Alt Bundesrat Samuel Schmid

«Das Gebet gehört zum Leben»

Mit der Präambel in der Bundesverfassung bekennen sich die Schweizerinnen und Schweizer zu ihren christlichen Wurzeln. Doch im Alltag wird der Glaube wenig gepflegt. Das stellt auch alt Bundesrat Samuel Schmid fest. idea sprach mit ihm über Werte.
Samuel Schmid
Gebet gehört zum Leben.
Schweizer Flagge (Symbolbild)

Samuel Schmid, was rührt Sie an einem 1. August zu Tränen?
Ich lebe stark in dem, was geschieht. Und da gibt es immer wieder rührende Momente. Ich kann mich an einen 1. August auf dem Rütli erinnern. Da waren rechtsextreme Chaoten im Hintergrund. Sie drohten, die ganze Feier zu sprengen. Ich liess mich bewusst nicht provozieren und hielt meine Rede. Es hatte viele ältere Leute dort, vor allem aber Familien mit Kindern. Das Ganze war eine Gratwanderung. Doch es ging alles gut. Am Schluss brachte mir eine Frau aus Dankbarkeit zwei selbst «glismeti» Socken. Das war so ein rührender Moment. Es berührt mich auch, wenn ich ein strahlendes Kind sehe, für das der 1. August zu einem prägenden Erlebnis wird. Ich bin in solchen Situationen schnell gerührt.

Brauchen wir einen neuen Schweizerpsalm?
Ich habe den Eindruck, es gehört zur Zeiterscheinung, dass man nicht mehr zur eigenen Hymne steht, weil sie nicht mehr modern genug sei. In meinem Alter ist es nicht mehr das höchste aller Gefühle, dass man überall modern sein soll. Man muss zu einer Hymne aus Überzeugung stehen können. Und ich stehe zu unserer Hymne.

Gehört eine Landeshymne in den Lehrplan unserer Volksschule?
Ja, ich meine, dass unsere Schüler die Landeshymne kennen und auch singen sollten. Wer traditionelle Lieder nicht mehr fleissig singt, verliert einen Teil unserer Kultur. Und die Hymne gehört zu unserer Kultur. Die Hymne sollte im Rucksack unserer Kinder sein, wenn sie die Schule verlassen.

Inbrünstig fordern wir die «freien Schweizer» mit unserer Landeshymne auf, zu beten. Wofür sollten wir beten?
Schauen Sie, das ist eine ganz persönliche Sache. Ich selber habe den Eindruck, dass es durchaus Grund gibt, um zu beten. Ich stelle fest, dass die Schweiz verunsichert ist. Und wenn man unsicher ist und Angst hat, dann ist es naheliegend, dass man ein Geländer sucht. Das Gebet kann ein solches Geländer sein. Ich selber wurde so erzogen, dass das Gebet zum Leben gehört.

Welchen Stellenwert hat das Gebet für Sie?
Für mich bedeutet es ein Darbringen von Dank, aber auch von Fragen. Man sucht in einer bestimmten Situation einen Weg, und man bekommt dann auf irgendeine Art auch eine Antwort von Gott. Manchmal besteht mein Gebet auch aus einer Fürbitte.

Wie haben Sie beten gelernt?
Das Gebet gehört doch zu den Elternpflichten. Bevor ein Kind schlafen geht, wird gebetet. Das haben meine Eltern so gemacht, das haben die Eltern meiner Frau so gemacht, das haben wir bei unsern Kindern so gemacht. Jetzt machen es unsere Kinder bei den Grosskindern so. Damit wird ein Pfad gelegt, der später hoffentlich im Religionsunterricht fortgesetzt wird. Es soll uns allerdings bewusst sein, dass das Gebet keine Spielerei ist. Das Gebet ist etwas Ernstes.

Was macht Ihnen Angst, wenn Sie an die Zukunft der Schweiz denken?
Ich möchte nicht von Angst reden. Aber mir gibt einiges zu denken. Zu denken gibt mir, dass unsere Zeit global überhaupt nicht sicherer geworden ist. Wir haben heute mehr Konflikte, als wir sie während des Kalten Krieges über lange Zeit hatten. Wir haben vor allem diffusere und damit auch schwerer fassbare Konflikte. Wir haben grosse Konflikte, die mit religiösen Auswüchsen zu tun haben. Ich sage ausdrücklich «Auswüchse», weil Religionen im Grundsatz nicht kriegerisch sind. Doch es gibt heute immer mehr Leute, die meinen, sie müssten im Namen ihrer Religion ihr Weltbild verwirklichen, und das mit einer Brutalität, die beängstigend ist.

Wie gingen Sie als Bundesrat mit solchen Bedrohungen um?
Ich habe etwa viereinhalb Jahre Militärdienst geleistet. Ich war überzeugter Milizoffizier. Später habe ich während acht Jahren das VBS geführt. Da habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, ob Waffen der richtige Weg seien, um die Freiheit zu verteidigen. Ich kam immer wieder zum Schluss, dass man auf drohende Gefahren entsprechend vorbereitet sein muss. Ich habe mich auch mit Karl Barth auseinandergesetzt. Er war ja weiss Gott kein Kriegshetzer. Doch in ihm fand ich jemanden, der ein Beispiel gegeben und meine Meinung gestützt hat. Er kam ja als Pazifist, von Hitler verjagt, in die Schweiz. Doch er ist dann während des Zweiten Weltkriegs in Basel der Ortswehr beigetreten. Auch der Pazifist Karl Barth hat einen Karabiner gefasst und dann für die Organisation «Haus und Herd» Vorträge gehalten. In einem dieser Vorträge sagte er, gegen das unmittelbar Böse könne man nur konsequent Antwort geben. Darum müssen wir auch heute gegenüber solchen Gefahren wachsam sein.

Gibt Ihnen auch die Islamisierung zu denken?
Mir gibt jede Form von Extremismus zu denken. Das ist bei den Islamisten der Fall, die ich aber nicht gleichsetze mit dem Islam. Wir haben auch in der Schweiz eine rechtsextreme und eine linksextreme Szene. In ihren Ansätzen sind sie nicht weniger zimperlich als andere Extremisten. Wenn ich an die Zukunft meiner Grosskinder denke, gibt es mir auch zu denken, wie sich unsere Welt klimatisch entwickelt. Auch bei der Migration gibt es Tendenzen, die uns dazu bewegen müssten, das Gemeinsame zu suchen und nicht die Differenzen zu bewirtschaften.

Kurienkardinal Kurt Koch, der ehemalige Bischof von Basel, bekräftigt es: Mehr Sorgen als die Islamisierung bereite ihm die Gleichgültigkeit der Christen und die Schwäche des Christentums. Warum entfernt sich unsere Gesellschaft so stark von ihren christlich-abendländischen Wurzeln und Werten?
In seiner Einschätzung hat Herr Koch nicht Unrecht. Oft sagen mir Leute, die Religion spreche sie einfach nicht mehr an. Wenn es ihnen dann aber nicht mehr gut geht, reden sie plötzlich anders. Es handelt sich hier wohl um eine typische Wohlstandskrankheit. Ich glaube nicht an eine absolute Entwurzelung vom Christentum. Aber wir erleben sicher eine mangelnde Pflege unseres Glaubens. Ich bin ja noch in Hilfswerken tätig, und da erlebe ich auch das andere. Es gibt noch viel Solidarität und auch Nächstenliebe. Aber das läuft halt nicht über die Kirche. Die Bibel selber lehrt uns mit dem Beispiel von Nikodemus, dass man nicht unbedingt in der vordersten Kirchenbank sitzen muss, um ein guter Christ zu sein.

Ist die Schweiz überhaupt noch ein christliches Land?
Das glaube ich schon. Sagt den Leuten einmal, wir wollten in unserm Land das Christentum abschaffen. Dann sehen Sie, was das auslöst! Ich war 1994 Präsident der Kommission für eine neue Berner Kantonsverfassung. Der Kanton Bern kannte nie eine Präambel «Im Namen Gottes» wie die Bundesverfassung. Man wollte an dem republikanischen Ansatz festhalten und verzichtete auf eine solche Präambel. Später war ich auch Präsident der Kommission, die sich mit der Präambel in der Bundesverfassung befasste. Damals haben wir uns für die heutige, sehr schöne Präambel entschieden. Wir bekennen uns auch heute eindeutig zu unsern christlichen Wurzeln.

«Im Namen Gottes des Allmächtigen»: Welchen Sinn macht eine Präambel noch, wenn sie von vielen Mitbürgern nicht mehr ernst genommen wird?
Das heisst doch noch lange nicht, dass wir jedem modernistischen Mainstream nachlaufen sollen! Ich bin überzeugt, dass diese Präambel Sinn macht. Was nachher in der Verfassung folgt, ist in allgemeiner Form in der Präambel vorgegeben. Die Präambel ist das Fundament, auf dem dann die verschiedenen Rechte und Pflichten aufgebaut sind. Wenn die Präambel und all die Rechte und Pflichten nicht mehr gelten, werden wir zum Willkürstaat.

Lesen Sie das ausführliche Gespräch in ideaSpektrum Nr. 30/31-15.

Zum Thema:
Spiritualität im Bundeshaus: «Auch ein Politiker sollte auf Gott hören»
1. August: Israel als wichtiges Thema am Nationalen Gebetstag in Bern
Ein Gebet voraus: Beten vor dem Bettag
«Esset, freie Schweizer, esset!»: Warum die alte Hymne modern ist

Datum: 27.07.2015
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung