Christival: 25000 Besucher bei Schlussgottesdienst

Christival
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Kassel. Junge Christen sollten sich verstärkt in Kirche und Gesellschaft engagieren. “Dein Einsatz lohnt sich, denn Jesus gehört die Zukunft”, sagte der Vorsitzende des christlichen Jugendkongresses “Christival”, Roland Werner (Marburg), beim Abschlussgottesdienst vor 25.000 Zuhörern im Kasseler Aue-Stadion.

Vom 2. bis 6. Oktober hatten mehr als 20.000 Dauerteilnehmer und rund 5.000 Tagesgäste an dem Kongress teilgenommen. Das Christival hat laut Werner gezeigt, dass Jugendliche nach Orientierung suchen und nach dem Glauben fragen. “Als Kirchen müssen wir Antwort auf die Frage nach Jesus geben”, sagte er. Zufrieden zeigte sich Werner mit der Besucherzahl. Zwar seien vor sechs Jahren in Dresden mit 30.000 Teilnehmern deutlich mehr Menschen dabeigewesen, aber eine solche Menge wäre in Kassel logistisch gar nicht zu verkraften gewesen. Berücksichtigen müsse man auch, dass sich die geburtenschwachen Jahrgänge zunehmend negativ niederschlagen würden.

Das erste Christival fand 1976 in Essen mit 12.000 Teilnehmern statt, 1988 folgte Nürnberg mit 18.000. Künftig wird nach Werners Ansicht das verstärkte Zusammenwirken verschiedener Konfessionen für die überregionale Jugendarbeit wichtig sein: “Wir können unterschiedlich denken und trotzdem zusammen glauben.” Ob und wann ein nächstes Christival stattfindet, sei noch nicht entschieden. “Das ist eine Finanz- und Kraftfrage”, so Werner. Etwa die Hälfte der drei Millionen Euro, die das Kasseler Christival kostete, wird durch Spenden, Sponsoren und Zuschüssen von Kirchen und Gemeinden gedeckt, die andere Hälfte durch Teilnehmerbeiträge. Organisiert wurde der Kongress überwiegend ehrenamtlich von Pastoren, Missionaren und Jugendreferenten aus Landes- und Freikirchen sowie christlichen Werken.

“Gruss in die Stadt”

Während des Kongresses überbrachten 8.000 junge Christen einen “Gruss in die Stadt”. Sie zogen mit einer aktuellen Ausgabe der Christival-Zeitung, einem Buch mit Bibelteilen sowie einem Film über das Leben Jesu durch die Wohnviertel in Kassel und Baunatal. “Die Jugendlichen sind auf eine weitgehend positive Resonanz gestossen”, so Prill. Mit einer Aktion “Saubere Umwelt” setzten andere Jugendgruppen ökologische Akzente an zwei Orten. Am Wale- und am Hesebach sammelten Christivaller über 40 Säcke Müll. Auch Einsätze in Altenheimen und Krankenhäusern stiessen in der Stadt auf ein positives Echo.

Christsein und Menschenrechte

Im Forum “Christen fragen Politiker” betonte der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe (CDU), das konsequente Eintreten für Menschenrechte sei ein zutiefst christliches Thema. Angefangen vom Recht auf Freiheit und Leben in den Jahren der Berliner Mauer bis hin zu Fragen der Abtreibung und der Embryonenforschung seien Menschenrechte unteilbar: “Da darf die CDU ihre Koordinaten nicht verschieben." Bei einem Gottesdienst in der Kasseler Martinskirche warb Steffen Reiche (SPD), Minister für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg, bei seinen jungen Zuhörern dafür, auch im Alltag als Christen zu leben: “Jesus Christus provoziert durchaus, bringt die Menschen aber auch zu einem neuen, veränderten Leben.”

Reportage

„Die Intensität, mit der die jungen Besucher ihren Glauben leben, wird viele befremden”

Etwas ist hier anders. Mehr als 1.000 Leute sind in der Kasseler Disko “Spot”, aber es wird nicht getanzt. Stattdessen steht Taade Voss auf der Bühne und sagt: “Jeder, der Bock hat mitzubeten, kann das jetzt tun.” Der junge Mann, der da so unbekümmert Gott anruft, ist ein Prediger der Gemeinde der “Jesus Freaks”. Vor ihm steht ein aus Bierkästen zusammengebautes Pult, das er aber gar nicht braucht, weil er während seiner mit Musik unterlegten Ansprache auf der Bühne ständig hin und her läuft. Er predigt über den Satz: “Ich bin der gute Hirte” und sagt: “Jesus nennt uns Schafe. Ich finde das uncool. Schafe fressen und kacken und stehen blöd rum. Ich möchte gerne was anderes sein.” Aber ohne Hirte ginge es auch nicht, sagt Taade Voss, schliesslich habe jeder einen Gott. “Aber der Sex-Gott, der Geld-Gott und der Politik-Gott können dir nicht helfen, wenn es dir mal Scheisse geht.” Voss wünscht sich, dass Deutschland “jesusmässig auf den Kopf gestellt wird”. “Vertrau dein Leben Jesus an”, sagt er, betet noch mal und dann wird getanzt.

Störung, die Spass macht

Das Christival ist eine grosse Party, bei der fünf Tage lang gefeiert und gebetet wird. Fünf Bühnen stehen im Stadtzentrum, die grösste auf dem Königsplatz. Dort drängen sich beim Eröffnungsgottesdienst 20.000 Menschen. Die Strassenbahn, die sonst quer über den Platz fährt, rollt längst nicht mehr. Kein Durchkommen. Während des Gottesdienstes ertönt alle zwanzig Minuten eine Stimme aus den Lautsprechern der Kasseler Verkehrsgesellschaft. Wegen einer Betriebsstörung sei der Verkehr vorübergehend eingestellt, meldet der Sprecher. Das Christival als Betriebsstörung. Eine Störung, die Spass macht. Die Teilnehmer wippen und springen, klatschen, jubeln und recken die Arme über den Kopf. Viele singen mit.

Multimediale Evangelisten

Auf einer Riesenleinwand werden Ausschnitte aus dem Jesus-Film gezeigt. Jesus, wie er gerichtet wird, wie er sein Kreuz nach Golgatha tragen muss, wie er angenagelt und gekreuzigt wird. Schnelle Schnitte. Die aufgeputschte Masse, marschierende Soldaten. Jesus, wie er leidet, wie er betet, wie er stirbt. Dann stehen plötzlich Menschen auf den Balkonen der Häuser am Königsplatz, hoch über den Köpfen der Zuschauer. Lazarus berichtet, wie Jesus ihn von den Toten auferweckte. Maria, die Mutter von Jesus, sagt, dass der Stein von Jesu Grab verschoben und der Leichnam verschwunden ist. Zwei Jünger erzählen, wie Jesus sich ihnen nach seiner Auferstehung zeigte und mit ihnen Abendmahl feierte. Der ganze Platz ist zu einer Theaterbühne geworden, zu einem grossen aufgeklappten Bilderbuch. Die Christival-Organisatoren sind multimediale Evangelisten, die die Sprache der MTV-Generation sprechen. Das Christival ist mitten in der Stadt.

514 Angebote

Nicht nur Bahnhof und Plätze, selbst das Kasseler Stadtbad wird fromm. Auch hier wurde eine Bühne aufgebaut. Die meisten Zuhörer sitzen 25 Meter davon entfernt - am anderen Ende des Beckens und planschen mit den Beinen im Wasser. Nach Showprogramm und Predigt können dann alle reinspringen und zu Diskomusik schwimmen. Schwer erkämpfen muss man sich die Seminare in den Fakultäten der Kasseler Universität. Die Teilnehmer müssen die richtige Diagonale auf dem Campus wählen und in den Häusern verschlungene Gänge und Treppen gehen, um zu den Veranstaltungen zu gelangen. Belohnt werden sie mit Referaten und Diskussionen zu allen Lebenslagen. Soll ich Theologie studieren oder eine Bibelschule besuchen? Wie gehe ich mit Homosexualität um? Wie erreiche ich Moslems und Russlanddeutsche? Warum lohnt es sich, zu heiraten? Die Auswahl fällt schwer, denn 514 Angebote sind im Programm. Am häufigsten sind die Seminare, die helfen, vom Glauben zu erzählen.

Jesus-Woche statt Kirchentag

Viel hat sich gegenüber dem Christival in Dresden 1996 geändert: Es gibt deutlich mehr Sponsoren, mehr Musik, mehr Grossbildschirme für Übertragungen, mehr Foren. Mehr Hiphop, Rap und Rock statt sanfter Andachtsmusik. Alles ist schneller, lauter, schriller. Eine Generation, die Kino-, Internet- und Multimediagottesdienste mag. In den Pausen holen viele das Handy aus dem Rucksack, telefonieren mit Freunden, verschicken Meldungen. In Dresden war das kaum möglich, Handys waren noch die Ausnahme. Vieles hat sich geändert, eines allerdings ist geblieben. Die Liebe zu Jesus. Das Christival ist ein Wunder. Es ist kein Kirchentag, sondern eine “Jesus-Woche”, in der jeder reich beschenkt wird. Von Predigern, die glauben, was sie sagen. Von Künstlern, die mehrfach täglich auftreten und auf Gage verzichten. Von Seminarleitern, die wissen, wie das Leben mit Gott gelingen kann. Und von 4.000 Ehrenamtlichen, die die Anmeldung organisieren, Brote schmieren, Bühnen und Zelte aufbauen, Müll wegräumen, Seelsorge anbieten und deshalb das Christival selbst kaum miterleben können.

8000 machten Besuche

Auch die Einwohner Kassels bekommen etwas vom Christival. Mit einem “Gruss in die Stadt” soll ihnen eine Sonderausgabe der Christival-Zeitung überreicht werden, zusammen mit dem Jesus-Video und einem Buch mit Auszügen aus dem Neuen Testament. Mehr als 8.000 Teilnehmer überbringen die Geschenke, darunter die Schülerinnen Jana Plutschinski und Julia Bender, die mit der Jugendgruppe ihrer Uelzener Gemeinde am Christival teilnehmen. 28 Adressen in der Innenstadt haben sie zugeteilt bekommen und nehmen mutig die ungewöhnliche Aufgabe in Angriff. “Vertreter unerwünscht”, steht an einer Wohnungstür. “Wir sind keine Vertreter”, entscheiden die beiden Mädchen und klingeln. Die meisten Leute sind skeptisch, auch wenn das Angebot kostenlos ist.

Nachtschicht

Der Christival-Tag ist lang. Noch um 22 Uhr beginnen Nachtgottesdienste und Konzerte. Die Quartiere schliessen erst um ein Uhr morgens. Und schon vor sieben klingeln in Schulen und Turnhallen die ersten Wecker. Warteschlangen vor Duschen und Toiletten und beim Frühstück. Mit Bussen und Strassenbahnen geht es dann zu den Bibelfesten im benachbarten Baunatal, den Kasseler Kirchen oder zu den Messehallen. Jedesmal gibt es eine Predigt, dazu Musik, Tanz, Theater und Gespräche.

Ein Pfad der Freundschaft

Eine Premiere erlebt der Bibelparcours. Der Erlebnispark bietet eine Zeitreise durch die Bibel und ist so gross, dass er gleich zwei Messehallen braucht. Der Bibelparcours ist ein Ort zum Nachdenken und Entspannen. Das wollen offenbar viele. Obwohl stündlich bis zu 400 Menschen mitmachen können, muss der Parcours wegen Überfüllung zeitweise sogar geschlossen werden. Wer den ganzen Tag von Christen umgeben ist, der wird verändert. “Es ist gut zu sehen, wie viele Christen es eigentlich gibt”, sagt Debi Binner, 16 Jahre, die mit ihrer Jugendgruppe zum Christival gekommen ist. Auch Schüler Hauke Wolter, 17 Jahre, ist überrascht: “Ich hätte nicht gedacht, dass es ein so modernes Festival ist.”

Unangenehme Seelsorge

Nicht für jeden ist das Christival nur ein Ort zum Feiern. Manche bedrückt ihr schlechtes Verhältnis zu den Eltern, Versagensängste oder sie sind von einer Schuld belastet. Deshalb wurden die Seelsorge-Treffpunkte eingerichtet. Bei jedem grossen Konzert, Bibelfest und Festival stehen Seelsorger bereit, um mit Teilnehmern zu sprechen. Am ersten Tag sind die Räume fast völlig leer, einige Helfer sind enttäuscht, weil sie so wenig zu tun haben. “Seelsorge ist für viele unangenehm”, erklärt Jürgen Vogels, der in Baunatal das Seelsorge-Zelt leitet. Es koste Überwindung, sich darauf einzulassen. Manche Teilnehmer würden sich schon zu Hause vornehmen, beim Christival zur Seelsorge zu gehen, die meisten aber merken erst bei einer Verkündigung, dass sie in ihrem Leben etwas verändern müssen, und kommen dann spontan zum Gespräch. Viele nutzen es zur Beichte, verschieben das Gespräch aber so lange wie möglich und gehen dann erst kurz vor der Abreise zur Seelsorge. Am letzten Tag sind alle Seelsorger beschäftigt, einige Besucher müssen sogar abgewiesen werden.

Konservativ und fanatisch?

Die Predigt der Abschlussfeier hält der britische Missionar John John. Das Predigen muss er sich von Jesus abgeschaut haben. Er redet in Bildern und Gleichnissen. “Lass Jesus in deinem Lebens-Auto fahren!”, sagt er. “Verstecke ihn nicht im Kofferraum, wo ihn keiner sieht. Lass ihn nicht unbemerkt auf dem Rücksitz mitfahren und auch nicht als Beifahrer. Jesus gehört ans Steuer deines Lebens! Und wenn du ihn dein Auto fahren lässt, rede ihm beim Fahren nicht dazwischen. Lass ihn entscheiden, wo ihr langfahrt!” Nicht jedem gefällt diese Botschaft. Das Christival sei “allen modernen Ausdrucksformen zum Trotz ein betont konservativer, mitunter fanatischer Ausschnitt im Spektrum des Glaubens. Die Intensität, mit der die jungen Besucher ihren Glauben leben, wird viele befremden”, schreibt ein Redakteur der Hessischen Allgemeinen. Ein schöneres Lob kann sich John John gar nicht vorstellen. “Es ist ein Privileg, ein Fanatiker für Jesus genannt zu werden”, sagt er.

Datum: 09.10.2002
Quelle: idea Deutschland

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