Reinhard Höppner aus Sachsen-Anhalt

Ein Ministerpräsident bekennt seinen Glauben

Reinhard Höppner, SPD, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt

Warum ich Christ bin? Das sage ich lieber ganz praktisch und an Beispielen, weil ich sonst viel zu schnell Gefahr laufe, die Formeln aufzusagen, die den einen wohl vertraut sind, die aber die meisten nicht mehr verstehen. Es gibt, um es kurz zu sagen, nichts, woraus ich mehr fürs Leben gelernt hätte als aus der Botschaft der Bibel.


Bei der Geschichte vom Propheten Jona im Alten Testament zum Beispiel habe ich gelernt, dass man vor einer Aufgabe nicht wegläuft. Du bleibst, wo Gott dich hingestellt hat. Das war auch die Maxime meines Vaters. Also hiess das auch: Bleiben in der DDR. Und so habe ich Christsein in der DDR praktiziert. Es ging. Ich habe Gottes treue Begleitung erfahren - ein reiches Leben.

Aus der Bibel wusste ich, dass man nach der Befreiung aus der Sklaverei nicht im gelobten Land ankommt, sondern eine Wüstenwanderung vor sich hat. Das ist die Urerfahrung des Volkes Israel. Da sehnt man sich auch zurück nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ und tanzt um das Goldene Kalb. Das Wissen um diese Urerfahrungen auf dem langen Weg in die Freiheit hat mir, ausgehend von unseren Friedensgebeten, nach 1990 auf dem Weg in die westliche Demokratie und ihre freie Gesellschaft viele Enttäuschungen erspart.

Bei Jesus habe ich gelernt, dass jeder die Chance zu einem Neuanfang hat, selbst die Zöllner, diese Handlanger der Unterdrückungsmacht. Also habe ich mir verboten, die Menschen einfach auf ihre Vergangenheit festzunageln. Akten der Vergangenheit, insbesondere die aus den Stasi-Archiven, eignen sich besser als Spiegel denn als Schwert. Aussenstehende sollten sich ohnehin an den Satz erinnern: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“

Mich fasziniert immer wieder Gottes Art, die Welt zu verändern. Nicht von oben, nicht mit den Chefs, den scheinbar Mächtigen. Die kleinen Leute kriegen zuerst mit, worauf es ankommt. Macht von unten verändert die Welt. Das haben wir ja auch 1989 bei dem Fall der Mauer erlebt. Da sieht man auch, dass Christ und Sozialdemokrat gut zusammenpassen: Politik für die kleinen Leute.

Von Gott weiss ich, dass er auch, wie Gollwitzer gesagt hat, auf krummen Zeilen gerade schreibt, oder anders mit Bonhoeffer, dass er auch aus unseren Fehlern und vermeintlichen Guttaten noch etwas Gutes erwachsen lassen kann. Das verleitet nicht zu verantwortungslosem Handeln, macht aber Mut zur Entscheidung auch oder gerade in schwierigen Situationen. Es tut schon gut, von diesem gnädigen Gott zu wissen und auf seine über unsere Perspektiven unendlich hinausreichende Weitsicht bauen zu können.

Und als Lutheraner weiss ich: Durch eigene Leistung kann man nicht selig werden. Selig, glücklich wird man allein aus Gnade. Ein Gottesgeschenk. Wer das weiss, muss seine eigene Karriere nicht zu wichtig nehmen, hat es nicht nötig, sich auf dem Markt der Eitelkeiten zu tummeln, der muss nicht an seinem Sessel kleben. Der weiss: Macht und Einfluss hat man vor allem, um die Aufgaben zu lösen, die einem übertragen wurden. Übrigens, wer weiss, dass man durch eigene Leistung nicht selig werden kann, dem ist auch bewusst, dass der Sinn des Lebens mehr ist als bezahlte Arbeit. Das werden wir alle in der sich rasant verändernden Arbeitswelt noch lernen müssen.

Und was bleibt zum Schluss, am Ende der Karriere oder am Ende des Lebens? Ich kenne zu viele Menschen, die am Ende das Gefühl hatten, keiner hat einem die vielen Mühen gedankt. Da ist es schon wichtig zu wissen, dass die endgültige Abrechnung nicht in dieser Welt kommt. Schaut man sich die Biografie von Jesus an, am Ende als Verbrecher hingerichtet, dann ist klar, Jesus war ein Verlierertyp. Und trotzdem haben die Engel zu Weihnachten vom „Heiland der Welt“ gesungen. Scheinbar erfolglos und doch lebensnotwendig. Das ist grosse Hoffnung ohne Illusion.

Warum ich Christ bin? Ich weiss gar nicht, wie ich ohne diese vielen Lebenshilfen, von denen ich in der Bibel immer wieder neue entdecke, eigentlich leben sollte. Und ich wüsste schon gar nicht, wie ich in der rauen Welt der Politik einigermassen menschlich überleben könnte. Ich wundere mich eher darüber, wie viele meinen, ohne die Bibel, diese Fundgrube menschlicher Erfahrungen mit Gott, auskommen zu können.

Gut, das ist ihre Sache. Meine ist es, fröhlich aus dieser Quelle zu leben. Es könnte ja auch sein, dass der eine oder andere doch neugierig wird und einmal reinschaut in dieses schöne Buch. Dann wünsche ich ihm allerdings Menschen an der Seite, die ihm helfen, den Schatz aus dieser uns inzwischen fremden Welt zu erschliessen. Davon gibt es leider zu wenig, wie Jesus schon damals prognostiziert hat. Nicht aufgeben! Weiter suchen! „Suchet, so werdet ihr finden!“ Vielleicht findet sich die Orientierungshilfe ja an einer ganz anderen Stelle als erwartet. Dann wäre es wie bei den Weisen aus dem Morgenland, die in Jerusalem, dem Zentrum der Macht, suchten und schliesslich die neue Schlüsselfigur der Weltgeschichte in einem Stall in Bethlehem fanden.

Christen sind nicht besser als andere Menschen. Aber sie haben es besser mit Gottes treuer Begleitung. Und da bin ich gerne mit dabei.

Datum: 03.05.2002
Autor: Reinhard Höppner
Quelle: Archiv

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