Weizsäckers historische Rede

Boden für weitere Aussöhnung bereitet

Der ehemalige deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist am 31. Januar im Alter von 94 Jahren gestorben. Mit militärischen Ehren und Würdigungen seines politischen Lebenswerks hat Deutschland nun Abschied genommen. Dem Staatsakt am Mittwochvormittag im Berliner Dom ging ein evangelischer Trauergottesdienst voran. 
Richard von Weizsäcker im Jahre 1980
Richard von Weizsäcker 2009

Von Weizsäcker galt vielen als Ausnahmepersönlichkeit und wurde als Idealtyp des Präsidenten der Bundesrepublik angesehen. Auch in Berlin, wo er von 1981-1984 Regierender Bürgermeister war, sprach man mit Achtung, aber auch witzelnd von «König Richard» oder «Richi».

Damit verband sich Respekt, aber auch das Empfinden, dass von Weizsäcker durchaus auch kühl und wenig nahbar wirken konnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte den CDU-Politiker als einen Bundespräsidenten, der in seiner Amtszeit von 1984-1994 «Massstäbe gesetzt» habe. Seinen grossen Intellekt, seine Würde und die Fähigkeit zur klugen Rede habe er jahrzehntelang in den Dienst der Demokratie gestellt.

Die Kapitulation war eine Befreiung

Was aber machte die besondere Wirkung dieses Mannes aus? In keiner Würdigung fehlt der Hinweis auf seine Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands. Er hielt sie 1985 vor dem Deutschen Bundestag in Bonn. Dort sagte er: «Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.»

Wichtig war der Zeitpunkt

Warum aber haben diese Worte ein so grosses Echo ausgelöst, vor allem im Ausland? War das nicht eine Selbstverständlichkeit? Das war es nicht, als hier ein Vertreter des konservativen Deutschlands offen aussprach, dass die Niederlage im Zweiten Weltkrieg auch für die Deutschen ein Grund zur Dankbarkeit war. Bisher hatten viele Deutsche vom Krieg mit dem Hinweis auf Zerstörung, Leid und Schmach gesprochen.

War man sich in der Ablehnung des verbrecherischen Hitler-Regimes weithin einig, gab es mit dem Krieg eine ganz andere Frontlinie: die zwischen Deutschland und seinen Kriegsgegnern. Damit machte von Weizsäcker mit diesen wenigen Worten ein- für allemal Schluss. Altbundeskanzler Helmut Schmidt wies zu Recht darauf hin, dass die Worte seiner Rede auch deshalb diese starke Wirkung entfalten konnten, weil die Zeit dafür reif geworden war. Nicht so sehr der Inhalt, sondern der Zeitpunkt war also von entscheidender Bedeutung.

Schluss mit jeder Relativierung

Aber die Wirkung seiner Rede hat noch einen anderen Hintergrund: Weizsäcker hatte mit seinem Wort von der Befreiung jeder Relativierung des NS-Unrechts den Boden entzogen. Es gab von nun an keinen «Hinterausgang» mehr für diejenigen, die irgendeine Form von Loyalität gegenüber dem NS-System oder doch zumindest dem Vaterland gegenüber anführten, um ihr Tun oder ihre Haltung zu rechtfertigen.

Diese Haltung, die im erzwungenen Ende der Nazi-Herrschaft durch den verlorenen Krieg und die anschliessende Besatzung, nicht nur eine Schande, sondern auch etwas Gutes sehen konnte, machte es möglich, dass Deutsche von nun an glaubwürdiger Reue zeigen konnten. Das gilt wohl für jede Beziehung, in der es Vergebung braucht: Damit aufhören sich zu rechtfertigen oder auch nur zu erklären, um so mit ganzem Herzen den anderen um Vergebung bitten zu können.

Damit war der Boden für weitere Schritte der Vergebung und Aussöhnung mit den Ländern, die unter Krieg und deutscher Besatzung litten, bereitet. Auch wenn von Weizsäcker nicht ausdrücklich im Namen des deutschen Volkes um Vergebung für erlittenes Unrecht bat, drückte sein Auftreten als Bundespräsident eine Haltung der Verantwortung und des Bewusstseins für die Schuld der Deutschen aus. Das rechnete man ihm im Ausland hoch an.

«Schiessen wir erst einmal alle»

Die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff Gräfin war es, die mit Hinweis auf den Bericht eines Offiziers folgende Begebenheit schildert: Weizsäcker soll vor Leningrad mit jungen Offizieren zusammengesessen haben. Bei einem Streit sei einer der Offiziere aufgestanden und habe auf ein Bild von Hitler geschossen. Die Tat hätte das Todesurteil für den Schützen bedeutet. Weizsäckers Reaktion darauf: «Ehe wir darüber nachdenken, was man jetzt tun kann, schiessen wir erst mal alle drauf, damit es nicht nur einer gewesen ist.» Nachdem er als erster auf das Bild geschossen hatte, schossen auch die anderen

Christliche Verantwortung war ihm wichtig

Weizsäcker war ein gläubiger Protestant. Dennoch liess er sich in der Öffentlichkeit auf seinen Glauben zuweilen ungern ansprechen. Die Fernsehjournalistin Sandra Maischberger versuchte ihn einmal vor der Kamera zu Äusserungen über seine Glauben zu bewegen. Weizsäcker weigerte sich beharrlich. Es schien, als sei dieser Bereich für ihn etwas Privates, über das er partout nicht reden will.

Als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages (1964-1970) stand von Weizsäcker für den Pluralismus des deutschen Protestantismus. So konnte er für evangelikale Christen kaum zu einer Identifikationsfigur werden. Gegenüber einem Mitarbeiter sagte er einmal, dass der Kirchentag seine eigentliche politische Heimat sei und nicht die CDU. Zudem war er von 1967 bis 1984 Mitglied der Synode und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Zur Freiheit berufen

In einem Interview sprach er über sein Selbstverständnis als christlicher Politiker nur in einer denkbar allgemeinen Form, die geradezu gedrechselt formuliert wirkt, als er sagte: «Die Besinnung auf christliche Verantwortung in der Welt ist für mich doch sehr prägend gewesen - auch für alles, was ich in der Politik getan habe.»

Zum Trauergottesdienst für von Weizsäcker im Berliner Dom sprach der evangelische Altbischof Martin Kruse. Er erinnerte an die Rede, die von Weizsäcker am Sonntag nach der Maueröffnung im November 1989 in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hielt. Der damalige Bundespräsident zitierte den Apostel Paulus kurz nach der Maueröffnung: «Ihr seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr die Freiheit nicht gebraucht euch selbst zu leben, sondern durch die Liebe diene einer dem anderen.» Das sei der Kompass gewesen, so Kruse, von dem der Altbundespräsident geleitet worden sei.

Datum: 12.02.2015
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet

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