Himmlische Kunst

Das Kunstwerk „Moritz“ von Samuel Inauen.
„Wenn der Mensch das schönste und wertvollste Kunstwerk ist, muss sein Schöpfer auch der grösste Künstler sein“: Samuel Inauen.
„Carezia“ heisst diese Figur – das ist rätoromanisch und bedeutet „Liebe“.
Das Kunstwerk „Pia“.

Noch nicht lange her, da waren Kunst und christliches Gedankengut nicht zu vereinen. Heute sieht das anders aus. Das Portrait eines jungen Bündner Künstlers auf dem Weg nach ganz oben.

Wer Samuel Inauen begegnet, bemerkt sein sympathisches Auftreten, die zurückhaltende Äusserungen und die wachen, blitzenden Augen. „Introvertiert“ wäre das Schlagwort des Eindrucks der ersten Minuten. Liest man sich durch seinen Lebenslauf, dann zeichnet sich jedoch ein völlig anderes Bild. Kein

Da entdeckt man einen Samuel, der mit Entdeckergeist und Träumen auf Reisen geht, der so ziemlich jedes Musikinstrument spielt, dass man mit zwei Händen und zwei Füssen bedienen kann und der einen Blick für das Wertvolle an Dingen hat, die andere Menschen achtlos wegschmeissen. Aus alten, verrosteten Materialien schweisst er Skulpturen und Tiere zusammen, die Charakter und ein Eigenleben ausstrahlen. Dynamik pulsiert in den metallischen Herzen.

Livenet.ch: Wie würdest du dich charakterisieren?
Samuel Inauen: Ich bin schon eher der ruhige Typ. Ein guter Freund meinte zwar letzthin, dass ich zwei Seiten hätte: eine stille und eine wilde. Wahrscheinlich ist es in der Schnittstelle dieser zwei Seiten, wo mein künstlerisches Potenzial zum Ausdruck kommen kann. Ich mag es, Neues kennenzulernen und Sachen auszuprobieren. Wie zum Beispiel die frittierten Heuschrecken in China oder der Gemüseeintopf meiner Grossmutter. Eine gute Portion Fantasie und Kreativität, welche beim Gestalten meiner Skulpturen unerlässlich sind, habe ich aus der Kindheit hinüber ins Erwachsenenalter retten können. Die Kreativität kommt leider oft in Konflikt mit meinem Ordnungssinn, wobei sie fast immer als Siegerin aus dem Kampf hervorgeht. Das handwerkliche Geschick habe ich von meinem Vater geerbt. Ausserdem bin ich ein Mit-der-Zahnbürste-durch-die-Gegend-Geher und fanatischer Jim Knopf-Anhänger.

Ist es dir schon oft passiert, dass Menschen dich falsch eingeschätzt haben?
Ich würde nicht sagen falsch, aber vielleicht einseitig. Wenn man einen Menschen nur flüchtig kennt, ist das so, wie wenn man durch ein Fenster in ein Haus hineinschaut. Man sieht vielleicht das Sofa mit dem Couchtisch, den Zeitschriften und leeren Bierflaschen darauf und das Bild an der Wand dahinter. Oder die Küche, die tadellos aufgeräumt ist. Man sieht einen kleinen Teil des Menschen und denkt sich den Rest dazu. Aber im Grunde hat man keine Ahnung, wie’s in den übrigen Zimmern aussieht.

Und wie ein typischer Künstler sehe ich nun ja wirklich nicht aus. Vielleicht müsste ich meine Haare noch etwas wirrer vom Kopf stehen lassen, mich extravaganter kleiden und entweder hysterisch durch die Gegend rennen oder in einer Ecke sitzen, den Whisky in der einen und die Zigarette in der anderen Hand. Um dem Künstler-Klischee wenigstens ein bisschen gerecht zu werden.

Wie kam es dazu, dass du die Dynamik von Rostabfällen entdeckt hast?
Dynamik ist gut. Das Wort gefällt mir. Denn eigentlich hat ein verrostetes Stück Eisen, das irgendwo unbeachtet in einer Mülldeponie liegt, null Dynamik. Es ist so tot wie totes Eisen. Aber wenn man es herausnimmt, in einen anderen Kontext stellt, mit anderen rostigen Teilen kombiniert, entwickelt das Eisenstück plötzlich eine eigene Dynamik, es wird lebendig und fähig, etwas auszudrücken.

Entdeckt habe ich das ziemlich zufällig. Beim Herumstreifen im Wald habe ich einen verrosteten Kinderwagen gesehen, dessen Räder mich ganz erwartungsvoll angeschaut haben. Da brauchte es nur noch ein paar alte Ofenrohre und einen kaputten Melkeimer, und fertig war mein Erstlingswerk, eine Figur namens Röbi Rost.

Du gibst jedem Tier einen Namen. Baust du da irgendwie eine Beziehung auf und schmerzt es, wenn du diese Unikate verkaufst?
Die Namen gebe ich aus demselben Grund, aus dem Leute ihren Goldfisch Ingo taufen oder ihren Langhaardackel Dostojewski. Hat schon was mit Beziehung zu tun. Aber weh tut es nicht, wenn sie wegkommen, denn erstens mache ich sie nicht für mich, sondern für die Leute, die sie anschauen, und zweitens weiss ich immer, wo sie hinkommen und könnte sie im schlimmsten Falle besuchen gehen...

Dostojewski … hab ich mir notiert, falls ich mir mal einen Hund zutun werde. Was willst du mit deiner Kunst bezwecken?
Wie gesagt, sie soll vor allem dem Betrachter dienen, in ihm etwas auslösen. Ein Lächeln, ein Kichern, ein Staunen, ein Nachdenken. Oder aber ein Stirnrunzeln oder Kopfschütteln. Ist mir auch recht. Meine Kunst darf aber gefallen. Sie soll optimistisch sein, ohne Schönfärberei zu betreiben, Freude bereiten ohne einfältig zu wirken. Und auch daran erinnern, dass man nicht immer alles so tierisch ernst nehmen muss.

Was ist deiner Meinung nach der Beitrag von Kunst an die Gesellschaft?
Da gibt es so viele Meinungen, wie es Definitionen von Kunst gibt. Vincent van Gogh sagt: «Ich kenne noch keine bessere Definition für das Wort Kunst als diese: Kunst, das ist der Mensch.» Das gefällt mir. Der Mensch ist das grösste und schönste Kunstwerk. Und jeder Mensch ist ein Unikat, ein Original. Da gibt’s weder Kopien noch Lithografien. (Wie übrigens bei meinen Skulpturen auch nicht.) Und ein Beitrag der Kunst an die Gesellschaft kann sein, die Menschen daran zu erinnern, dass sie, jeder einzelne, Kunstwerke sind, indem es ihnen einzelne Facetten und Nuancen ihres Menschseins vor Augen führt. Seien das ihre Gefühle, ihre Stimmungen, ihre Charakteren oder ihre äussere Erscheinung.

Das tönt ja schon fast philosophisch-theologisch. Hat vielleicht Gott was mit Kunst am Hut?
Wenn der Mensch das schönste und wertvollste Kunstwerk ist, muss sein Schöpfer auch der grösste Künstler sein. Gott hat die Kunst nicht nur am Hut, sondern in seinem ganzen Wesen. Er ist ja der Erfinder der Kunst. Wer mit offenen Augen durch die Welt läuft, kommt nicht darum herum, all die wunderbaren Kunstwerke wahrzunehmen, die Gott in seiner umwerfenden Kreativität und beispiellosem Sinn für Ästhetik geschaffen hat.

Was sind deine weiteren Ziele mit der Kunst?
Das lass ich mal auf mich zukommen. Momentan kann und muss ich nicht nur von der Kunst leben, da ich teilzeitlich auch noch in einer Jugendstation als Lehrer arbeite. Ob ich mal ganz auf die Kunst-Karte setze, weiss ich noch nicht. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Vielleicht sattle ich auch ganz um und werde Kaninchenzüchter. Oder Elefantenjäger.

Die Objekte von Samuel Inauen kann man im Internet bestaunen und ergattern unter www.rostgarten.com

Datum: 07.09.2007
Autor: Andreas Boppart
Quelle: Livenet.ch

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