bügeleisen. Das Begleitschreiben zum Geschenk gab seiner Ehefrau die nötige Erklärung. Alle zwei Wochen sollte es nun gemeinsame Bügelabende geben. Für das erste halbe Jahr lag bereits ein Terminblatt dabei. So und auf andere Weise bemüht sich der Familienvater, seine Frau zu unterstützen. Ihre Ehe erfrischen sie immer wieder mit kleinen Überraschungen. Wenn der Seelsorger unterwegs ist, entdeckt er nicht selten Zartbitterschokolade in seiner Tasche. Seine Frau überraschte er einmal mit fünf Luftballons unter der Bettdecke, die er vor seiner Abreise noch mit Liebesbezeugungen beschriftet hatte. "Gelegentlich gönnen wir uns auch einen Abend zu zweit", berichtet Heinrich Kaufmann. "Die Kinder bekommen dann früh zu essen und gehen anschliessend ins Bett. Statt essen zu gehen, kochen wir dann zu zweit mit Stil und Klasse. Manchmal laden wir auch Freunde aus dem Dorf dazu ein."

Verbindliches Miteinander

Seit einiger Zeit treffen sich die Kaufmanns mit weiteren Paaren und Ledigen, um miteinander eine kommunitäre Verpflichtung zu leben. Dies entstand aus dem Bedürfnis der Teilnehmer nach gemeinsamer geistlicher Verbindlichkeit. Der erst vor kurzem begonnene Versuch setzt Offenheit, Transparenz und Korrekturbereitschaft voraus. Im Austausch mit einer ähnlichen Lebensgemeinschaft erhielten sie bereits den Hinweis, dass Gütergemeinschaft nicht sinnvoll sei. Für die Zukunft planen sie gemeinsame Retraiten, bei denen die Kinder betreut werden.

Die grosse Krise

Die Ehe der Kaufmanns hat schon mehrere Belastungsproben hinter sich. Die schwerste war sicherlich eine Krise in der ganz jungen Ehe. Die Erfahrungen von damals geben sie heute in Vorträgen und Büchern weiter. Auch die drei Fehlgeburten vor der Geburt des ersten Sohnes forderten die Kaufmanns enorm heraus. "Ich wollte damals nicht nochmals das Risiko einer Schwangerschaft auf mich nehmen", erinnert sich Waltraud Kaufmann, "doch Gott hatte für uns die Entscheidung getroffen. Ich war mit unserem ältesten Sohn bereits schwanger". Solche Krisen wurden ihnen zu entscheidenden Entwicklungszeiten und Wachstumsknoten. Nach der Ehekrise gewannen beide den Eindruck, ihre Ehe sei so schön, wie sie es nicht einmal geträumt hätten. "Wir würden nochmals heiraten!" bezeugt das glückliche Paar. Sie können auch ungezwungen über die Vorzüge anderer Männer und Frauen sprechen. Ihr gemeinsames Partnerschaftsmotto lautet: "So leben, dass der andere zur grösstmöglichen Entfaltung kommen kann." Und Waltraud ergänzt ihr persönliches Lebensmotto: "Mit der Übertreibung des Guten fängt das Böse an."

Sexualität geniessen

Fragen der Sexualität sind in der Familie kein Tabu. Die Aufklärung forcieren die Eltern aber nicht. Allerdings greifen sie gern zu hilfreichen Büchern, um die Kinder in Fragen der Geschlechtlichkeit aufzuklären. "Unsere Kinder wissen, dass wir uns an der Sexualität freuen und sie gemeinsam geniessen", erzählt Heinrich Kaufmann. Die Intimität bleibt dabei gewahrt, ohne sie zu verheimlichen. Offen sprechen die Ehepartner auch über ihre sexuellen Wünsche und Bedürfnisse. Dabei gilt für sie als Faustregel: "Alles ist erlaubt, was der andere möchte und kann. Doch nichts darf erzwungen werden." Schliesslich wolle man Spass daran haben und auch hier den anderen zur Entfaltung bringen.

Intimsphäre der Kinder

Sollte es trotz der bewussten Auswahl aus dem Fernsehprogramm Bettszenen zu sehen geben, spricht man im Hause Kaufmann mit den Kindern darüber. "Sie spüren, dass da manches nicht der Realität entspricht. Ausserdem erleben sie, dass wir als Eltern fein und sauber darüber reden und es ebenso leben", berichtet der Familienvater. Filme, die Sexualität in abartiger Weise zeigen, gucken die Kaufmanns nicht. Mit fortschreitendem Alter ihrer Kinder möchten sie auch deren Intimsphäre respektieren, wenn sie sich zurückziehen.

Belastende Gespräche

In der Beratungsarbeit fällt Heinrich Kaufmann auf, dass eine kritische Sexualität meistens Ausdruck einer Beziehungsstörung ist. Zwei Drittel seiner Beratungsgespräche gelten Ehen. Nur eine kleine Gruppe aber komme mit wirklichen sexuellen Störungen wie etwa Homosexualität zu ihm. In seiner Ausbildung bei Reinhold Ruthe hat der Seelsorger gelernt, offen und unverkrampft über Sexualität zu sprechen. Das sei ihm heute eine grosse Hilfe.
Belastende Gespräche greifen manchmal auch in die Familie hinein, wenn er erschöpft oder gereizt heimkommt. "Wenn ich merke, dass ich meinen Ärger in die Familie getragen haben, bitte ich meine Kinder um Vergebung für meine Gereiztheit. Das Gebet hilft mir sehr, Lasten abzulegen", erzählt der Seelsorger. "Doch manches ist so tragisch, dass man sich nicht so leicht davon lösen kann." Ausserdem nehme seine Sensibilität mit Lauf der Jahre zu. Dies sei ein Grund, weshalb er sich nicht vorstellen könne, bis zur Pensionierung in dieser Aufgabe zu stehen.

Datum: 27.03.2002
Autor: Detlev Holtgrefe
Quelle: Chrischona Magazin

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