Unser Grosser Führer Kim Il Sung

"Ich war ein zu verabscheuendes Ungeheuer"

Kim Hyun Hee hat 115 Menschen auf dem Gewissen.

Kim Hyun Hee wird am 27. Januar 1962 geboren. Ihr Vater bekleidet ein hohes Amt im Aussenministerium. Obwohl sie in einer heilen Familie und in einer für Nordkorea privilegierten Lage aufwächst, beschreibt sie im Rückblick ihre Kindheit und Jugend mit harten Worten: "Wenn ich an die Millionen Babys denke, die jedes Jahr in Nordkorea geboren werden, werde ich von einer unglaublichen Wut gepackt. Jedem Kind wurde und wird genau das gleiche beigebracht wie mir, und jedes einzelne wird die gleichen Lügen glauben."

Da ihr Vater an die Botschaft Nordkoreas in Kuba berufen wird, verbringt sie dort ihre frühe Kindheit. Diese Zeit ist für sie ein "einziger wunderschöner Traum vom Glück", da die wirtschaftliche Situation auf der Zuckerinsel in der Karibik so viel besser und die politische Freiheit soviel grösser ist als in ihrer Heimat.

Doch selbst dort werden ihr die Lehren des nordkoreanischen Diktators Kim Il Sung (1912-1994) eingeimpft: "Die ersten Worte, die wir lernten, waren 'Danke Kim Il Sung, Unser Grosser Führer'". Nach fünf Jahren in Havanna kehrt die Familie in die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang zurück. Die sechsjährige Kim besucht die Grundschule. Die Hälfte des Unterrichts besteht aus der ideologischen Ausbildung. Das Regime setzt bereits die Kinder zur Kontrolle der Bevölkerung ein.

Als der Diktator anordnet, dass Frauen im Sommer keine Hosen mehr tragen dürfen, patrouillieren Kinder die Strassen und melden alle Verstösse. Nach dem Ende ihrer Schulzeit muss Kim eine sechsmonatige militärische Ausbildung mitmachen. Da Frauen als "gleichwertig" betrachtet werden, müssen sie das gleiche rigorose Training durchlaufen wie Männer. Am Ende ihrer Dienstzeit marschieren sie 30 Kilometer am Stück mit 30 Kilogramm Gepäck, können alle Waffen bedienen.

Danach studiert die junge Frau Japanisch am Fremdsprachenkolleg in Pjöngjang. Die Wochenenden verbringen die Studenten als Aushilfsarbeiter in den Kohlebergwerken; ausserdem müssen sie immer wieder an Revolutionsmärschen teilnehmen: "Wenn ich zurückblicke, frage ich mich zuweilen, wann ich eigentlich Zeit fand zu schlafen."

Weil sie schön, intelligent und linientreu ist, wird Kim Hyun Hee mit 19 Jahren vom Geheimdienst rekrutiert. Sofort nach ihrer Anwerbung muss sie packen und sich von ihrer Familie verabschieden. Ihre Eltern sind geschockt, versuchen jedoch, ihre Gefühle zu verbergen.

Die nächsten Jahre verbringt die junge Frau in einem Ausbildungslager: "Selbst das rigorose Arbeitspensum in der Armee hatte nicht ausgereicht, um mich vor dem zu warnen, was uns hier bevorstand. Wir wurden bis zur völligen Ermüdung getrieben, an die Grenzen dessen, was unser Körper und unser Geist verkraften konnten." Ihre Familie darf sie in dieser Zeit nur selten besuchen, denn es gehört nicht zur patriotischen Pflicht, sich seiner Verwandtschaft übermässig nahe zu fühlen. "Liebe", so Kim, "war leider kein Bestandteil des nationalen Parteiprogramms Kim Il Sungs."

Nach drei Jahren besteht sie die harte Abschlussprüfung mit einer der höchsten Punktzahlen, die bisher vergeben wurden. Danach bekommt sie zwei wichtige Aufträge, die als Test für ihre Eignung als internationale Agentin gedacht sind. Dabei soll sie zahlreiche europäische und asiatische Städte bereisen. Die junge Nordkoreanerin ist beeindruckt von dem Reichtum und der Sauberkeit dieser Länder: "Aber aus voller Überzeugung hielt ich trotz alledem an dem in mir tief verwurzelten Glauben fest, dass die europäischen Städte korrupt, dekadent und minderwertig seien." Schliesslich bekommt die Geheimdienstagentin im Herbst 1987 ihren wichtigsten Auftrag. Er stammt direkt vom Sohn des inzwischen verstorbenen nordkoreanischen Diktators Kim Il Sung.

Ziel des Terroraktes ist es, die 1988 bevorstehenden Olympischen Spiele in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul zu verhindern. Kim hat Angst, aber sie sagt dennoch: "Ich muss zugeben, dass ich keinen Moment lang an die moralische Seite dachte." Weil sie mit diesem Auftrag ihrem Land den "grösstmöglichen Dienst" erweisen wird, sind die versprochenen Belohnungen gross: Sie soll sich als Heldin zur Ruhe setzen können, jeden Luxus geniessen und vor allem zu ihrer Familie zurückkehren können. Kim ist begeistert: "Ich fühlte mich unbeschreiblich stolz und geehrt, von Unserem Lieben Führer für eine solche Mission ausgewählt worden zu sein."

Gemeinsam mit dem 70jährigen Spezialagenten Kim Seung Il macht sie sich im November 1987 auf den Weg. Die beiden reisen getarnt als japanische Touristen. In Bagdad übergibt ihnen ein anderes Agententeam den Sprengstoff. Dort ist bereits das "Zielobjekt" gelandet, eine Maschine der südkoreanischen Fluggesellschaft "Korean Airlines", Flug 858. Zwanzig Minuten bevor die beiden nordkoreanischen Agenten an Bord der Maschine müssen, stellt Kim Hyun Hee den Zeitzünder der Bombe ein: "In diesem Augenblick fühlte ich weder Schuld noch Reue für das, was ich tat." Die beiden Agenten können die Bombe unbemerkt an Bord der südkoreanischen Maschine schmuggeln.

Während des Fluges überkommt die 26jährige ein Anflug von Mitgefühl mit den Mitreisenden, "obwohl sie nur 'Süd'koreaner waren". Beim Zwischenstop in Abu Dhabi am Persischen Golf verlassen die beiden Geheimdienstleute das Flugzeug: "Meine Beine zitterten beim Aussteigen. Ich war dennoch unglaublich erleichtert." Die Maschine macht sich mit der Zeitbombe an Bord auf den Weg nach Seoul. Auf diesem Flug explodiert der Sprengkörper. Keiner der 115 Insassen überlebt das Attentat.

In Abu Dhabi beginnen die Probleme für die nordkoreanischen Attentäter: Die dortigen Sicherheitsbeamten schöpfen Verdacht und halten die beiden "japanischen Touristen" auf. Zwar können sie zunächst weiter nach Bahrain fliegen, bevor sie jedoch weiter nach Rom aufbrechen, bemerken Sicherheitsbeamte, dass die Pässe der beiden Nordkoreaner gefälscht sind. Sie werden festgenommen.

Beide Agenten wissen, wie sie sich jetzt verhalten sollen. Für den Fall, dass sie enttarnt werden, haben sie vor ihrem Abflug Zigaretten mit verborgenen Zyankalikapseln zum Selbstmord erhalten. Kim Hyun Hee und ihrem Kollegen gelingt es, während des Verhörs auf die Kapseln zu beissen: "Die getreue Tochter Kim Il Sungs, die jahrelang wie ein Hund zum Gehorsam abgerichtet worden war, starb in diesem Moment." Wider Erwarten überlebt Kim den befohlenen Selbstmordversuch.

Ihr Partner kann nicht gerettet werden. Nachdem sie in einem Krankenhaus in Bahrain gesund gepflegt worden ist, bringen südkoreanische Agenten sie nach Seoul, um sie vor Gericht zu stellen. Während der ständigen Verhöre in Bahrain verrät die Agentin nichts. Auch in Seoul bleibt sie zunächst standhaft: "Mit aller Raffinesse log ich, um Unserem Grossem Führer treu zu bleiben." Doch ihre Widerstandskraft ist erlahmt. Es ist die Stadt Seoul, die ihren letzten Widerstand bricht: "Ich war in dem Glauben aufgewachsen, Südkoreaner seien notleidende Marionetten eines rücksichtslosen kapitalistischen Regimes. Aber ich war wiedergeboren. Das Kind, das als Jüngerin Kim Il Sungs aufgewachsen war, war im Flughafen von Bahrain gestorben. Langsam nahm eine andere Person ihren Platz ein. Und Seoul - mehr als alles andere - brachte dieses neue Kind zur Welt."

Kim Hyun Hee gesteht den Bombenanschlag. Und sie beginnt zu bereuen: "Als ich zu meiner Mission entsandt worden war, hatte man mir erklärt, ich würde meinem Land den grösstmöglichen Dienst erweisen. Kritiklos hatte ich an Unseren Grossen Führer Kim Il Sung als den Erretter Nordkoreas geglaubt. Doch nun wusste ich, wie unglaublich naiv es gewesen war, Derartiges anzunehmen. Ich war keine Volksheldin geworden, wie sie es mir versprochen hatten. Statt dessen war ich eine Kreatur, weniger wert als ein Mensch, ich war wertlos, ein verabscheuungswürdiges Ungeheuer."

Noch eine "Wiedergeburt" erlebt die nordkoreanische Terroristin während ihrer Haftzeit. Ihre Bewacher sind Christen. Sie geben der jungen Frau eine Bibel. Als sie beginnt, darin zu lesen, ist sie "überrascht und tief gerührt". Schliesslich kommt sie zu dem Vers aus Römer 5: "Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." Kim Hyun Hee beginnt zu weinen, "weil mir auf einmal klar wurde, dass Jesus aus Liebe für meine Sünde ans Kreuz ging".

Ein südkoreanisches Gericht verurteilt sie zum Tod. Während sie auf die Hinrichtung wartet, betet sie um eine Chance zu leben, damit sie anderen dienen kann. Kim Hyun Hee bekommt diese Chance: Sie wird im Frühjahr 1990 vom damaligen südkoreanischen Staatschef Roh Tae-Woo begnadigt. Kim: "Es war ein unverdienter Akt, ebenso wie das neue geistliche Leben, das Gott mir trotz meiner tiefen Sünde geschenkt hat. Ihm möchte ich als ein neuer Mensch dienen. Ich will alles tun, um die Familien zu trösten, die ihre Angehörigen durch mich verloren haben. Und ich möchte Menschen zu Gott führen, damit sie seine grossen Taten selbst kennenlernen."
Frederic KenyonFrederic Kenyon

Datum: 12.09.2002
Quelle: idea Deutschland

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